Karl Nolle, MdL

spiegel online, 07.12.2009

LBBW in der Krise

Absturz der Musterbank - 240 Ermittler starteten eine Großrazzia
 
Vom Vorzeige- zum Skandalinstitut: Bei der Landesbank Baden-Württemberg starteten 240 Ermittler am Montag eine Großrazzia. Aktive und ehemalige Manager werden verdächtigt, Millionen verzockt zu haben. Die Geschichte eines tiefen Falls.

Das Aufgebot kann sich sehen lassen: 240 Ermittler marschieren am Montagmorgen in die Landesbank Baden-Württemberg, sie durchsuchen Büros, beschlagnahmen Unterlagen, die Razzia dauert Stunden. Die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt erklären, es gehe um den Verdacht der schweren Untreue gegen sieben teils noch amtierende, teils bereits ausgeschiedene Manager der Bank. Es sind erschütternde Szenen für die Landesbank, die einst als Musterinstitut gefeiert wurde.

Keine zwei Jahre sind die Hochzeiten der LBBW her. Der damalige Chef Siegfried Jaschinski - der heute zum Verdächtigenkreis der Staatsanwaltschaft gehört - wird damals auf eine Art gefeiert, wie es für den Chef einer Landesbank ungewöhnlich ist. Jaschinski gilt als Star-Banker. Den "schwäbischen Feldherrn", nennt ihn das "Handelsblatt", weil Jaschinski über Alexander den Großen promoviert hat und aus den eigenen Wachstumsplänen keinen Hehl macht. Der LBBW-Chef will in der unausweichlichen Konsolidierung der Branche die tragende Rolle spielen: Er träumt von einem großen Institut auf Augenhöhe mit der Deutschen Bank .

Schon seit 1998, seit der Geburtstunde der aus der SüdwestLB und der Landeskreditbank entstandenen LBBW, war das Geldinstitut auf Expansionskurs. Schritt für Schritt wurde die Baden-Württembergische Bank AG aufgekauft. Mit ihr hat die LBBW im Gegensatz zu vielen anderen Landesbanken ein festes Standbein im Privatkundengeschäft. 2005 erstand Jaschinski zudem die letzten 20 Prozent der Landesbank Rheinland-Pfalz.

Lange hieß es: "Die Risiken sind beherrschbar"

Anfang 2006 scheint Jaschinskis Stellung als Eroberer in der Landesbankenszene deshalb unangefochten. Rund zwei Dutzend Standorte hat das Geldinstitut zu diesem Zeitpunkt im Ausland, die Kapitaldecke ist dick, die Bilanz für 2006 rosig ausgefallen. Entsprechend selbstbewusst gibt man sich in Stuttgart. Beim Poker um den Verkauf der Landesbank Berlin geht die LBBW mit ins Rennen, stellt sich sogar in direkten Wettbewerb zum Deutschen Sparkassen- und Giroverband - ein echter Affront, der Jaschinski ziemlich unbeliebt macht in der Szene. Dieser Coup schlägt fehl. Doch Jaschinski hält nicht lange still.

Im Sommer 2007 fordert die Finanzkrise die ersten Opfer in Europa. Auch die SachsenLB wankt - und die LBBW schlägt handstreichartig zu, verleibt sich das ostdeutsche Institut innerhalb weniger Tage ein. Es ist ein schwieriger Kauf, der auch auf Druck der baden-württembergischen Landesregierung durchgezogen wird. Die SachsenLB hat Unsummen auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt investiert, die Bilanz ist belastet. Jaschinski tritt als Retter auf, wohl auch, weil er von der Landesregierung dazu gedrängt wird. Doch der Finanzmanager spielt das Spiel mit: "Die Risiken sind beherrschbar", erklärt er bei einer Pressekonferenz selbstbewusst. Die Interpretation der Beobachter ist klar: Als nächstes hat Jaschinski die WestLB im Visier, die ebenfalls einen Retter sucht.

