spiegel-online.de, 14.02.2010
Bomben-Gedenken in Dresden
Neonazis scheitern mit Propagandamarsch
Sie wollten Dresdens Bombardierung für ihre Propaganda nutzen - am Ende kamen sie keinen Meter vom Fleck. Der geplante Marsch Tausender Neonazis durch Sachsens Hauptstadt ist wegen massiver Gegenwehr gescheitert. Protokoll eines Tages, an dem die Gewalt von rechts und links beinahe eskalierte.
Der Polizist am Mikrofon lässt keinen Zweifel. "Bleiben Sie auf dem Schlesischen Platz. Die Polizei wird es nicht zulassen, dass Sie diesen verlassen." Es ist der Moment, in dem viele Rechtsextremisten auf dem Vorplatz des Neustädter Bahnhofs ahnen, dass es an diesem 13. Februar wohl nichts wird, mit ihrem geplanten Marsch durch Dresden. Rund 3000 Neonazis pfeifen schrill, noch immer strömen Gesinnungsgenossen auf den Platz.
Es ist kurz nach 14 Uhr, als Polizisten den Platz abriegeln, auf dem der Marsch eigentlich beginnen sollte. Stundenlang hatten sich die Rechtsextremisten unter Führung der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) hier versammelt, um auf das Startsignal zu warten. Jetzt wird der geplante Propagandazug zu einer Standortkundgebung. Der Platz ist eingezäunt mit Absperrgittern.
Seit zwölf Jahren organisiert die JLO die Veranstaltung, die sie "Gedenkmarsch" nennt - tatsächlich instrumentalisiert sie die vielen Opfer des alliierten Bombenangriffs auf Dresden für ihre Zwecke: Es geht um eine Umdeutung der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg.
Die Lage ist gespannt an diesem Nachmittag. Unter den Rechtsextremisten sind viele Gewaltbereite - Kameradschaften aus ganz Deutschland, aus Schweden, Österreich, Tschechien, Frankreich und der Slowakei. Auch die NPD ist vertreten. Viele ihrer Mitglieder sind gleichzeitig in der völkisch-bündischen JLO. Parteichef Udo Voigt sagt: "Wenn wir angegriffen werden, werden wir uns verteidigen." Er selbst sei vorsorglich am Vorabend schon angereist, um pünktlich erscheinen zu können.
Einige Männer ziehen sich jetzt Halstücher vor das Gesicht und verstoßen so gegen das Vermummungsverbot. "Scheiß Juden, nur die sind schuld daran, dass wir hier drangsaliert werden", sagt ein Vermummter. Ein 70-jähriges NPD-Mitglied aus Meißen schimpft: "Ich komme jedes Jahr her. Aber die linke Szene etabliert sich immer stärker." Seit der Wendezeit sei er nun "in der Bewegung", aber so groß wie nun sei der Druck noch nie gewesen.
Einige Meter entfernt steht am Eingang des Bahnhofs eine Gedenktafel, die an die Deportation der Dresdner Juden in der Nazi-Zeit erinnert. Vom Neustädter Bahnhof aus wurden sie in Konzentrationslager gebracht. Jemand hat Blumen unter die Tafel gelegt. Dorthin, wo sich jetzt Polizisten in Dreierreihen postieren, auf der anderen Seite der Absperrgitter.
Es gibt viele Gegenkundgebungen, rund 30 wurden angemeldet. Bürgerliche Gruppen protestieren in der Altstadt. Mehr als zehntausend Menschen versammeln sich dort, bilden eine Menschenkette um das Zentrum, um ein Zeichen gegen die "braunen Horden" zu setzen, wie es Oberbürgermeisterin Helma Orosz von der CDU ausdrückt: "Dresden will sie nicht, und diese Bande gehört nicht hierher!" Nachdem sich die Kette geschlossen hat, läuten für zehn Minuten alle Glocken der Dresdner Innenstadtkirchen. In die Menschenkette reihen sich auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), Abgeordnete des Bundes- und Landtages sowie Kirchenvertreter ein. Als die Glocken verstummen, branden Applaus und Jubel auf.
Es ist ein Jubel unter dem Schutz von mehr als 5000 Polizisten. Mit zahlreichen gepanzerten Fahrzeugen, Wasserwerfern und mehreren Hubschraubern in der Luft gleicht Dresden am Samstagnachmittag einer Kampfzone. Für jene, die still um Angehörige oder die vielen namenlosen Opfer der Bombardierung Dresdens trauern wollten, ein denkbar störendes Szenario. Doch im ganzen Stadtgebiet kommt es in diesen Stunden immer wieder zu Gewalt zwischen versprengten Neonazis und Gegendemonstranten - unter die sich Linksautonome aus dem gesamten Bundesgebiet gemischt haben.
