http://www.zeit.de/2010/04/S-Zastrow?page=1, 22.01.2010
FDP: Wo ich bin, ist Volkspartei
Nach gut hundert Tagen an der Macht tritt die FDP um Holger Zastrow selbstbewusst auf und überspielt ihre Orientierungslosigkeit
Es gibt Momente, da kann es einem um den Freistaat angst und bange werden. Als Sven Morlok, der neue Wirtschaftsminister der FDP, in der vorigen Woche vor das handverlesene Publikum des Dresdner Debattierklubs Forum Tiberius tritt, ist wieder so ein Moment gekommen. Der Diplom-Kaufmann, der nach 20 Jahren im Osten noch immer erkennbar schwäbelt, versucht sich im freien Reden. Morlok soll seine Meinung zum Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Kultur darlegen – und schafft es auch in zehn Minuten nicht, einen Gedanken zu formulieren, den man wiedergeben könnte. Stattdessen produziert er Wortsalat. Unfreiwillig komisch, milde ausgedrückt. An die verbalen Ausrutscher von Edmund Stoiber erinnernd, die als Videoschnipsel im Internet kursieren. Was Morlok politisch sagen will, bleibt völlig wolkig.
Seit etwas mehr als hundert Tagen ist Sachsens neue Regierung im Amt. Sie ist leise, einvernehmlich und harmonisch gestartet, nachdem sich bereits in der Endphase des von Ministerpräsident Stanislaw Tillich präsidial geführten Wahlkampfes abgezeichnet hatte, dass die Liberalen um Frontmann Holger Zastrow der CDU-Wunschpartner sein würden. Nach wenigen Tagen war der Koalitionsvertrag fertig. Von Dresden sollte kurz vor der Bundestagswahl ein Signal in die ganze Republik ausgehen: Das Land sei reif für eine schwarz-gelbe Führung.
Wie aber präsentiert sich der Juniorpartner FDP in seiner neuen Rolle? Können die Liberalen, die noch vor einigen Jahren eine Splittergruppe waren und die in Sachsen weithin beachtete zehn Prozent holten, kann diese jugendliche Truppe eigentlich von null auf hundert Regierung? Was bedeutet es, wenn der Landes- und Fraktionsvorsitzende Holger Zastrow Liberalismus wieder »sächsisch buchstabieren« will?
Aus der Sicht des 41-Jährigen, der neben seiner politischen Arbeit noch eine Werbeagentur führt, fällt die erste Bilanz naturgemäß positiv aus. Im Gegensatz zu der im Bund. Den knapp 80 Parteimitgliedern, die es trotz Unwetters Daisy zum sächsischen Dreikönigstreffen ins Bautzener Theater geschafft haben, ruft er vollmundig zu: »Uns unterscheidet fundamental von Berlin, dass in Sachsen Parteien miteinander regieren, die miteinander können, die miteinander wollen.« Und er setzt noch eins drauf: »Die Berliner Koalitionäre sollen sich eine Scheibe von uns abschneiden. Ich fordere die Berliner auf, sich endlich zusammenzureißen.«
Mediengerechte Worte hat der smarte Selfmademan Zastrow, der aus einem Dresdner Lehrerhaushalt stammt und nur einige Semester BWL studiert hat, noch nie gescheut. In Berlin wird um eine Steuerreform, Strategien für den Afghanistan-Einsatz, um die Sicherheit an Flughäfen und Nachbesserungen von Hartz IV gestritten. Derweil haben die Liberalen, die neben dem Wirtschafts- auch das Justiz- und Europaministerium besetzen, hierzulande durchgesetzt, dass Autowaschanlagen und Videotheken bald auch sonntags geöffnet sein können. Dass Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 16 Jahren ein freier Museumseintritt garantiert ist. Sie haben das sächsische Bildungsgesetz dahingehend geändert, dass nun nicht nur nach vier, sondern auch nach sechs Jahren eine Bildungsempfehlung an die Schüler ausgegeben wird – im Wahlkampf noch hatten sie eine Bildungsreform gefordert, die stark ans DDR-Schulsystem angelehnt war.
Zurzeit basteln sie an einer Verschärfung des Versammlungsrechts, mit dem historisch bedeutende Orte wie die einst zerstörte Dresdner Innenstadt oder das Leipziger Völkerschlachtdenkmal an Gedenktagen vor Aufmärschen Rechtsradikaler geschützt werden sollen.
Wo genau also soll sich die Bundesregierung da eine Scheibe abschneiden?
Wenige Tage nach dem Dreikönigstreffen im Liberalen Haus in Dresden: Es ist Zastrows Geburtstag. Aber ein Tag wie jeder andere, wie er selbst meint, als er in einem schwarzen Ledersessel im Wintergarten Platz nimmt. Neben ihm steht ein großes Foto, das die hiesigen Parteigranden auf Motorrädern zeigt. Der Wahlkampf wurde auf solchen schweren Maschinen bestritten. Zastrow selbst fährt eine Kawasaki Ninja, 900 Kubikmeter Hubraum, 143 PS.
