Agenturen, ddp-lsc, 17:36 Uhr, 16.07.2009
CDU sieht «absurde Debatte» - Tillich weist Vorwürfe zu Verhalten als DDR-Funktionär zurück
SPD und Grüne äußern Unverständnis
Dresden (ddp-lsc). Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sieht sich im Zusammenhang mit seiner Vergangenheit als DDR-Funktionär mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Nachdem sein offenbar entscheidender Anteil an der Entziehung einer Gewerbeerlaubnis für einen Gaststättenpächter im Sommer 1989 bekanntwurde, forderte der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle vom Regierungschef eine Entschuldigung bei dem heutigen Rentner. CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer verwies hingegen auf die frühere Stasi-Mitarbeit des Mannes.
Dabei handelt es sich um den 66-jährigen Peter Kurras. Dieser wird von der «Super Illu» mit dem Satz zitiert, dass ein Brief Tillichs als damals für Handel und Versorgung zuständiger stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz sein «Leben ruiniert» habe. Kurras soll sowohl Opfer als auch Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit gewesen sein und muss nach Medienberichten heute mit monatlich 600 Euro auskommen.
Hintergrund ist ein Schreiben Tillichs vom 5. Juni 1989, in dem der damals 30-jährige Funktionär dem Pächter des Kamenzer Ausflugslokals «Hutberghotel» den Entzug der Gewerbeerlaubnis zum Monatsende mitteilte. Den von Kurras erhobenen Vorwurf, dass ihm politisch motiviert die Gewerbeerlaubnis entzogen wurde, nannte Tillich «wirklich ungeheuerlich». 20 Jahre nach der Wende könne «quasi jeder alles behaupten». Er könne nach so langer Zeit «aus der Erinnerung heraus zu diesem Vorgang nichts sagen».
Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau äußerte daraufhin ihr Unverständnis über die «Empörung» von Tillich. Wenn angeblich jeder alles behaupten könne, liege dies zuallererst daran, dass er es mehr als ein halbes Jahr lang verpasst habe, «reinen Tisch zu machen».
Tillich steht seit Herbst 2008 im Zusammenhang mit seiner DDR-Vita in der Kritik. Vor dem Fall des Gastronomen war ihm die Mitwirkung an mehreren Enteignungsfällen vor 1990 angelastet worden. Am 30. August führt er Sachsens CDU in die Landtagswahl.
CDU-Generalsekretär Kretschmer sagte, die Vorwürfe gegen Tillich hätten inzwischen eine «so absurde Dimension erreicht, dass es einem ehemaligen DDR-Bürger wirklich Kraft abverlangt, nicht die Fassung zu verlieren». 1989 hätte niemand erwartet, «dass Stasi-Leute jetzt zu Opfern werden». Es sei «wirklich abenteuerlich, dass nun ein IM der Stasi als Kronzeuge fungiert».
Der
SPD-Landtagsabgeordnete Nolle warf Kretschmer daraufhin Heuchelei vor. Wer «heute noch Stasi-Offiziere zu Bürgermeistern macht, ist an Doppelmoral nicht zu übertreffen», erklärte er unter Verweis auf das frühere CDU-Mitglied Frank Rüger, der mit Unterstützung der örtlichen Union im mittelsächsischen Mühlau 2008 erneut zum Bürgermeister gewählt worden sei.
Nolle kritisierte, dass Tillich zum Fall Kurras bislang kein «Wort der Entschuldigung, des Bedauerns oder der Scham» verloren habe. Linke-Fraktionsvize Andrea Roth sprach von einem «Bärendienst» Tillichs gegenüber den Ostdeutschen mit seiner «Ich bin einer von euch»-Taktik.
Medienberichten zufolge soll Kurras als 17-jähriger Fleischerlehrling von der Stasi verhaftet und anschließend wegen «feindlicher Nachrichtenübermittlung» und «Spionage» verurteilt worden sein. Nach 27-monatiger Haft, die meiste Zeit davon in Bautzen, sei er 1963 entlassen worden. Später sei er von der Stasi als IM angeworben worden und habe unter dem Decknamen «Dietrich» Informationen geliefert.
von Tino Moritz
ddp/tmo/fgr
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