spiegel.online.de, 12:56 h, 07.01.2011
Kommunismusdebatte: Klassenlos und frei von Kohlendioxid
Von Sebastian Hammelehle
Das Jahr ist erst wenige Tage alt, da hat es schon sein erstes Unwort: Kommunismus. Doch weder Gesine Lötzschs Polit-Folklore noch die formelhafte Kritik an ihr bringen die Debatte weiter - wer über Marx' klassenlose Gesellschaft spricht, muss sie ernst nehmen.
Im Herbst 2010 veröffentlichte der Vorsitzende der Zukunftskommission einer Bundestagspartei eine Denkschrift. Der Titel kam nicht gut an - tauchte darin doch ein Wort mit K auf, mit dem man sich in der Bundesrepublik schon länger schwertut. Ein ehemaliger Parteichef bezog Stellung: "Wir müssen das schon mit dem liberalen und sozialen Aspekt verbinden."
Die Partei war die CSU, ihr ehemaliger Vorsitzender Theo Waigel. Das Wort "Konservativ". Es ist eines der großen Reizwörter der deutschen Politik. So eindeutig der Begriff scheint, so wenig weiß man, wofür er in der Tagespolitik steht. Sind diejenigen konservativ, die den Sozialstaat bewahren wollen, sind es die Naturschützer - oder sind es die auf der anderen Seite des politischen Spektrums? Immer wieder wird über die Gründung einer konservativen Partei rechts der Union spekuliert. Doch wofür stünde die? Wohl kaum, wie manche glauben, für ungezügelten Kapitalismus.
Ist dessen Wesen doch, wie Karl Marx im "Kommunistischen Manifest" schreibt, dass "alles Ständische und Stehende verdampft" oder, wie es im geflügelten Wort der englischen Version noch schöner heißt: "All that is solid melts into air."
Auch das Reizwort Kommunismus beginnt mit K, und einiges an der Aufregung, die Gesine Lötzsch, die Vorsitzende der Linkspartei, mit ihrem Zeitungsbeitrag in der "Jungen Welt" ausgelöst hat, erinnert an die Debatten um den Begriff "Konservativ".
Wie sagte Waigel?
Was Kommunismus heute ist, wird bei der Lektüre von Gesine Lötzschs Zeitungstext, betitelt mit "Wege zum Kommunismus", nicht klar. Sie schreibt von "schneller energetischer Sanierung des Wohnungs- und Gebäudebestands, um in den nächsten Jahrzehnten weitgehend CO2-neutrale Städte zu schaffen", von "Mindestlöhnen, sozialer Sicherheit", von "dem Ziel größtmöglicher Freiheit, Öffentlichkeit und Demokratie" - wie sagte Waigel? Wir müssen das schon mit dem liberalen und sozialen Aspekt verbinden.
Nicht ganz unwichtig ist deshalb Lötzschs Hinweis auf das "Projekt eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (...). Heute gibt es in Berlin und Brandenburg, Ländern, in denen unsere Partei mitregiert, Tausende Stellen in diesem Bereich." Im Koalitionsalltag ist die Linke, allen Schreckensszenarien zum Trotz, eine recht pragmatische Partei.
Lötzschs Beitrag darf, wie auch ein Teil der Kritik an ihm, als Element der alljährlichen Parteifolklore verstanden werden. Was der CSU die Klausurtagung in Wildbad Kreuth oder der politische Aschermittwoch, ist der Linken die Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 9. Januar in Berlin-Friedrichsfelde. Zeitlich passend dazu ist auf den 8. Januar die Rosa-Luxemburg-Konferenz der "Jungen Welt" terminiert, zu deren Teilnehmern Lötzsch gehört. Hier wird mit Traditionsgerassel jener Wählertypus motiviert, dessen konservativen Pendants sich die Unionsparteien lange Zeit bei den Vertriebenentreffen annahmen - doch letztlich dienen solche Zeremonien dem Abschied, nicht dem Neuaufbruch.
