Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 08.12.2010

„Die kleinen Spitzel waren nur Werkzeuge“

Michael Beleites: „Gerade im politischen Raum gibt es nur wenige, von denen ich wirklich weiß, was sie selber wollen. Ich weiß, welche Rolle sie spielen, aber ich weiß nicht, welche Haltung sie haben.“
 
Zehn Jahre sind genug, hat sich Michael Beleites vor ein paar Monaten selbst gesagt. Nach zwei Amtszeiten endet am Sonnabend seine Tätigkeit als sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. „Ich denke, dass es weder für die Person noch das Amt gut ist, wenn man diese Aufgabe länger als zehn Jahre macht“, sagt Beleites. Auch wenn Sachsen und Berlin vergessen haben, das ins Gesetz zu schreiben. „Aber Demokratie heißt auch Wechsel“, sagt der 46-Jährige.

Als der gebürtige Hallenser vor zehn Jahren angefragt worden war, zögerte er lange, das Amt anzunehmen. Dann sagte er doch zu. „Mir ging es darum, dass die Aktenöffnung nicht zu Mord- und Totschlag führt, wie damals viele behauptet haben und sie unter Verschluss halten wollten.“ Die Opfer sollten Klarheit bekommen können. „Das war für mich immer das zentrale Moment“, sagt Beleites.

Gespräch mit Stasi-Mitarbeitern

Auch er hatte nach der Wende seine Stasi-Akte gelesen. Beleites war in den Achtzigern aktiv in der Umweltbewegung der DDR. Die gesundheitlichen und ökologischen Folgen des Uranabbaus waren sein großes Thema. Jahrelang hatte die Staatsicherheit Spitzel auf ihn angesetzt. Alles akribisch dokumentiert in seiner Akte. Beleites suchte das Gespräch mit den Stasi-Mitarbeitern. „Nicht mit den vielen Inoffiziellen Mitarbeitern (IMs) – die haben ohnehin alles geleugnet –, sondern mit den Stasi-Offizieren, die sich alles ausgedacht und alle Maßnahmen gegen mich veranlasst haben. Die kleinen Spitzel waren doch nur Werkzeuge.“

Heute sei der Bedarf an solchen Gesprächen leider fast bei null. „Manches ist nicht geglückt. Dieser Aspekt überhaupt nicht“, bedauert Beleites. Mit leiser, aber eindringlicher Stimme. Der studierte Landwirt ist kein Mann der verbalen Paukenschläge, eher eine Art stiller Anwalt, der im Hintergrund wirkt, immer im Blick die Opfer, aber irgendwie auch die Täter. Manchmal sind die Übergänge eben fließend.

Schon früh hat Beleites kritisiert, was auch er nicht zu ändern vermochte: Dass sich bei der Aufarbeitung der DDR-Zeit der Blick allein auf die IMs verengte. „Dadurch wurde der Eindruck erweckt, dies allein entscheidet darüber, ob jemand am Repressionsapparat der DDR mitgewirkt hatte oder nicht. Eine „fatale Entwicklung“, findet Beleites. „Viele, die mehr verstrickt waren, aber nicht den IM-Status hatten, konnten sich dann nach einer Stasi-Überprüfung als unbelastet darstellen.“

Zudem finde sich die Mehrheit der DDR-Bevölkerung in dieser Art von Debatte nicht wieder. „Wenn wir nur über die Lebenssituation von Stasi-Opfern und -Tätern sprechen, dann sprechen wir nur über die Lebenssituation von zwei Prozent der DDR-Bevölkerung.“ Wichtiger sei es zu erklären, wie die DDR im Alltag funktioniert hat. „Warum die Menschen ständig etwas getan haben, was sie eigentlich gar nicht tun wollten. Genau das hat doch zu der allgemeinen Befangenheit geführt, dass viele lieber gar nicht über das Thema sprechen wollen.“ Noch schwerer sei es, jungen Leuten die DDR näherzubringen. „Sie hören etwas über Wahlfälschung, aber es sind doch tatsächlich weit über 95 Prozent trotzdem zu diesen Wahlen hingegangen. Und auch am 1. Mai sind die meisten mitmarschiert oder haben den Bonzen von der Tribüne aus zugewinkt.“

Dennoch ist Beleites dagegen, einfach einen Schlussstrich unter die Auswertung der Stasi-Akten zu ziehen. „Das ist der falsche Weg. Aber es ist wichtig, eine Aufarbeitung zu betreiben, die zuerst nach der Perspektive der Opfer fragt und nicht zuerst danach guckt, wo noch ein unenttarnter IM zu finden ist.“

Beleites war kein „Stasi-Jäger“, wie manche das Amt des Landesbeauftragten abfällig nennen. Keiner, der mit Schaum vor dem Mund auf andere mit dem Finger zeigt. Beleites half einzuordnen, ruhig und sachlich. Die „Urteile“ fällten andere. Die Beratung der Verwaltung bei der Stasi-Überprüfung von Mitarbeitern und Abgeordneten war in seiner Amtszeit eine der Hauptaufgaben. Fälle wie Peter Porsch und Volker Külow fallen in seine Zeit.

Es sei bei allen Stasi-Überprüfungen nicht um die Feststellung von Strafe, sondern um die Feststellung von Eignung gegangen, betont Beleites. Dies sei immer in Relation zur Funktion geschehen, die jemand übernehmen sollte. „Die Eignung sollte sich daran bemessen. Aber das ist damals in vielen Fällen nicht passiert“, bedauert er heute.

Über zu viel Unterstützung von seiten der Politik konnte er sich nie beklagen. Die Aufgaben seiner Behörde sind gewachsen. Bildung und Öffentlichkeitsarbeit sind heute am wichtigsten. Drei Mitarbeiter stehen bereit – halb so viele wie in ähnlich großen Bundesländern.

Hat ihn das Amt, der intensive Blick in fremde Biografien, verändert, misstrauischer gemacht? Nein, sagt er. Aber etwas anderes ist ihm aufgefallen. „Dass die Grundstruktur des IM – hier so und dort so zu reden, je nachdem, was die jeweiligen Gegenüber gerade hören wollen – nicht auf IMs beschränkt ist und auch nicht auf die Zeit vor 1990“, sagt Beleites. „Gerade im politischen Raum gibt es nur wenige, von denen ich wirklich weiß, was sie selber wollen. Ich weiß, welche Rolle sie spielen, aber ich weiß nicht, welche Haltung sie haben.“

Einen neuen Arbeitsvertrag hat Beleites noch nicht in der Tasche. Er will vielleicht wieder etwas im Bereich Umwelt- und Naturschutz machen. Die Regelung seiner Nachfolge als Landesbeauftragter hat er unterdessen nicht dem üblichen Parteien-Geschacher überlassen. Das FDP-geführte Justizministerium favorisiert zwar den Leiter der Dresdner Außenstelle der Birthler-Behörde, Konrad Felber. Beleites wirbt dagegen offensiv für die Bürgerrechtlerin Freya Klier. „Es ist wirklich wichtig, dass jemand Akten nicht nur als Archivgut kennt, sondern auch aus eigener Erfahrung weiß, wie die Stasi in das Leben eingegriffen hat“, sagt er. „Nur dann kann man auch bei denen als Gesprächspartner akzeptiert werden, für die der Blick in die eigene Akte eine Extremsituation war.“
Von Annette Binninger

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