DIE WELT online, 07:41 Uhr, 29.11.2010
Nicht in ihrem Namen! - Zeit für den Schlussstrich: Das Hannah-Arendt-Institut hat seine Glaubwürdigkeit verspielt
Die Stasi-Affäre am Institut für Totalitarismusforschung ist nicht einmal das größte Problem. Das ganze Konzept ist verlogen
Michael Richter bezeichnet sich als "Zeithistoriker und Aphoristiker". Man muss zugeben, dass er die Kunst des Bonmots beherrscht. "Langsam verschwammen seine Ansichten zu einem klaren philosophischen System", heißt es in Richters Aphorismenband "Wortbruch". Den Titel kann man als heimliche Selbstanklage lesen. Denn der gelernte Theologe und Historiker Richter war vor seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik 1981 Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. In deren Auftrag sollte er im Westen Karriere machen. Das tat er auch, zunächst bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 1994 am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) in Dresden. Diese Karriere endete am vergangenen Mittwoch nach einem Bericht der "Welt": IM "Thomas" wurde vom Kuratorium des Instituts fristlos entlassen.
Bis dahin hatte Richter als Experte für die friedliche Revolution in Sachsen - und als "Auge und Ohr" der CDU-Landesregierung am Institut gegolten. Gelernt, so möchte man resümieren, ist gelernt. Gleich nach der Übersiedlung hat sich Richter dem Verfassungsschutz "offenbart", und man darf sich fragen, wie der eine oder der andere Dienst bei Richters Fortkommen behilflich war. Jedenfalls gelang es ihm, 1991 von der Gauck-Behörde ein Entlastungsgutachten zu bekommen, das ihn als "Opfer der Verhältnisse" darstellt, der zu seinen Taten "genötigt" worden sei. Angesichts der klaren Aussagen in der Täter-Akte ein erklärungsbedürftiger Vorgang.
Kuratorium und Leitung des Hannah-Arendt-Instituts mögen glauben, mit Richters Entlassung sei die Krise beigelegt. Dem ist nicht so. Man wird sich vielmehr fragen müssen, welche wissenschaftliche Funktion das Institut überhaupt erfüllt. Schon 2007 hatte eine zur Evaluierung eingesetzte "Strukturkommission" in ihrem Bericht festgehalten, die Mitarbeiter des HAIT hätten "nur geringe den Fachdiskurs prägende Wirkungen entfaltet" und zeigten wenig Interesse an der angebotenen Weiterqualifizierung, "was sich besonders zeigte, wenn die Vorträge und Diskussionen fallweise auf Englisch stattfanden". Wegen ihrer unbefristeten Verträge habe sich "eine thematische Unbeweglichkeit und Verknöcherung bei den Forschungsthemen hergestellt". Ein vernichtendes Urteil.
Und dabei noch ein mildes. Denn bis dahin war das Institut vor allem durch die Thesen seines Mitarbeiters Lothar Fritze aufgefallen, der dem gescheiterten Hitler-Attentäter Georg Elser die moralische Berechtigung zum Tyrannenmord absprach und dem britischen Premier Winston Churchill eine Mitverantwortung für den Holocaust unterstellte.
Wie Richter stammt Fritze aus der DDR, wo er ein unauffälliges Leben als Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Textiltechnologie in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) führte; nach der Wende machte er plötzlich als Kritiker des Systems und als Moralphilosoph Karriere. Eine Kostprobe aus seinem Buch "Die Moral des Bombenterrors" verdeutlicht die politische Intention seiner Moralphilosophie: "Angenommen, es ließe sich plausibel machen, dass ein Verbrechen - beispielsweise das der Judenvernichtung - nicht auf einen konkreten Plan und einen Befehl Hitlers zurückgeführt werden kann, sondern etwa als Resultat eines Prozesses 'kumulativer Radikalisierung' zu begreifen ist, eines Vorgangs, der außerhalb des Krieges so kaum vorstellbar gewesen wäre, dann (...) kann vom Verteidiger erwartet werden, bei der Fixierung seiner eigenen Strategie gegen das Unrecht eine mögliche Radikalisierung des zu allem entschlossenen Feindes mit zu bedenken." Da Churchill mit der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation dies nicht getan habe, trage er "eine immense Verantwortung" für die Verbrechen der Nazis. Und dieser Mann arbeitet an einem Institut, das den Namen Hannah Arendts trägt!