Trotz dieser schneidigen Auftritte aber ist die FDP in Sachsen für Zastrow keine Partei der Besserverdienenden, sondern programmatisch eine »Volkspartei«. Dieser Leitgedanke zieht sich wie ein roter Faden durch seine strategischen Überlegungen. Er richtet sie damit eindeutig anders aus als seine westdeutsch geprägte Mutterpartei. Und er begründet das mit 1989, seiner politischen Geburtsstunde, wie er sagt: »Die Friedliche Revolution war in Wahrheit eine Liberale Revolution.«
Wo ich bin, ist Volkspartei
Heute gibt er sich stolz darüber, dass die FDP auch »in der Platte« gewählt werde. Zastrow selbst ist dort aufgewachsen, seine Mutter wohnt noch immer da. Vielleicht ist ihm der Volkspartei-Gedanke deshalb so wichtig. Unverkennbar zeigt sich darin eine Prägung aus DDR-Zeiten: eine Distanz zu Milieu- und Klassenunterschieden. Die Wahlergebnisse des Jahres 2009 indes passen dazu wenig. Die Mehrheit der überraschend jungen Wähler stellten Selbstständige, Angestellte und Beamte. Abgesehen vom Alter, war es also die klassische FDP-Klientel. Rentner und Arbeitslose haben die Liberalen kaum gewählt.
Was Zastrow allerdings überzeugend macht, ist das neue ostdeutsche Selbstbewusstsein, mit dem er auftritt und das ihn von älteren einheimischen Politikern unterscheidet. »Verdammt noch mal, ich will nicht ewig am Tropf des Westens hängen. Ich will, dass Sachsen selbst eines Tages Geberland sein wird. Was die Bayern schaffen, das schaffen wir allemal«, trumpft er mit kühnen Visionen auf.
Holger Zastrow vertritt eine Nachwende-Gründergeneration, die ihre DDR-Herkunft nicht als Makel sieht. Sie hat die zurückliegenden 20 Jahre genutzt und kann Erfolge vorweisen. Die Werbeagentur, die Zastrow mit seiner Schwester und FDP-Generalsekretär Thorsten Herbst führt, – »eine komische Konstellation«, wie er selbst zugibt – hat 16 Angestellte. Und Zastrow hebt diese Meriten gern hervor, die ihm Unabhängigkeit vom Politikbetrieb sichern.
Nur politisch ist diese Aufbruchgeneration bisher heimatlos geblieben. Nun sucht sie sich Anleihen aus allen möglichen Gesinnungsrichtungen und kann Orientierungslosigkeit kaum verbergen. Den Volkspartei-Gedanken will sich Zastrow ausgerechnet bei Jürgen Möllemann abgeschaut haben. In der rechts gesinnten Jungen Freiheit schrieb er nach dessen Tod einen milden Nachruf auf den in Parteikreisen völlig isolierten Politiker. Auch fordert er die Gründung eines »Sächsischen Nationalmuseums«. Einerseits hofft er damit, die Beschäftigung mit dem »Nationalen« der NPD zu entreißen; andererseits wird es wohl auch der Sehnsucht entstammen, nun, da man es im wiedervereinigten Deutschland geschafft hat, sich eine neue Identität zu gründen, die weiter reicht und positiver besetzt ist als der stete Rückgriff auf die sozialistische Diktatur.
Aber auch die Doppelbelastung, die das Unternehmer- und Politikerdasein mit sich bringt, birgt Konflikte. Zastrow bürdet sich viel auf. Kürzlich hat er auch noch den Vorsitz der FDP-Fraktion im Dresdner Stadtrat übernommen. Nur ein Ministeramt wollte er nicht antreten. Während der Regierungsbildung hat er sich lange geziert und mit dem abschließenden Verzicht viele, vor allem aus der Wählerschaft, enttäuscht. Begründet hat er seinen Entschluss mit seinem jugendlichen Alter und der Verantwortung gegenüber seiner Firma. Nun spottet die Opposition, Sven Morlok sei als Wirtschaftsminister und Vizeregierungschef höchstens dritte Wahl.
Die Ausreden wirken deplatziert, sie diskreditieren obendrein ein Amt, in dem man Verantwortung übernehmen und sich inhaltlich festlegen muss. All das scheint Zastrow zu scheuen.
Dauerhaft wird er sich nun persönlich unbequeme Fragen nach Geschäftspartnern und möglicher Vorteilnahme gefallen lassen müssen. Schon als seine Agentur die Vermarktung des Dresdner Striezelmarktes übernahm, gab es kritische Anfragen vom politischen Gegner, war das ein Thema für die Medien. Auch wenn bisher alles transparent gelaufen sei, wie Zastrow versichert, könnte das Thema dauerhaft seinem und dem Ruf der Partei schaden. Unabhängigkeit hin oder her.
FDP Liberallala – die FDP sucht ihre Rolle
Abgesehen von den eher mageren Ergebnissen des Koalitionsvertrages – die sächsische FDP hatte mit Steuersenkungen Wahlkampf gemacht, obwohl die gar nicht in der Verantwortung einer Landesregierung liegen –, hat auch die Ernennung zweier weiterer Staatssekretäre für Aufsehen und Kritik gesorgt. Bei sich selbst setzt die FDP den Rotstift, der den immer wieder geforderten schlanken Staat garantiert, nur ungern an.
Holger Zastrow aber lässt sich von solchen Unkenrufen nicht beirren. Die schwache SPD hinter sich zu lassen ist nun erklärtes Fernziel. »Ich prophezeie der SPD ein einstelliges Ergebnis bei der nächsten Wahl.« An diesen selbstbewussten Worten wird Zastrow sich in der Zukunft messen lassen müssen.