Süddeutsche Zeitung, Seite 17, 25.06.2010
Eine sächsische Geschichte
Zwei Leipziger Reporter stehen unter Anklage. Waren sie ehrverletzend oder werden sie eingeschüchtert?
Wenn ein Strafprozess über sechs und mehr Verhandlungstage terminiert ist, geht man gemeinhin davon aus, dass das Gericht sich mit einer kapitalen Sache befasst - einem Mord, einem schweren Raub oder einem schwierigen Wirtschaftsdelikt. Im Dresdner Amtsgericht wird derzeit hingegen nur über Worte verhandelt, Worte, die vor Jahren in zwei Presseorganen erschienen sind. Und doch wird der Fall in Dresden für so bedeutend gehalten, dass das Gericht sich ganze elf Verhandlungstage lang damit beschäftigen will.
Zwei Leipziger Journalisten sitzen auf der Anklagebank, Thomas D., 42, und Arndt G., 37. Den beiden Reportern, die als freie Mitarbeiter für Fernseh-Sender und Wochen-Zeitungen arbeiten, wird falsche, ehrverletzende Tatsachenbehauptung, üble Nachrede und Verleumdung vorgeworfen. Mittelbar betroffen sind das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und das Online-Portal der Wochenzeitung Die Zeit. In diesen beiden Medien waren die Formulierungen, um die es heute geht, im Januar 2008 erschienen. Doch die Geschädigten betrachten die Angelegenheit als so gravierend, dass aus ihrer Sicht als Urteil "nur Haftstrafen in Frage kommen", wie einer der beiden vor Gericht erklärt.
Monatelang in den Schlagzeilen
Es sind zwei ältere Herren, die in ihren eleganten Jacketts heute als Nebenkläger auftreten. Von der Juristerei verstehen sie etwas: Beide waren früher als Richter in hohen Ämtern der Leipziger Justiz tätig gewesen. Jetzt sind sie in Begleitung einer Anwältin gekommen, die früher in Leipzig gewirkt hatte. Vor einigen Jahren fanden alle drei Personen in diversen Medien Erwähnung durch die Berichterstattung über eine ganze Reihe von Verdächtigungen und gerichtlichen Verfahren, die unter dem Stichwort "Sachsensumpf" bekannt wurden - und darum geht es heute auch. Was genau dran war an der Affäre, die monatelang für Schlagzeilen sorgte, ist noch immer nicht geklärt. Es ging um mögliche Verquickungen zwischen einem Leipziger Immobilien-Skandal, Justiz-Mitarbeitern und der Rotlicht-Szene.
An diesem Freitag wird sich zu der Thematik nun ein Untersuchungsausschuss des Landtages konstituieren - es ist bereits der zweite Versuch der Parlamentarier, Licht in die verworrene Affäre zu bringen. Auch hat der Rechnungshof des Landes mittlerweile die Behörden gerügt, sie hätten im Zusammenhang mit der Immobilien-Affäre etwa eine Million Euro zu viel an Fördermitteln ausgezahlt. Unterdessen hatten die Dresdner Staatsanwälte mehrere Ermittlungsverfahren gegen Justizmitarbeiter eröffnet, die bald wieder eingestellt wurden, da die Beschuldigungen den Ermittlern nicht stichhaltig genug schienen.
So wandten sich Politiker wie Staatsanwälte den Journalisten zu: Mittlerweile hatte sich die politische Stimmung in Sachsen gewendet, statt den fragwürdigen Vorgängen auf den Grund zu gehen, wurden nun die Überbringer der unangenehmen Informationen verbal wie auch juristisch verfolgt. Jahre zuvor hatte sich eine ähnliche Methode in Sachsen bewährt, als im Zusammenhang mit einer bekannt gewordenen Hausdurchsuchung bei einem ehemaligen Minister die Ermittler zahllose Leitungen eines Dresdner Pressehauses abgehört hatten - die Affäre ging als "kleiner Lauschangriff" in die sächsische Medien-Geschichte ein.
Damals war derselbe Staatsanwalt am Werk, der Jahre später mit den "Sachsensumpf"-Ermittlungen betraut wurde. An die 20 Verfahren wurden gegen Journalisten eröffnet, auch diese endeten zumeist mit Einstellung. Nur die beiden Leipziger Reporter landeten bislang auf der Anklagebank, was der Deutsche Journalistenverband (DJV) jetzt als "versuchte Einschüchterung" wertet - stellvertretend für andere Journalisten. In einer Podiumsdiskussion in Leipzig machte der DJV nun deutlich, dass derlei Versuche, einzelne Reporter mundtot zu machen, nicht hinnehmbar seien.
