www.nachdenkseiten.de (NachDenkSeiten – Die kritische Website), 11.04.2010
Das Bankentribunal - Attac 9.-11.4.10 - Berliner Volksbühne
Eröffnungsrede von Wolfgang Lieb.
Vom 9. bis 11. April 2010 veranstaltete Attac Deutschland in Zusammenarbeit mit der Berliner Volksbühne ein öffentliches Tribunal, das die Ursachen des Finanzcrashs, die Beugung der Demokratie durch fragwürdige Rettungsmaßnahmen und die fahrlässige Vorbereitung neuer Krisen öffentlichkeitswirksam beleuchten soll.
Anrede
Wir sind hier zusammengekommen, um das Finanzsystem und die mit ihm eng verflochtenen Politiker, Experten und Meinungsmacher für ihre Verfehlungen anzuklagen. Für Machenschaften durch die weit größere und schwerer zu behebende Schäden verursacht worden sind als durch alle anderen „Kapital“verbrechen zusammen. Im Vergleich zu den weltweiten verheerenden Auswirkungen der Finanzkrise erscheinen die schon schlimmen Schäden, die durch organisierte Kriminalität oder Mafia verursacht werden, nur noch wie Mundraub.
Es sind nicht nur Vermögensschäden in drei- oder gar vierstelliger Milliardenhöhe entstanden, die Existenz von Millionen von Menschen wurde bedroht, ihre Arbeitsplätze und ihre soziale Sicherheit wurden aufs Spiel gesetzt, Familien wurden zerstört und die körperliche und seelische Gesundheit zahlloser Kinder und Erwachsener geschädigt. Noch ist nicht abzusehen wie hoch über die schon geleisteten Milliardenzuschüsse und unfassbar hohen Kreditgarantien hinaus die öffentlichen Kassen in den nächsten Jahren ausgeplündert werden, doch schon jetzt ist klar, dass der größte Teil der Schuldenlast von denjenigen abgetragen werden muss, die mit der Finanzwirtschaft allenfalls dadurch in Berührung kamen, dass sie einen Kredit aufnehmen mussten. Noch viele Generationen werden an den Schulden und Zinslasten zu tragen haben.
Leider erheben weder die Volksvertretungen, noch Gerichte im Namen des Volkes Anklage. Offenbar muss das Volk selbst Anklage erheben. Und welcher Ort wäre dazu passender als eine „Volks“bühne.
Wir fühlen uns aufgefordert und ermächtigt anzuklagen durch unser Grundgesetz. Dort heißt es im Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Angesichts des Versagens der zur Kontrolle und Abhilfe berufenen Institutionen, ja noch mehr, ihrer Mittäterschaft oder Beihilfe zu den kriminellen Machenschaften, bleibt nur der Weg, dass das Volk selbst seine Souveränität zurückholt und selbst Anklage erhebt. Es gibt ihn noch, den Aufstand des Volkes. Dieses Signal soll vom attac-Bankentribunal ausgehen.
Die Veranstalter haben mich zwar gebeten, keine Redezeit mit Danksagungen zu vergeuden, aber ich denke, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich attac, der Volksbühne und allen Unterstützerinnen und Unterstützern für ihre monatelange Vorarbeit herzlich dafür danke, dass sie dieses Tribunal möglich gemacht haben. Und ich danke allen Zeuginnen und Zeugen und allen Sachverständigen für ihre Teilnahme.
Die hier Versammelten repräsentieren keine Staats- oder Wirtschaftsmacht, aber wir haben einen unschätzbaren Vorteil: Wir sind frei von finanziellen und sonstigen Interessen. Wir sind unabhängig. Wir sind Mitbetroffene. Das gibt uns die Legitimität das Komplott von Finanzkapital, Politik und veröffentlichter Meinungsmacht zu Lasten von Abermillionen von Menschen aufzuklären. Wir wollen Sachverhalte an- und aussprechen, die von den Machteliten verschwiegen oder verschleiert werden. Wir verstehen uns als Anwälte der Opfer und wollen der großen Mehrheit der Betroffenen eine Stimme verleihen, damit diese Mehrheit ermutigt wird, ihre Interessen gegen die nur vermeintlich Mächtigen durchzusetzen. Wir wollen zeigen, wie unser Land und der allergrößte Teil der anderen Länder in der Welt in die Fänge einer skrupellosen Finanzwirtschaft geraten ist, die der Logik der Mafia folgend ihren wahren Charakter verbirgt.