Das südliche Ufer der Elbe, die Neustadt, gehört an diesem Tag ganz den Linken und den Rechtsextremen. Juso-Chefin Franziska Drohsel berichtet, dass ihre Delegation auf dem Weg zu einer der Demonstrationen von rund 30 Neonazis angegriffen wurde. Sie sei zu Fuß geflüchtet. Rechtsextremisten berichten, dass sie von Linksautonomen mit Steinen beworfen wurden. Die Polizei bestätigt, dass es auf beiden Seiten Übergriffe gab. Auch Beamte seien attackiert worden.
Mehrere Zufahrtsstraßen zum Treffpunkt der Neonazis wurden von Gegendemonstranten blockiert, vormittags außerdem die Bahngleise vom Haupt- zum Neustädter Bahnhof. Beamte lösten eine Sitzblockade von Antifa-Anhängern auf. Eine brennende Barrikade auf der Hansastraße wurde mit einem Wasserwerfer gelöscht. In einem linksalternativen Kulturzentrum gab es der Polizei zufolge Auseinandersetzungen.
Die Lage in der Stadt ist unübersichtlich. Ständig tönen Krankenwagensirenen durch die kalte Februarluft. Die Polizei gibt kaum Informationen heraus, sondern verfolgt seit dem frühen Morgen konsequent eine Strategie: die Rechtsextremisten allmählich einkesseln, um eine Konfrontation mit linken Gruppen zu verhindern, und zwar den ganzen Tag über. Das einzige Problem ist, dass manche Polizisten die Lager kaum auseinanderhalten können - seit es autonome Nationalisten gibt, die schwarz tragen wie die linken Autonomen.
Viele Politiker sind nach Dresden gekommen, unter anderem Bodo Ramelow, der Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, und Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Berlin-Kreuzberg - von wo viele gewaltbereite Linksautonome angereist sind. Der Politiker hofft, "dass die sich ruhig verhalten. Schließlich haben sie sich bereit erklärt, keine Gewalteskalation zuzulassen". Auch das Bündnis "Dresden Nazifrei", ein übergreifender Zusammenschluss linker Gruppen, will einen friedlichen Abend. "Ausschließen können wir aber leider nicht, dass es dennoch zu Gewalt kommt", sagt Sprecherin Katharina Hübner angesichts der vielen linken Autonomen.
Die Polizei verweist darauf, dass " zahlreiche gewaltbereite Gegendemonstranten in der Stadt sind. Und bei Gewaltbereiten muss man davon ausgehen, dass sie Gewalt anwenden". Man rüstet sich für eine unruhige Nacht - die Gefahr sei, dass Linksautonome im Schutze der Dunkelheit versuchen, die Neonazis in der Stadt anzugreifen, sagt ein Sprecher.
Rund 5000 Neonazis stehen am Ende auf dem Neustädter Bahnhofsvorplatz, gut 1000 weniger als vor einem Jahr, gut 3000 weniger als von der Polizei erwartet. Viele von ihnen wurden von der Polizei schon in Höhe der Autobahnabfahrt abgefangen oder dorthin geleitet. Der Unmut ist groß, und der rechtsextreme völkische Liedermacher Frank Rennicke heizt die Stimmung noch an. Er unterbricht sein Musikprogramm auf dem Schlesischen Platz mit dem Hinweis auf die "korrupte Polizei". Kai Pfürstinger, der Anmelder des Neonaziaufmarsches, spricht von einem "Polizeistaat". Um kurz nach 17 Uhr teilt die Polizei den Rechtsextremisten mit, dass sie geschlossen über den Bahnhof Neustadt abreisen dürfen. Danach wird es dunkel.
Am Abend werden in Dresden noch einmal die Kirchenglocken den Ton des Gedenkens angeben. Vor 65 Jahren erreichten gegen 22 Uhr die ersten britischen Bomber Dresden und klinkten ihre tödliche Last über der historischen Altstadt aus. Hunderte Einwohner der Stadt kommen seitdem alljährlich zu diesem Zeitpunkt an die Frauenkirche - mit Kerzen in der Hand.
Für viele Dresdner ist das der eigentliche Moment des Erinnerns.
Aus Dresden berichtet Olaf Sundermeyer