Was den beiden Reportern an strafbaren Handlungen zur Last gelegt wird, ist kaum nachzuvollziehen: In einem Spiegel-Artikel, der im Januar 2008 passend zum Sumpf-Thema unter dem Titel "Dreckige Wäsche" erschienen war, sollen sie ehrverletzende Behauptungen gegen die beiden Ex-Richter aufgestellt zu haben. Im Text wird auch von einem Freier namens "Ingo" berichtet, der in einem Leipziger Bordell verkehrt haben sollte, in welchem während der 90er Jahre Minderjährige zur Prostitution gezwungen wurden. Ingo, so hieß es in dem Spiegel-Artikel, sei nach Aussagen von zwei ehemaligen Prostituierten ein später ranghoher Leipziger Richter gewesen - eben jener, der auch den Prozess gegen den Bordell-Betreiber führte. Über dieses Verfahren war später viel diskutiert worden, es gab den Vorwurf, dass der Bordellier zu glimpflich davon gekommen sei, gegen die Freier wurde gar nicht erst ermittelt.
Ins Handwerk gepfuscht?
Der Richter hatte stets abgestritten, je das Etablissement besucht zu haben, "weder privat, noch dienstlich". Zwar hatte der Spiegel auch sein Dementi gedruckt. Doch man einigte sich erst in einem weiteren Ermittlungsverfahren, dass die Dresdner Staatsanwälte gegen den örtlichen Spiegel-Korrespondenten eingeleitet hatten: Das Nachrichten-Magazin druckte eine "Richtigstellung", und das Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldsumme eingestellt.
In dem Prozess gegen die beiden Leipziger Reporter wurde der Spiegel-Korrespondent nun stundenlang vernommen. Dabei erklärte er unmissverständlich, dass er den inkriminierten Artikel ganz allein geschrieben habe: ohne Formulierungshilfen der beiden Leipziger Reporter, auch wenn deren Namen - gleichsam als Informationsbeschaffer - mit unter dem Artikel standen. So ist unklar, was man ihnen noch vorwerfen will: Die Recherche allein kann wohl eher nicht strafbar sein. Dies zumal, da in den Hoch-Zeiten der "Sachsensumpf"-Affäre selbst Minister die wildesten Spekulationen geäußert hatten.
Die beiden Reporter hatten um die Jahreswende 2007/2008 zwei der Frauen aufgespürt, die einst als Mädchen in dem Leipziger Bordell zur Prostitution gezwungen worden waren. Parallel dazu waren die Frauen auch von den Staatsanwälten vernommen worden. Mag sein, das sich die Ermittler ins Handwerk gepfuscht fühlten, denn sie störten sich vor allem daran, dass der Spiegel-Artikel den Eindruck erweckt habe, aus Ermittlungsakten zu zitieren - und das wäre unstatthaft gewesen. Doch es war nicht der Fall, wie die Staatsanwälte selber betonen, denn in den Vernehmungen seien die im Spiegel zitierten Behauptungen gar nicht gefallen.
Das Gericht in Dresden ist gründlich. Richter Hermann Hepp-Schwab will jetzt wenigstens noch den Leiter der Spiegel-Rechtsabteilung vernehmen, der die Veröffentlichung des Artikels seinerzeit passieren ließ. Und so kommt das Nachrichten-Magazin nun doch in dem Verfahren vor, auch wenn die Hamburger dies tunlichst verhindern wollten. Auch der Justitiar der Zeit soll dem Gericht Rede und Antwort stehen. Dabei ist bei dem Artikel, der in dem Internetportal Zeit Online erschien, noch weniger ersichtlich, was genau strafbar sein soll. Zwar haben die beiden Leipziger Reporter diesen Text immerhin selbst geschrieben. Vorgeworfen wird ihnen diesbezüglich aber nur, dass sie wertende Fragen zu polizeilichen Untersuchungen stellten - etwa die Frage, ob möglicherweise "illegal ermittelt" worden sei.
Die Formulierung zielte auf zusätzliche Recherchen, die einige Leipziger Polizisten im Zusammenhang mit dem "Kinderbordell" unternahmen: Jahre nach der Schließung des Etablissements 1993 waren ihnen im Sommer 2000 mögliche Verknüpfungen mit einem Immobilien-Geschäft aufgefallen, in dessen Zusammenhang ein Mordversuch stand. Sie vermuteten fragwürdige Verwicklungen, möglicherweise gar zu hohen Leipziger Würdenträgern. Und so unternahmen sie tatsächlich Befragungen, die nicht in die offiziellen Akten einflossen - auch und vor allem bei den Mädchen aus dem ehemaligen "Kinderbordell".
Im Gerichtsaal zu Dresden wird dies nun von einem Leipziger Polizisten bestätigt. Der Mann erweckt den Eindruck, dass er mit der Sache nichts mehr zu tun haben möchte - und das hat seinen Grund. Nachdem der Artikel in Zeit Online erschienen war, hatte die Staatsanwaltschaft ihn offenbar aufgefordert, Strafanzeige dagegen zu stellen - immerhin mache er sich sonst der "Strafvereitelung im Amt" schuldig, wie es in dem Brief der Ermittler heißt. Der Beamte lehnte ab. Erst nachdem das Dresdner Innenministerium beim Leipziger Polizeipräsidenten intervenierte, wurde schließlich Anzeige erstattet. Andernfalls hätten die Staatsanwälte vermutlich gar nicht gegen die Journalisten aktiv werden können.
CHRISTIANE KOHL