Agenturen, ddp-lsc, 17:13 Uhr, 01.10.2009
Thüringer SPD will mit der CDU koalieren
Lieberknecht begrüßt «erhoffte Entscheidung» - Ramelow kritisiert «unwürdiges Schauspiel»
Erfurt (ddp). Einen Monat nach der Landtagswahl ist in Thüringen die Vorentscheidung für ein schwarz-rotes Bündnis gefallen. Der SPD-Landesvorstand beschloss in der Nacht zu Donnerstag in Erfurt, Koalitionsgespräche mit der CDU aufzunehmen. Thüringer Regierungschefin wird voraussichtlich die bisherige CDU-Sozialministerin Christine Lieberknecht. Die SPD hatte auch mit Linken und Grünen die Möglichkeiten eines Bündnisses ausgelotet.
Die Koalitionsverhandlungen sollen spätestens Mitte kommender Woche beginnen. Die Entscheidung des Landesvorstands fiel mit 18 zu 6 Stimmen. Das Gremium setzte sich über Bedenken in der Thüringer SPD-Basis hinweg. Viele SPD-Politiker hatten nach der Schlappe der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl eine rot-rot-grüne Koalition gefordert. Ein SPD-Landesparteitag muss einem Bündnis mit der CDU noch zustimmen.
SPD-Landeschef Christoph Matschie verteidigte das Votum des Vorstands. Ein weitestgehender Wechsel wäre gewesen, die CDU in die Opposition zu schicken. Allerdings habe die Vertrauensbildung in den Gesprächen mit Linken und Grünen nicht funktioniert. Er warf der Linken «Entscheidungsunfähigkeit» in der Ministerpräsidentenfrage vor. Die SPD wollte ein Bündnis mit der Linken nur unter eigener Führung akzeptieren.
Matschie sagte, die SPD könne auch mit der CDU den «Anspruch auf einen politischen Wechsel» einlösen. In der Bildungs-, Familien-, und Wirtschaftspolitik habe sich die SPD mit eigenen Positionen durchgesetzt. Außerdem soll sie vier von acht Ministerien bekommen. Nach Medienberichten sind das die Ressorts für Soziales, Justiz, Kultus und Wirtschaft.
In den eigenen Reihen stieß die Entscheidung auf Kritik. Die Jusos protestierten, vereinzelt gab es Rufe nach einem Sonderparteitag. Der frühere SPD-Innenminister Richard Dewes, der den Machtkampf gegen Matschie um die Spitzenkandidatur verloren hatte, bezeichnete des SPD-Chef als «politischen Scharlatan». Dewes zeigte sich «enttäuscht», die Voraussetzungen für Rot-Rot-Grün seien gegeben gewesen.
Linke-Spitzenkandidat Bodo Ramelow sagte, die Linke sei «Teil einer ganz billigen Schmierenkomödie» geworden. Er warf der SPD vor, schon länger eine Koalition mit der CDU angestrebt und nur nach einem «Ausstiegsszenario» gesucht zu haben. Neben dem Streit um die Staatskanzlei wären auch inhaltliche Differenzen auflösbar gewesen. Zu 80 Prozent hätten SPD, Grüne und Linke in den Sondierungsgesprächen übereingestimmt. Ramelow kündigte eine harte Opposition an.
Linke-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sagte, die Entscheidung der SPD korrespondiere nicht mit dem angekündigten neuen politischen Kurs der SPD. Er sei «gespannt», ob der SPD-Landesparteitag der Koalition zustimme. «Wenn die Parteiführung versagt, ist die Basis gefragt», sagte Bartsch.
Lieberknecht sagte, Schwarz-Rot sei die einzige Option, die Thüringen eine stabile Mehrheit für fünf Jahre garantieren könne. Sie kündigte eine zügige Regierungsbildung an. In den Sondierungsgesprächen sei kein Thema ausgelassen worden. «Wir wissen, dass wir uns in allen Feldern zu Kompromissen bereitfinden können.»
Lieberknecht war Anfang September von der Partei als Ministerpräsidentenkandidatin einer schwarz-roten Koalition vorgeschlagen worden. Sie wäre nach der einstigen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) die zweite Frau an der Spitze eines Bundeslandes.
Die CDU hatte bei der Landtagswahl am 30. August die absolute Mehrheit verloren. Sie kann nur mit der SPD weiterregieren, die hinter der Linkspartei drittstärkste Kraft wurde. Eine schwarz-rote Koalition hätte im Landtag 48 von 88 Sitzen. Eine rot-rot-grüne Koalition wäre auf 51 Sitze gekommen.
(Quellen: Matschie vor Journalisten; Dewes im MDR; Bartsch in Berlin; alle anderen auf ddp-Anfrage; Lieberknecht auch bei «sueddeutsche.de»)
Von Till Erdtracht und David Rollik
ddp/erd/kos
011713 Okt 09