Das Kriminalstück spielte sich nicht in einer zwielichtigen Unterwelt ab, sondern in den feinsten Kreisen der Chefetagen dieser Welt. Die Leute, die bis zum 400-fachen eines Durchschnittsverdieners absahnten, wurden als „Leistungsträger“ sogar insgeheim bewundert und höchste Repräsentanten des Staates richteten für sie Geburtstagspartys aus. Die mafiösen Geschäfte konnten florieren, weil gerade die vermögenden Eliten ein Interesse am „schnellen Geld“ haben und hatten.
Die „Schurkenwirtschaft“ verbarg sich unter dem Deckmantel der „freien Marktwirtschaft“. Einer Marktwirtschaft, die sich gestützt auf das Dogma der Deregulierung aller Regeln entledigt hat. Große Teile der Bankenwelt haben sich von den demokratischen Institutionen und von der Gesellschaft abgekoppelt und jenseits des Zugriffs der Gerichtsbarkeit eine geradezu neofeudale Herrschaft der hemmungslosen Profitgier etabliert. Banker verrichteten „Gottes Werk“ meinte der Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein. Unersättliche Zocker stilisierten sich zu „Meistern des Universums“, die keinerlei Unrechtsbewusstsein mehr plagte und die der arroganten Auffassung sind, dass Regeln nur noch für „die da unten“ gelten.
Es wird die schwierige Aufgabe dieses Tribunals sein, die Charaktermasken herunter zu reißen und das wahre Gesicht der Täter und ihrer Helfershelfer sichtbar zu machen.
Es fehlt zwar nicht an einzelnen kritischen Analysen und aufklärenden Einzelstimmen, aber das Bankentribunal ist unersetzlich, weil es der bisher erste gemeinsame Versuch ist, der Moral und der Gerechtigkeit auch in der Öffentlichkeit wieder zum Durchbruch zu verhelfen.
Jemand muss es ja tun, denn bei der Aufklärung dieses Komplotts und schon gar bei seiner Bekämpfung haben bisher nahezu alle versagt: Die Banken ohnehin, die Politik, die Justiz, die Wissenschaft und auch die Medien.
Das Bankentribunal ist unersetzlich, denn den Bankern geht es fast ausschließlich ums Vertuschen. Die Finanzinvestoren haben im landläufigen Sinne belogen und betrogen und sie haben es geschafft, uns alle zu berauben, in dem sie ihre Riesengewinne privatisierten und ihre Verluste zu sozialisieren versuchen.
Viele Finanzberater wussten oder ahnten von den Risiken der Zertifikate, die sie als Vertrauenspersonen für ihre Kunden anboten, aber sie lebten von den Verkaufsprovisionen und vielfach standen sie wie Drückerkolonnen unter massivem Verkaufsdruck ihrer Bosse. Sie nutzten ihre Autorität und spiegelten falsche Sicherheit vor und sie verschafften sich und anderen damit Vorteile.
Das erfüllt den Tatbestand des Betrugs.
Die Banken haben faule Hypothekenkredite zusammen gepackt und als rentierlich innovative Finanzprodukte gehandelt. Und wieder andere haben diese gebündelten faulen Forderungen, von denen sie eigentlich wissen mussten, dass sie ihren Preis nicht wert waren, weiterverkauft. In der Umgangssprache nennt man das Hehlerei.
Dass die Banker genau wussten, was sie taten, zeigte sich spätestens als die von ihnen ausgebrachten Kettenbriefe aufgeflogen sind. Plötzlich haben sie sich selbst nicht mehr über den Weg getraut und sich nicht einmal mehr untereinander Geld geliehen.
