Mannheimer Morgen, 13.07.2009
Tillich und die Stasi-Fragen
Sachsen: Dem CDU-Ministerpräsidenten hängt seine Angabe zu Kontakten mit der Staatssicherheit nach
MANNHEIM/DRESDEN. Sieben Wochen noch bis zur Landtagswahl in Sachsen. Für Stanislaw Tillich ist es die erste, in die er seine CDU als deren Vorsitzender und Ministerpräsident führt. Ausgerechnet jetzt leidet er unter einem Glaubwürdigkeitsproblem. Es geht darum, wie er sein Leben in der DDR in einem Fragebogen darstellte, den er 1999 bei seiner Berufung zum Landesminister ausfüllen musste.
Im Mittelpunkt steht Frage Nummer 4: „Haben Sie dienstlich, aufgrund gesellschaftlicher Funktionen oder sonst wie Kontakt zu den in Nummer 1 genannten Stellen gehabt?“ Es geht um die Stasi, die Antwort lautet nein. Frage 5 zielt auf eine „Funktion, die der Kadernomenklatur unterlag“. Erneutes Nein.
Seitdem Tillich im November 2008 zwei Treffen mit Stasi-Leuten eingeräumt hat, kommt er nicht mehr zur Ruhe. Jetzt veröffentlichte der Ministerpräsident den Fragebogen samt Antworten in „Bild“.
Ab Ende Mai 1989 war Tillich als Mitglied der Blockpartei CDU im Rat des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung zuständig, daneben war er Vize-Chef der Behörde. Seine Gespräche mit der Stasi beschreibt er heute so: Zur Zeit des ersten Treffens habe er als Konstrukteur gearbeitet. Weil das Siegel (in der DDR waren vermeintlich wichtige Büros oft versiegelt) an seiner Tür aufgebrochen war, sei er befragt worden. Beim zweiten – der Sorbe war bei der Kreisverwaltung tätig – sei es um einen Brot-Engpass gegangen.
Frage 4 umstritten
Hätte Tillich bei Frage 4 die Stasi-Be¬fragungen angeben müssen? Micha¬el Kretschmer, Generalsekretär der sächsischen CDU, sieht kein Problem: „Die Fragen sollen helfen, diejenigen zu finden, die bei der Stasi gearbeitet haben.“ Das sei bei Tillich nicht der Fall. Im Übrigen: „Bei jemandem, der 30 Jahre in der DDR gelebt hat, findet man viele Punkte, die aus heutiger Sicht komisch sind.“
Der letzte Satz zielt auf den Abgeordneten
Karl Nolle vom Koalitionspartner SPD. Der gebürtige Niedersachse, der am Sturz der CDU-Ministerpräsidenten Biedenkopf und Milbradt beteiligt war, hat Tillich 105 Fragen zu seiner DDR-Vergangenheit gestellt, auf deren Antwort er seit Monaten wartet. Nolles Urteil: „Tillich hat im Fragebogen an mehreren Stellen die Unwahrheit gesagt.“
Michael Beleites, sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, bezeichnet zumindest Tillichs Antwort auf Frage 5 als „fachlich falsch, juristisch will ich mich da enthalten“. Eine solche Tätigkeit im Rat des Kreises „wird von Historikern unzweifelhaft als Nomenklaturkader-Funktion bezeichnet“. Dabei müsse man aber berücksichtigen, „dass die Funktionsträger in der Zeit, um die es bei Tillich geht, viel weniger in die Repressionspolitik der SED eingebunden waren als vorher“. Die Frage nach den Gesprächen mit der Stasi habe man eine Zeit lang nur im Zusammenhang mit einer Verpflichtung zum Inoffiziellen Mitarbeiter gesehen. „Heute weiß man: So etwas kann harmlos oder schwerwiegend sein. Zu Tillich kenne ich keine Einzelheiten.“ Beleites’ Bewertung: „Wenn Tillich den Fragebogen falsch ausgefüllt hat, dann sicher nicht, um etwas zu unterschlagen. Hier geht es ja um Dinge, die öffentlich bekannt waren.“
„Nicht selbst bewerten“
Christoph Jestaedt, der am Verwaltungsgericht Dresden zehn Jahre über Beamte entschied, die ihren Fragebogen offenbar falsch ausgefüllt hatten, kommt zu einem klaren Urteil: „Tillich hätte seine beiden Stasi-Kontakte angeben müssen. Wie man diese bewertet, ist eine andere Frage.“ Auf keinen Fall dürfe der Betroffene die Wertung, ob etwas berichtenswert ist, selbst vornehmen. „Als Beamter hätte Tillich eine arglistige Täuschung begangen. Die beiden Stasi-Treffen waren wohl Pipifax, aber wer seinen Dienstherrn belügt, fliegt.“ Für den Vorsitzenden Richter liegt das Fatale an dem Fall darin, „dass kein Gericht der Welt den Ministerpräsidenten schützen kann, wenn jetzt jemand sagt: ,Tillich ist ein Lügner’“.
Von Stephan Töngi
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Stanislaw Tillich
1959 in Neudörfel (bei Bautzen) in einer sorbischen Familie geboren.
Ausbildung zum Diplomingenieur für Konstruktion und Getriebetechnik
1987 Eintritt in die CDU (der DDR).
Oktober 1987 bis Mai 1989 als CDU-Vertreter Verwaltungsangestellter im Rat des Kreises Kamenz, danach als Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für Handel und Versorgung zuständig
1990 Abgeordneter der ersten freigewählten Volkskammer
1991 bis 1999 Europaabgeordneter
Ab 1999 sächsischer Minister: bis 2002 für Bund und Europa, bis 2004 als Leiter der Staatskanzlei, bis 2007 für Umwelt, dann für Finanzen
Seit Mai 2008 Ministerpräsident und CDU-Chef von Sachsen als Nachfolger Georg Milbradts
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