Und so, wie Vertriebenenverbände im Ruch des Revanchismus standen, als Ewiggestrige, die, trotz der Verbrechen des Nationalsozialismus, Gebietsforderungen stellen, wird das Wort Kommunismus so schnell nicht fallen, ohne dass auf Schießbefehl, Stasi-Gefängnisse, sowjetische Gefangenenlager, Deportationen verwiesen wird. "Wenn Linke über den Kommunismus reden, sollten sie nicht versäumen, daran zu erinnern, welche Verbrechen im Namen des Kommunismus verübt wurden", sagt der Berliner Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich.
Was ist mit der Idee?
Tatsächlich hätte Lötzsch in ihrem Text auf die im Namen des Kommunismus begangenen Großverbrechen hinweisen können, schreibt sie doch auch von "Perioden der Entfesselung des Kapitalismus und seines Übergangs in bloße Barbarei".
Doch ähnlich wie dieser Pauschalvorwurf an den Kapitalismus hilft die Dämonisierung des Begriffs Kommunismus nicht weiter.
Man relativiert die Taten Stalins nicht, wenn man darauf hinweist, dass im Namen fast jeder mächtigen Ideologie, fast jeder mächtigen Religion Menschheitsverbrechen verübt wurden - und das nicht, weil die Ideologie oder die Religion dies verlangt hätten, sondern weil die Täter gefangen waren in autoritären Denkstrukturen und im Irrglauben an die Wertlosigkeit ihrer Gegner.
Das Wort Kommunismus ist verbrannt. Was aber ist mit den Ideen, für die es steht? Die klassenlose Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben, der Staat als das Instrument der Klassenherrschaft abgestorben ist, mögen das Nirwana des Kommunismus sein, das nie erreicht wird.
Doch gerade dieses religiös heilsgeschichtlich aufgeladenen Endzustands wegen hat die Utopie von Marx und Engels halbe Generationen fasziniert. Wer den Kommunismus ablehnt, macht es sich zu einfach, formelhaft die Verbrechen des einstmals real existierenden Sozialismus aufzuzählen.
Wer den Kommunismus ablehnt, muss ihn als gesellschaftspolitisches Programm ernst nehmen und widerlegen - gerade in einer Zeit der Krise des Kapitalismus.
Bahnprivatisierung, Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften
Kampfformeln wie "Diktatur des Proletariats" oder "Arbeiter- und Bauernstaat" mögen antiquiert wirken in einer Zeit, in der aus dem stolzen Proletarier eine Witzfigur, der Proll, und aus dem Bauern ein Unternehmer mit dubiosen Futtermittelpraktiken geworden ist.
Aber bei den Diskussionen über die Privatisierung der Bahn, Staatshilfen für Banken, den Verkauf städtischen Eigentums, seien es Wohnungsbaugesellschaften oder Krankenhausträger, die Wiedereinführung eines städtischen Energieunternehmens, wie kürzlich in Hamburg geschehen, geht es um eine entscheidende Frage, die durchaus etwas mit Marx zu tun hat: Sollen die entscheidenden Unternehmen im Besitz weniger sein oder im Besitz der Allgemeinheit?
Haben wir uns also schon aufgemacht auf die von Gesine Lötzsch erwähnten "Wege zum Kommunismus"?
Die Linken-Vorsitzende mag ein wenig zu viel Xavier Naidoo gehört haben, wenn sie schreibt "dieser Pfad" sei "ein sehr langer und steiniger". Auch dürften sich nur wenige nach linksradikalen Ideologiedebatten in der WG-Küche oder marxistisch-leninistischer Schulung in der Oberschule Ernst Thälmann zurücksehnen.
Keineswegs verkehrt aber wäre es deshalb, in Auseinandersetzung mit Lötzsch, wieder gründlicher darüber nachzudenken, in welcher Welt man morgen leben möchte, welche Rolle dabei die so genannte Vergesellschaftung der Produktionsmittel spielen sollte und ob sich eine Utopie überhaupt umsetzen lässt, ohne dass es einer Geheimpolizei bedarf.
Politisches Gestalten braucht jenseits kurzatmiger Krisenbewältigung ein Ziel. Kein Politiker, der dieses Ziel Kommunismus nennt, dürfte damit derzeit nennenswerte Erfolge erzielen - und doch sind Elemente des kommunistischen Grundgedankens in der gesellschaftlichen Diskussion präsenter, als manchem lieb ist. Mit dem liberalen und sozialen Aspekt verbunden, versteht sich.