Dem Betrug und der Hehlerei folgte die Erpressung. Wie etwa im Protokoll der zum Drama hochgespielten Nachtsitzung anlässlich der Rettung der Hypo Real Estate nachzulesen ist, drohte der Deutsche Bank-Chef Ackermann mit dem „Tod des deutschen Bankensystems“ als er und die versammelten Top-Banker der Kanzlerin und dem Finanzminister über Telefon die erste Rate von 8,5 Milliarden Staatsgelder abpresste. Dass das nur die erste Abschlagszahlung war, das wussten die versammelten Banker mit ziemlicher Sicherheit schon an diesem Abend.
Sich durch Androhung eines empfindlichen Übels zu Lasten eines anderen zu bereichern, das erfüllt den Tatbestand der Erpressung.
Den weiteren Verlauf kennen wir: Im Hau-Ruck-Verfahren unter maßgeblicher Anleitung der Banker wurde ein sog. Bankenrettungsschirm aufgeklappt mit 400 Milliarden als Refinanzierungsgarantie, 80 Milliarden Kapitalhilfen und einem Stabilisierungsfonds von bis zu 100 Milliarden.
Das Parlament hat sich bei diesen epochalen Entscheidungen selbst entmachtet und bis heute ist der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung – SoFFin – einer echten demokratischen Kontrolle entzogen. Über eine halbe Billion an Steuergeldern – das ist mehr als das Anderthalbfache des Bundeshaushalts und mehr als ein Fünftel der Jahresleistung unserer gesamten Volkswirtschaft – wird quasi ohne öffentliche Kontrolle von einem Netz von Verursachern der Krise verfügt.
Eine kurze Weile backten die Banker kleine Brötchen. Man räumte „Fehleinschätzungen“ und „Irrtümer“ ein, von individueller Schuld oder gar kriminellen Handlungen war allerdings nie die Rede. Nach dem ersten Schock wurde das havarierte System bald wieder verteidigt – zumal die deutschen Banker es schafften, den öffentlichen Eindruck zu erwecken, dass sie selbst mit dem Entstehen der Finanzkrise nicht das Geringste zu tun hatten.
Ackermann protzt schon wieder mit zweistelligen Renditezielen und kassiert 9,4 Millionen Euro im Krisenjahr. Einige wenige Vorstände traten zurück oder wurden zurückgetreten, aber mit der faulen Ausrede, sie trügen keinerlei persönliche Schuld, kassieren sie schamlos ihre „Erfolgstantiemen“ und ihre millionenschweren Abfindungen – teilweise sogar finanziert aus den staatlichen Hilfsgeldern.
Von den Bankern Aufklärung oder gar Abhilfe zu erwarten, hieße die Frösche zu befragen, ob der Sumpf trocken gelegt werden darf.
Das Bankentribunal ist unersetzlich, denn mit der Aufklärungsbereitschaft der Politik sieht es nicht besser aus. „Jemand muss es tun“, heißt es im Aufruf.
Auch die verantwortlichen Politiker tun so, als hätten sie mit den Ursachen des Bankenkollapses nichts zu tun, ja – noch mehr – sie lassen sich als Retter feiern. Dabei hatten sie auf vielfältige Weise die Roulettemaschine des Casinos erst richtig in Schwung gebracht.
Von 2001 bis Oktober 2008 wurden insgesamt 35 Gesetze und Maßnahmen zur Förderung des Finanzsektors durch das Parlament geschleust. Hans Eichel, Peer Steinbrück, Jörg Assmussen und nicht zuletzt die Kanzlerin haben das hohe Lied auf den Finanzplatz Deutschland gesungen. Ich verweise auf die Anklageschrift.
