Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 18.11.2010

Der fleißige IM Thomas

Michael Richter, Sachsens wichtigster Aufklärer in Sachen Friedliche Revolution, war Stasi-Spitzel
 
Leipzig/Dresden. Neue Aktenfunde der Stasi-Unterlagen-Behörde beweisen: Der Historiker Michael Richter, seit 1994 tätig am Hannah-Arendt-Institut Dresden, war Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Der Fall ist brisant. Denn Michael Richter gilt längst als maßgeblicher Aufklärer, Chronist und Rechercheur der Friedlichen Revolution für den Freistaat Sachsen. 2009 wurde mit großer politischer Aufmerksamkeit vor allem seitens der CDU Richters Buch "Die Friedliche Revolution - Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90" der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das zweibändige Werk, das von der Landeszentrale für politische Bildung verlegt wurde, gilt als Standardpublikation zum Thema. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) empfahl sogar, jede Schule Sachsens solle wenigstens ein Exemplar in ihre Bibliothek stellen. Der ob seiner tiefgründigen Arbeiten geschätzte Zeitgeschichtler Richter erarbeitete auch mit dem emeritierten Leipziger Uni-Historiker Hartmut Zwahr und den Leipziger Ex-Bürgerrechtlern Tobias Hollitzer und Uwe Schwabe eine Landkarte des Freistaates, auf der festgehalten ist, wo und wann selbst im entlegensten Ort der einstigen drei Bezirke Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt friedlich demonstriert wurde.

Richter ist zudem Verfasser des ersten Buches zur DDR-weiten Auflösung der Stasi, das 1994 erschien. Doch der heute anerkannte Wissenschaftler war zu DDR-Zeiten IM Thomas. Den Decknamen gab er sich laut seiner Verpflichtungserklärung vom 14. März 1979. Handschriftlich und auf freiwilliger Basis sagte er zu, das MfS im Kampf gegen die "gegnerischen Kräfte" zu unterstützen.

Der IM tat, wie er versprach. Er lieferte eigenhändig geschriebene Berichte beziehungsweise teilte mündlich fleißig mit. Dokumente, die dieser Zeitung im Umfang von 250 Seiten vorliegen, belegen das. So hatte Richter über einen Doktoranden an der Sektion Philosophie der Humboldt-Universität berichtet, der "auf die Position eines subjektiven Idealisten" abgeglitten sei. Über einen Bekannten aus kirchlichen Kreisen teilte IM Thomas mit: "Seine pol. Orientierung ist mehr an der Bibel als an der realen Umwelt ausgerichtet." Er gab der Stasi Auskunft über den Urheber einer "Hetzschrift zum Programm des IX. Parteitages der SED" und händigte dem MfS die Abschrift des Notizbuches eines Freundes aus. Laut Protokollen von Richters Führungsoffizieren berichtete der IM immer wieder ausführlich mit Nennung von Namen, fertigte Tonbandmitschnitte für die Stasi an und berichtete über sexuelle Neigungen von Kommilitonen.

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IM Thomas (5. März 1981): Ich habe in diesen 2 Jahren mehr gelernt, mich ernst nehmen zu können, da eine so ernste Betätigung mehr vom Menschen verlangt, ihn fordert und fördert.

Richter wurde für diese Dienste, die Menschen geschadet haben können, honoriert, immer wieder sind in den Akten Prämien dokumentiert. Die Stasi bereitete dann auch 1981 seine Übersiedlung in die Bundesrepublik vor. Dort sollte er als Agent weiter Dienst tun. Im Westen angekommen, brach IM Thomas mit einem Telefonanruf seine MfS-Tätigkeit ab.

Gerüchte über Richter gibt es seit vielen Jahren. Schon 1991 wurde er "gegauckt". Seine Erklärung, er sei zur IM-Tätigkeit gezwungen worden und habe nie belastende Aussagen über andere Personen gemacht, wurde ihm damals von der Stasi-Unterlagenbehörde offenbar bestätigt. Richter war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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Uwe Schwabe: Wer kriminelle Energie besitzt, um aus dem Notizbuch eines Freundes alle enthaltenen Personalangaben zu notieren und dem MfS zu übergeben, ist als Oberaufklärer nicht haltbar.

Für einen "absoluten Skandal" hält Uwe Schwabe, im Ehrenamt der Leiter des Leipziger Archivs Bürgerbewegung, den Fall Richter: "Wer kriminelle Energie besitzt, um aus dem Notizbuch eines Freundes alle darin enthaltenen Personalangaben zu notieren und dem MfS zu übergeben, ist als Oberaufklärer nicht haltbar. Auch bin ich menschlich von Michael Richter enttäuscht."
 
Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Institut, das Hannah Arendts Namen trägt und sich der Totalitarismus-Forschung verschrieben hat, die Überprüfung seiner Mitarbeiter offenbar nur oberflächlich betreibt.
Von Thomas Mayer

Zur Person
Michael Richter - enttarnter MfS-Zuträger

Michael Richter, geboren 1952 in Berlin (Ost), studierte von 1974 Evangelische Theologie an der Humboldt-Universität, 1978 folgte die Exmatrikulation auf eigenen Wunsch, weil er sich "auf dem Boden des Marxismus-Leninismus" befinde. Da er keinen Philosophie-Studienplatz bekam, stellte Richter einen Antrag auf Ausreise, konnte 1981 in die Bundesrepublik übersiedeln, studierte Geschichte, Politische Wissenschaften und Theologie in Hannover und in Bonn.

1986 bis 1989 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Archiv für christlich-demokratische Politik in Sankt Augustin, 1989 bis 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Osteuropäische Geschichte Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seit 1994 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut Dresden mit den Forschungsschwerpunkten der Geschichte der sowjetischen Besatzungszone/DDR und der Friedlichen Revolution in Sachsen. (
tom)

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