Sächsische Zeitung, 29.03.2010
Zastrow in der Wagenburg
„Ich bin ganz froh, dass Sie uns haben wurschteln lassen“
Eigentlich seien die Liberalen doch „ganz gut gestartet“. In ungewohnt vorsichtiger Tonlage zog Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow am Sonnabend Bilanz. Zum ersten Mal seit dem Regierungseintritt im Herbst trafen sich Sachsens Liberale am Sonnabend in der Chemnitzer Stadthalle zu einem Parteitag. Zum ersten Mal musste Zastrow über die ersten 180 Tage der Liberalen in Regierungsverantwortung Rechenschaft ablegen – und dazu gehört auch das seit Wochen schlechte öffentliche Erscheinungsbild der Partei.
„Ich bin ganz froh, dass Sie uns haben wurschteln lassen“, bedankte sich Zastrow bei den 190 Delegierten. „Wir werden auch künftig neue Fehler machen“, bat Zastrow um Nachsicht. Er denke oft darüber nach, ob die FDP auf den Tag der Regierungsverantwortung „doch ein bisschen unvorbereitet war“, meinte der 41-Jährige. Programmatisch und personell seien die Liberalen nach dem Wahlsieg zwar gut aufgestellt gewesen. Er habe nicht „bei den westdeutschen Landesverbänden Klinken putzen gehen müssen“. Doch er habe nicht mit dem „öffentlichen Druck“ gerechnet.
„Ein bisschen unterschätzt haben wir die Kommunikation“, sagt Zastrow, der neben seiner politischen Arbeit eine PR-Agentur führt. Als die FDP noch in der Opposition war, sei die Welt „so schön einfach“ gewesen. „Das ging so, weil es auf unser Wort ja eigentlich nie ankam.“ Und das habe die Liberalen eben auch dazu verleitet, manche Dinge doch „ein wenig vereinfacht“ darzustellen. Medienschelte wolle er nicht betreiben, erklärte Zastrow. Und schimpfte dann doch voller Wut und Bitterkeit etwa eine Viertelstunde wüst los. Da gebe es „Kampagnenjournalismus“, empörte sich der Liberale. Da habe „irgendjemand festgelegt: Alles, was die FDP macht, ist Mist“, mutmaßte Zastrow über dunkle Verschwörungstheorien. Die neue Wagenburg-Mentalität der FDP?
Kein Wort zur umstrittenen Besetzung des Sprecherpostens im Wirtschaftsministerium. Nur die Wiederbelebung des dortigen zweiten Staatssekretärs-Postens verteidigte Zastrow erneut. „Man braucht durchsetzungsfähige Strukturen.“ Das habe er von den Sozialdemokraten gelernt, die in der alten Koalition daran gescheitert seien.
„Wir sind gefährlich“
Auslöser für den starken „Gegenwind“ laut Zastrow: „Wir sind gefährlich – für alle Verharrer, alle Umverteiler, für alle, die sich so bequem in unserem Land eingerichtet haben“. Die Liberalen seien in Sachsen klar der „Reformmotor“. In Sachsen hätten notwendige Strukturreformen „schon ein paar Jahre früher“ beginnen müssen, kritisierte er indirekt Koalitionspartner CDU, mit dem die FDP nicht nur an einem Strang, sondern sogar in dieselbe Richtung ziehe – anders als in Berlin.
Bei einem Steuer-Minus von 1,7 Milliarden Euro sei die „Zeit des Verteilens“ vorüber. Das Werkzeug der Liberalen sei nicht Rasenmäher oder Gießkanne, sondern der Spaten. Die Staatsmodernisierung bleibe das größte Ziel, so Zastrow. Alles müsse auf den Prüfstand – Standards im Straßenbau, Brandschutzbestimmungen oder „die eine oder andere vermeintliche Sozialleistung“. Zudem sprach sich die FDP für einen „zügigen Ausstieg“ aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder aus. Einen entsprechenden Leitantrag verabschiedete der Parteitag. Darin heißt es auch, Sachsen müsse beim Länderfinanzausgleich „langfristig“ vom Nehmer- zum Geberland werden.
Größere Diskussionen gab es nicht auf diesem Parteitag. Er endete eine Stunde früher als geplant. Mehr erkennbares liberales Profil, bessere Kommunikation forderten zwei Delegierte. Die Noch-Chefin der Liberalen Frauen, Ingrid Mayer, die wegen „parteischädigenden Verhaltens“ ausgeschlossen werden soll, erhielt kein Rederecht
Von Annette Binninger