Ab 2002 bedurfte die Forderungsverwaltung durch ausgelagerte Zweckgesellschaften keiner Erlaubnis mehr, ab 2003 wurden Verbriefungen gefördert und erleichtert, der Ankauf von Kreditforderungen eines Kreditinstituts durch eine Zweckgesellschaft wurde von der Gewerbesteuer und unter bestimmten Umständen von der Umsatzsteuer befreit, ab 2004 wurden Hedgefonds zugelassen oder es wurden die Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen steuerfrei gestellt und so das Ausplündern gesunder Betriebe geschmiert und Millionen Arbeitsplätze vernichtet.
Bei der Gesetzgebung führte die Finanzwirtschaft die Feder. Mitarbeiter von Finanzinstituten wurden in die Ministerien abgeordnet. Die Gesetzentwürfe schrieben oft die Gleichen, die vorher und nachher die Banken berieten.
Im Standesrecht von Anwälten nennt man das „Parteiverrat“.
Die Politik und die etablierten Parteien haben Hand- und Spanndienste für hochqualifizierte Verschwörer geleistet. Ja noch mehr, viele Politiker saßen während und nach ihrer Amtszeit mit im Boot der Spekulanten. Der ehemalige Superminister Wolfgang Clement bei der Citigroup, der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher der CDU Friedrich Merz beim Hedgefonds TCI. Die Liste der zu nennenden Namen sprengte meine Redezeit.
Mit dem früheren Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank Otmar Issing – er war später Berater des gefräßigsten Haifischs Goldman Sachs – machte die Kanzlerin den Bock zum Gärtner: Angela Merkel berief ihn zum Vorsitzenden der Kommission zur Reform der internationalen Finanzmärkte.
Um von ihrem vorausgegangenen Tun abzulenken, haben uns Politiker den Bären aufgebunden, die Finanzkrise komme aus den USA, sie habe uns überfallen wie ein „Springinsfeldteufel“ – so redete etwa der Angeklagte Steinbrück. Alle diese Ausflüchte waren glatt gelogen: Schon im Februar 2003 berichtete das Handelsblatt, dass Steinbrücks Amtsvorgänger, Hans Eichel zusammen mit Schröder und Clement mit den Spitzen von Banken und Versicherungen im Geheimen zusammentrafen, um über die Gründung einer Bad Bank zu beraten. Schon damals schätzten Fachleute den Bestand der deutschen Banken an „notleidenden Krediten“ auf 150 bis 160 Milliarden Euro.
Das rafinierteste Gauklerstück war die Erfindung des Begriffs „systemrelevant“. Banken, die „systemzerstörend“ handelten, wurden für „systemrelevant“ erklärt. Unter dem Tarnwort „systemisches Risiko“ organisierte der Staat eigentlich strafbare Insolvenzverschleppungen zahlreicher Banken. Kaum jemand wagt es zu sagen, dass dem „systemischen Risiko“ eine „systemische politische Korruption“ vorausging. Bis heute hält die Regierung die Namen der Gläubiger geheim, die auf Staatskosten bedient wurden. Die Bürger müssen bluten, aber für wen, das sollen sie nicht wissen.
Das Bankentribunal ist unersetzlich, weil die Justiz ihre Hände in Unschuld wäscht.
Die originäre Aufgabe des Rechts ist der Schutz des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Kaum etwas anderes aber hat in jüngerer Zeit den inneren Frieden der Gesellschaft so zerrüttet wie die Finanzkrise.
Die Wiedergutmachung eines Schadens gehört zu den grundlegenden Rechtsprinzipien.
Die Straftatbestände der Untreue, des Betrugs, der Hehlerei und der Erpressung sind erfüllt, doch der „hölzerne Handschuh“ des Strafrechts packt nicht zu. Die wenigen bisherigen Strafverfahren lassen nicht erwarten, dass je ein Bankvorstand oder je ein Politiker für eingetretene Verluste bestraft würde, geschweige denn dafür haften müsste.
Gegen Systemkriminalität gibt es offenbar kein Sanktionsrepertoire. Die unerhöhte Höhe der Schäden, übersteigt die Kraft einzelner Menschen zur Kompensation. Dem „Too big to fail“ folgt das „too big for justice“.
