Dresden. SPD-Fraktionschef Martin Dulig soll im Oktober auch die Führung der Partei übernehmen. Er will der SPD nach dem Rücktritt von Thomas Jurk wieder Regierungsperspektiven bieten, bereitet die Basis aber zugleich auf „neue Rückschläge“ vor.
Frage: Die SPD hat sich bei der Wahl trotz Regierungsbeteiligung kaum verbessert, bleibt bei zehn Prozent hängen. Woran krankt die Partei?
Martin Dulig: Das für uns enttäuschende Ergebnis kann man nicht einfach auf den Spitzenkandidaten oder den Wahlkampf schieben. Die Gründe liegen tiefer: Die SPD hat es nicht geschafft, eine in der Gesellschaft verankerte Partei zu werden. Das sind grundsätzliche Defizite und da tröstet es auch nicht, dass wir 0,6 Prozentpunkte zugelegt haben.
Welche Rolle spielt Karl Nolle? Werden sie ihn stärker einbinden – oder Fesseln anlegen?
Als Fraktionschef stelle ich mich vor jeden Abgeordneten. Aber jeder sollte sich auch einreihen können. Wer mir schon am Tag nach der verlorenen Wahl als Herr Schlauschlau über die Medien Ratschläge erteilt, sollte erstmal in Demut sein eigenes Ergebnis analysieren. Wir werden versuchen, Karl Nolles Energie künftig nutzbringender für die gesamte SPD einzusetzen.
Welches sind ansonsten die hausgemachten Probleme?
Wir sind zu sehr gefangen in unseren Nischen. Es reicht nicht aus, sich mit Gewerkschaften und Lehrern zu verstehen oder in Anti-Rechts-Gruppen zu engagieren. Wir müssen sagen, wie dieses Land vorankommen kann. Programmatische Erneuerung heißt für uns: Raus aus den Nischen, rein ins Leben.
Fehlt nicht auch ein klareres Profil?
Die sächsische SPD hat bisher ihr Licht zu sehr unter den Scheffel gestellt und sich kleiner gemacht als nötig. Im Übrigen hat sich die CDU in diesem Wahlkampf völlig weggeduckt und jede inhaltliche Debatte vermieden.
Nach dem Rücktritt von Thomas Jurk ist viel von Neuanfang die Rede. Was ist damit gemeint?
Dieser Neuanfang hat bereits begonnen, indem wir unsere Regierungsfähigkeit erlernt und bewiesen haben. Aber wir haben die sozialdemokratische Handschrift in der Koalition nicht ausreichend deutlich machen können. Fünf Jahre waren offenkundig nicht genug.
Wie kann die SPD künftig aus der Bedeutungslosigkeit zwischen der Linken und der sozialdemokratisierten CDU herausfinden?
Wir müssen aufhören, unser Profil über andere zu definieren und uns in links und rechts dividieren zu lassen. Ich orientiere mich weder an der CDU noch an der Linken.
Die Frage drängt aber massiv in Thüringen und im Saarland.
Uns in Sachsen muss es gelingen, die SPD als regierungsfähige Kraft weiter zu entwickeln. Das ist mein Ziel. Sonst bleiben wir eine Splitterpartei.
Ist vor 2019 überhaupt wieder an eine Regierungsoption zu denken?
Wir brauchen in der Tat einen langen Atem. Die SPD muss wissen, dass sie sich mit mir auf einen längeren Weg macht, und dass wir auch in Zukunft neue Rückschläge erleiden werden. Die Regierungsperspektive erreichen wir eben nicht mit einem Fingerschnipsen und einem Personalwechsel. Unser Potenzial liegt aber über 20 Prozent.
Wäre für Sie Rot-Rot eine Option zur Ablösung der CDU?
Auch in Sachsen wird es künftig Regierungs-Mehrheiten ohne CDU geben, sie wird ihr Machtmonopol verlieren. Herr Tillich hat schon jetzt keinen Grund mehr zu feiern. Er hat ein noch schlechteres Ergebnis als Georg Milbradt eingefahren. Ob es in fünf oder in zehn Jahren zur Ablösung reicht, werden wir sehen.
Bundesminister Wolfgang Tiefensee soll sich der SPD als Parteichef angeboten haben?
Das ist ein Gerücht. Wolfgang Tiefensee hat mir schon am Montag ohne Wenn und Aber seine Unterstützung zugesagt.
Soll Tiefensee eine größere Rolle in der sächsischen SPD spielen?
Zunächst muss ich mal zum Vorsitzenden gewählt werden, dann können wir über weitere Personalien reden. Fest steht: Bei der SPD bricht jetzt nicht der Jugendwahn aus.
Sie werden mit 35 Jahren das neue Machtzentrum der SPD. Kommt das nicht alles ein wenig früh?
Ich stehe vor diesem Weg mit großem Respekt. Aber bei mir ist schon manches schneller gegangen, so wie meine Familiengründung. Als Vater von sechs Kindern habe ich früh Verantwortung übernommen. Meine Stärke ist, dass ich moderieren und zuhören kann. So möchte ich alle Parteiströmungen mitnehmen.
Ihre Vorgänger sind bei Zehn-Prozent-Ergebnissen abgetreten. Werden Sie der Dritte sein, der an der Zehn-Prozent-Hürde scheitert?
Ich bin noch nicht gewählt und soll schon über meinen Rücktritt spekulieren? Nein. Ich will erreichen, dass sich solche Fragen nicht mehr stellen, weil die SPD neue Stärke entwickelt.
Interview: Sven Heitkamp