Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 14.08.2010

"Stachelig bleiben" Nachgang zur Aktenaffäre - Dresdner Gerichtsurteil gegen Journalisten sorgt für heftige Kritik

(Neues vom realexistierendem Sachsensumpf *)
 
Dresden. Im Nachgang zur sogenannten Aktenaffäre hat das Dresdner Amtsgericht gestern zwei Leipziger Journalisten wegen übler Nachrede gegen zwei Polizisten verurteilt. Die Reporter sollen wegen eines Beitrags für Zeit-Online je 2500 Euro Geldstrafe zahlen. Sie kündigten bereits Rechtsmittel an. Das Urteil löste heftige Kritik aus

Als Arndt Ginzel und Thomas Datt gestern Morgen auf der Anklagebank im Saal 21 des Dresdner Amtsgerichts Platz nehmen, bauen sie markante Präsente vor sich auf. Zwei große Kakteen mit der Aufschrift: "Pressefreiheit! Stachelig bleiben." Damit ist der Tenor des Tages klar. Das Autorenduo geht schon von einer Verurteilung aus - will aber eine Strafe nicht hinnehmen. Die Reporter reklamieren einen Freispruch und kündigten an, in die nächste Instanz zu gehen, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) unterstützt sie dabei. Es sei schädlich für den Journalismus in Deutschland, wenn versucht werde, kritische Kollegen mit dem Strafrecht einzuschüchtern, sagt DJV-Bundeschef Michael Konken.

Die ursprüngliche Geschichte um die Affäre beginnt Anfang der 90-er Jahre. Damals war in Leipzig das Kinderbordell Jasmin ausgehoben worden. Die zum Sex gezwungenen Mädchen wollen Jahre später einzelne Freier auf vorgelegten Fotos wiedererkannt haben. Darunter sollen Juristen wie der damalige Vizepräsident des Leipziger Landgerichts, N., gewesen sein. Gerade jener Richter hatte einst den Bordellbetreiber mit einem relativ milden Urteil abgestraft. 2007 machten schließlich Berichte über angebliche Verstrickungen von Juristen ins Rotlichtmilieu Furore. Die Vorwürfe, die aus Verfassungsschutzakten stammten, wurden allerdings von der Staatsanwaltschaft nach ihren Ermittlungen als heiße Luft abgetan. Ginzel und Datt machten parallel dazu die früheren Zwangsprostituierten ausfindig und berichteten über ihre Recherchen im Spiegel und im Onlineportal Zeit.de.

Verurteilt wurden sie nun wegen der Frage im Zeit-Online-Beitrag, ob die ermittelnden Polizisten unter Druck gerieten, "weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob"? Dies sei nicht nur eine Frage gewesen, sondern eine Tatsachenbehauptung, erklärte Strafrichter Herrmann Hepp-Schwab. Der damit unterstellte, schwerwiegende Vorwurf, die Polizeibeamten hätten sich zu einer Strafvereitelung im Amt verleiten lassen, sei aber falsch und ehrenrührig. Die fragliche Dienstaufsichtsbeschwerde des beschuldigten Richters sei vielmehr erst nach den Ermittlungen gegen ihn gestellt worden.

Bemerkenswert in dem Verfahren ist, dass die beiden Polizeibeamten gar nicht gegen den Artikel vorgehen wollten. Auch auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft lehnten sie rechtliche Schritte ab. Erst der Polizeipräsident als Dienstvorgesetzter willigte einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Ginzel betonte, er und sein Kollege würden sich mit der "Fehlentscheidung" nicht abfinden. Wenn sie Angst von strafrechtlicher Verfolgung haben müssten, weil sie kritische und gut begründete Fragen stellten, hätte das Urteil verheerende Folgen für alle Journalisten. Auch habe der Prozessverlauf bestätigt, dass ihre Fragen zum Vorgehen der Polizei mehr als berechtigt gewesen seien.

Vom Vorwurf der üblen Nachrede gegen zwei Richter wurden die Rechercheure allerdings freigesprochen. Für strittige Formulierungen in einem Spiegel-Artikel, gegen die der inzwischen pensionierte Richter N. vorgegangen war, hatte bereits der Redakteur die Verantwortung übernommen. Das Magazin hat eine Geldauflage gezahlt und eine kurze Korrektur gedruckt.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von je 6000 Euro gefordert. Ob die Ermittler auch Rechtsmittel einlegen, ließ Staatsanwalt Christian Kohle zunächst offen. Beschäftigen wird das Verfahren den neuen Untersuchungsausschuss zur Aktenaffäre. Das Gremium habe beschlossen, die Ermittlungsakten heranzuziehen und die Staatsanwälte zu vernehmen, sagte Grünen-Politiker Johannes Lichdi. Linken-Politiker Klaus Bartl warf dem Gericht vor, Erkenntnisse des vorigen Untersuchungsausschusses nicht berücksichtigt zu haben. Einflussnahmen auf die Justiz würden Anfang 2011 im Ausschuss den Schwerpunkt bilden.
Von Sven Heitkamp
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*) Kommentierung von Karl Nolle, MdL

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