Polizei, Staatsanwaltschaften, Richter sind maßlos überfordert, einzelnen Verantwortlichen Rechtswidrigkeit und Schuld nachzuweisen. Die Justiz verirrt sich in einem undurchdringlichen Gestrüpp von Rechtsvorschriften und sie ertrinkt in einem Meer von Beweismaterial.
Zwischen Strafjustiz und den Bankern besteht ohnehin keine Waffengleichheit. Die Banker rücken mit ganzen Kolonnen höchstbezahlter Anwälte an, dagegen sind die Staatsanwälte meist machtlos.
Und sollte es tatsächlich einmal zu einer Verurteilung kommen, so verweisen die Angeklagten spätestens in der Revisionsinstanz auf die Gutachten von Wirtschaftsprüfern, auf die sie sich verlassen konnten, und die Richter greifen dann – wie im Fall Vodafone bei Ackermann – auf das Rechtskonstrukt des „unvermeidbaren Verbotsirrtums“. Das heißt, die Richter können nicht zweifelsfrei nachweisen, dass den Angeklagten eine Einsicht in ihr unrechtes Tun möglich war.
Das Bankentribunal ist unersetzlich, weil die Wissenschaft versagt hat. Es waren nur ganz wenige Wirtschaftswissenschaftler, die vor einer Krise gewarnt haben, die allermeisten wurden von der Krise völlig überrascht oder noch mehr: sie wollten von Krisengefahren nichts wissen.
Die radikalsten Marktliberalen unter ihnen blicken bis heute nicht über ihre ideologischen Scheuklappen hinaus und erklären die Finanzmarktkrise schlichtweg als Staatsversagen. Niedrige Zinsen und Geldvermehrung der amerikanischen Zentralbank seien die eigentliche Ursache.
Wie in kaum einem anderen Land galt unter Deutschlands Wirtschaftswissenschaftlern die absolut herrschende Meinung, dass die Finanzmärkte zu einer angemessenen Preisbildung führen, dass sich der Staat sich aus den Märkten möglichst herauszuhalten hat und der freie Wettbewerb zu „effizienten“ Ergebnissen führt. Seit Jahrzehnten haben die Wirtschaftweisen des Sachverständigenrates, die Konjunkturforschungsinstitute und die allermeisten wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühle nichts Wichtigeres zu tun, als dieses Dogma zu verteidigen und der Politik anzudienen.
Die Herde trieb zu Lohndumping, Unternehmenssteuersenkungen, Deregulierung, Flexibilisierung. Privatisierung und schwacher Sozialstaat galten als die Erfolgsrezepte im Standortwettbewerb. Diese Rezepte galten als „alternativlos“, ja Bundeskanzler Schröder verstieg sich dazu, sie als „objektiv notwendig“ zu erklären. Jedem Scheitern folgte nur eine Erhöhung der Dosis der alten Rezeptur.
In seinem unbelehrbaren Dogmatismus hat der Mainstream der Wirtschaftswissenschaft nicht nur die Prinzipien der Wissenschaftlichkeit verraten, viele sog. „unabhängige“ Experten hängen sogar unmittelbar am Brotkorb der Finanzwirtschaft und ihrer PR-Agenturen.
Die Finanzkatastrophe ist zugleich ein Fiasko ihrer Glaubenslehre. Sie müsste die herrschende Ökonomie in eine Sinnkrise gestürzt haben. Doch geradezu über Nacht entpuppten sich einige ihrer öffentlich herumgereichten Repräsentanten als Wendhälse und riefen nach dem vorher verteufelten Staat. Die meisten aus der Zunft der Ökonomen blieben einfach nur ignorant. Für sie gilt nach wie vor: Umso schlimmer für die Praxis, wenn sie unserer Theorie nicht entspricht.