Hier liegt allerdings eine Ursache des Problems. Denn obwohl Arendt in ihrem Hauptwerk "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" schrieb, eben diese habe "mit dem Tode Stalins in Russland nicht weniger ihr Ende gefunden als in Deutschland mit dem Tode Hitlers", wurde das HAIT von der Landesregierung Sachsen mit dem Ziel gegründet, den ohnehin fragwürdigen Begriff des Totalitarismus auf die "zweite deutsche Diktatur" auszudehnen. Die Subsumierung beider Diktaturen unter einem Oberbegriff leistete den wertvollen Dienst, die SED und ihre Nachfolgeparteien - also die Gegner der CDU - noch schlimmer aussehen zu lassen, als sie es ohnehin waren und sind. Zugleich verschwindet im Totalitarismusbegriff die Verantwortung der konservativen Eliten, die Hitler die Macht übergaben und seine zunächst schwache und keineswegs "totalitäre" Diktatur stützten.
Genau deshalb zog das Institut Historiker an, denen es um die "Historisierung" des Holocaust und die Relativierung der deutschen Schuld im Interesse eines neuen "Kulturpatriotismus" geht. Hier ist besonders der langjährige stellvertretende Leiter Uwe Backes zu nennen, der 1990 zusammen mit Eckard Jesse und Rainer Zitelmann den Band "Schatten der Vergangenheit" herausgab, der sich als Manifest einer "jungen Generation" verstand, die sich laut Klappentext anschickte, mit "Tabus" über den Nationalsozialismus aufzuräumen und mit einer "volkspädagogischen" Geschichtsschreibung zu brechen. Backes war es auch, der Fritze zur Veröffentlichung seiner Elser-Kritik ermunterte, während der damalige Institutsleiter Klaus-Dietmar Henke davon abriet. Wenig später erfuhr Henke, sein Vertrag werde wegen "Problemen im zwischenmenschlichen Umgang" nicht erneuert.
Natürlich waren die Herausgeber von "Schatten der Vergangenheit" mindestens genauso "volkspädagogisch" motiviert wie die Historiker, die sie kritisierten. So stand Zitelmann der "nationalliberalen" FDP-Fraktion um Alexander von Stahl und Vertretern einer "konservativen Kulturrevolution" wie Karlheinz Weißmann nahe, während Backes und Jesse im Umfeld der Unionsparteien zu verorten sind. Vom gegenwärtigen Leiter des HAIT, Günther Heydemann, sagen ehemalige Institutsangehörige, er verdanke den Posten vor allem seinen Beziehungen zum "Haus- und Hofhistoriker der CSU", Heinrich Oberreuther.
Was IM Thomas betrifft, so werfen die Umstände seiner Enttarnung ein grelles Licht auf die Art, wie im Osten Wissenschaftspolitik gemacht wird. Weil er sich über Richters Übereifer in Sachen DDR-Kritik ärgerte, wandte sich der über den Verband der "Stasi-Insider" gut vernetzte Historiker Horst Schneider an seine Genossen, die ihre Erkenntnisse zusammentrugen. Die schickte Schneider am 3. Juli 2010 an Richter und dessen Vorgesetzten Heydemann. "Betrachten Sie bitte diesen Brief als Eingabe, für die bestimmte Fristen gelten", schrieb Schneider und rühmte sich, als Marxist "nicht nach der alttestamentarischen Methode 'Auge um Auge' handeln" zu wollen, was wie eine versteckte Drohung klingt
Dass es dieses unappetitlichen Zeitgenossen bedurfte, um etwas ans Licht zu bringen, das jeder hätte wissen können, ist ein Armutszeugnis für ein Institut, das angeblich die Mechanismen totalitärer Herrschaft erforschen soll, in Wirklichkeit aber allzu lange Geschichtspolitik plattester Art betrieben hat. Es ist Zeit, einen Schlussstrich unter seine unrühmliche Geschichte zu ziehen.
Alan Posener