Lange konnten die Stuttgarter ihr Selbstbild als Riese der Branche aufrechterhalten, der selbst von den Turbulenzen auf dem amerikanischen Häusermarkt kaum betroffen ist. Erst Ende 2007 wird klar: Auch die Banker bei der LBBW sind ins Schwitzen gekommen - und zwar gewaltig. In den Büchern sieht es übel aus. Höhere Risikoaufschläge für diverse Anlagen sind fällig geworden, weil die Bonitäten schlechter sind als früher. Dann wird langsam klar, dass in den Bilanzen der einverleibten Landesbank Rheinland-Pfalz gefährliche Giftanlagen schlummern. Auch bei der SachsenLB sieht es noch sehr viel schlechter aus als gedacht. Und nicht zuletzt haben auch die Stuttgarter Banker selbst im großen Maßstab mitgezockt.

Untreue ist schwer nachzuweisen

Mittlerweile haben Wirtschaftsprüfer in den LBBW-Büchern Verbriefungsanlagen von mehr als 30 Milliarden Euro als gefährlich eingestuft. 2008 wurde ein Minus von mehr als zwei Milliarden Euro eingefahren, im Sommer mussten das Land, die Stadt Stuttgart und die Sparkassen die LBBW mit einer Geldspritze von fünf Milliarden Euro aufpäppeln. Zusätzlich wurden Ausfallbürgschaften über 12,7 Milliarden Euro übernommen. Der einstige Star-Banker Jaschinski wurde daraufhin auf Drängen der FDP abgelöst, sein Nachfolger Hans-Jörg Vetter hat ein drastisches Sparprogramm aufgelegt, dem unter anderem 2500 Jobs zum Opfer fallen.

Nun scheint dem einstigen Bankenchef Jaschinski, der sich nach seinem Abgang immerhin über eine 300.000-Euro-Pension freuen darf, also noch ein unangenehmes Nachspiel zu drohen - ebenso wie sechs seiner ehemaligen Kollegen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, "das Vermögen der Bank pflichtwidrig durch Geschäfte mit US-Hypothekanleihen gefährdet oder geschädigt zu haben". Es gehe um mögliche Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe, die die Manager getätigt oder zumindest nicht unterbunden haben sollen. Dabei habe der Markt damals schon kurz vor dem Zusammenbruch gestanden. Für den Ankauf der Finanzprodukte seien auch mehrere Zweckgesellschaften im Ausland unterhalten worden. Der Schaden stehe noch nicht fest, dürfte aber im Millionenbereich liegen, heißt es in einer Presseerklärung von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt.

Viele Mitarbeiter der LBBW, die nun um ihren Job bangen, dürfte es mit einer gewissen Genugtuung erfüllen, dass die möglicherweise Verantwortlichen für die Misere so noch zur Verantwortung gezogen werden könnten. Auf besonders schwere Untreue stehen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Das Risiko gehört zum Geschäft

Allerdings ist noch lange nicht gesagt, dass der großangelegten Razzia an diesem Montag tatsächlich Anklagen und am Ende eventuell sogar Urteile folgen. Bislang ist in Deutschland kein einziger großer Banker in der Finanzkrise strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Schlicht, weil die Untreue im Finanzanlagebereich ein schwer nachzuweisendes Vergehen ist. Denn Risiko gehört nun mal zum Geschäft. "Es ist schwierig zu definieren, wo die Pflichtverletzung anfängt", erklärt der Düsseldorfer Rechtsanwalt André Szesny. Zudem könne der jeweilige Vermögensschaden nur sehr schwer Einzelpersonen zugeordnet werden.

Auch der Hohenheimer Bankenprofessor Hans-Peter Burghof sagt, den Zusammenbruch eines Marktes vorherzusehen, sei schon "eine große Kunst". Dass die Banker dabei versagt haben, könne man ihnen im Nachhinein nur schwer vorwerfen. Die Banker seien aber verpflichtet gewesen, die Risiken angemessen in den Büchern darzustellen.

Vielleicht stellten die Ermittler am Montag die Büros und Wohnungen deshalb so gründlich auf den Kopf. Stundenlang waren sie in den Gebäuden unterwegs, noch am Nachmittag dauerten die Untersuchungen an.
Von Anne Seith, Frankfurt am Main

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