Das Bankentribunal ist unersetzlich, weil die Medien versagt haben. Sie waren Lemminge statt Wachhunde. Wir haben die „Meinungsmache“ auf unseren Nachdenkseiten vielfach belegt. Ich beschränke mich auf das Fazit einer dieser Tage erschienen, gut belegten Studie von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz:
„Der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus stand dem globalen Finanzmarkt gegenüber wie ein ergrauter Stadtarchivar dem ersten Computer mit einer Mischung aus Ignoranz und Bewunderung, ohne Wissen, wie er funktioniert, ohne Ahnung von den folgenreichen Zusammenhängen, die sich aufbauen; im Zweifel schloss man sich der vorherrschenden Meinung an. Die weltweite Krise des Finanzmarktes, die globale Krise der Großen Spekulation, löste auch eine Krise des Wirtschaftsjournalismus aus“.
Wohlgemerkt, die Rede ist von den sog. Qualitätsmedien und nicht vom Kampagnenjournalismus etwa der Bild-Zeitung oder von Medien mit ausgedünnten Redaktionen bei denen sich die Grenzen zwischen Journalismus und der Übernahme von Public-Relations-Beiträgen ohnehin zunehmend vermischen.
Die Kritik richtet sich nicht gegen die vielen Journalistinnen und Journalisten, die sich bemühen, gute aufklärende Arbeit zu leisten, die Schelte gilt der Verfassung des Journalismus und den Arbeitsbedingungen in den Redaktionen.
Die Medien selbst bieten bisher kein Forum, auf dem die Defizite in der Vergangenheit aufgearbeitet werden könnten. Wer klagt sich schon gerne selber an?
Es wäre unangemessen und anmaßend, schon bei der Eröffnung unseres Tribunals ein Urteil zu fällen. Wir sind gespannt auf die Plädoyers der Ankläger und Verteidiger und setzen vor allem auch auf Ihre Einlassungen als Zeuginnen und Zeugen.
Unser Ziel muss sein, dass wir alle zu Zeugen der Anklage werden. Dass wir mit unserer Anklage wieder Maßstäbe setzen, an denen Fehlverhalten gemessen werden kann, dass wir nicht nur auf das moralische Versagen Einzelner hinweisen, sondern dass wir auch tiefer schürfen und dem eigentlichen systemischen Risiko auf die Spur kommen.
Es wäre ein Erfolg, wenn wir am Sonntag aus der „Volks“bühne gingen und dem Volk wieder eine durchdringende Stimme geben könnten. Wir müssen uns und der ruhig gestellten Mehrheit der Betroffenen das Gefühl der Ohnmacht nehmen. Denn Ohnmachtgefühle lassen bekanntermaßen Initiativen erlahmen, machen depressiv und apathisch. Das dürfen wir nicht zulassen. Das wäre ein doppelter Sieg für die Banker und ihre Handlanger. Das wäre tödlich für unser demokratisches Gemeinwesen. Deshalb muss unser Tribunal das Fanal setzen, das den Menschen Mut macht und Selbstvertrauen gibt, sich zu wehren.
Unser Ziel muss es sein, unsere Kritik zu verdichten, um daraus Alternativen abzuleiten. Wir müssen Vorschläge und „konkrete Utopien“ erarbeiten, die die Menschen mitnehmen und ihnen wieder Hoffnung machen. Wir dürfen also nach dem Tribunal nicht nachlassen. Es wird darauf ankommen, dass wir an einem Strang ziehen und unsere Netzwerke enger knüpfen.
Das Wort „Krise“ stammt ja aus dem Griechischen und bezeichnet den Höhe- oder Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung. Sorgen wir dafür, dass wir mit dem Bankentribunal das katastrophale „Weiter-so“ aufhalten und eine Wende zum Besseren einleiten.
Die Suche nach besseren Alternativen verlangt Kreativität und für schöpferische Kraft steht zuvorderst die Kunst.
Lassen Sie uns heute Abend im Sinne Bertolt Brechts episch lernen von den Künstlern der Volksbühne, von dem genialen Spötter Urban Priol und von den kompromisslosen Wutausbrüchen Georg Schramms, der die Dinge viel besser auf den Punkt bringt, als eine noch so ausführliche Rede.
Ich danke Ihnen dennoch für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit.