sueddeutsche.de, 07.01.2011
Die Geschichte der Korruption: "Was ist da für mich drin?"
Die BayernLB und die 50-Millionen-Dollar-Frage: Der Fehltritt von München eröffnet ein neues Kapitel in der Geschichte von Bestechungsskandalen in der deutschen Wirtschaft. Von bestechenden Ideen und kranken Systemen - eine kleine Kulturgeschichte der Korruption.
Wenn es heißt, ein Mensch sei unbestechlich, frage ich mich unwillkürlich, ob man ihm genug geboten hat. Joseph Fouché
Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, weiß der Volksmund. Und in jedem Unternehmen gilt, gewisse Gefälligkeiten auf Gegenseitigkeit seien gut fürs Geschäft. Menschen mögen Schmeicheleien, exklusive Informationen, geldwerte Leistungen und auch Bares. Wo aber liegt die Grenze, bei der es unmoralisch, ja schädlich und kriminell wird?
50 Millionen Dollar sind eine Dimension der besonderen Art. So viel jedenfalls erhielt der einstige BayernLB-Risikovorstand Gerhard Gribkowsky offenbar im Zuge eines Geschäfts seiner Bank privat über Beraterverträge - im Zuge eines Verkaufs von Formel-1-Anteilen der BayernLB an einen Finanzinvestor. Da das viele Geld nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von der Formel 1 selbst stammt, stellt sich die Frage: Wie hätte der Deal wohl ohne die 50 Millionen ausgesehen? Hätte die BayernLB vielleicht noch viel mehr Geld erlösen können? Und wäre womöglich das System des Formel-1-Magnaten Bernie Ecclestone zerfallen?
Der Fehltritt von München eröffnet ein neues Kapitel in der Geschichte von Bestechungsskandalen in der deutschen Wirtschaft. Korruption meint den privaten Missbrauch eines öffentlichen, anvertrauten Mandats und ist volkswirtschaftlich eine Betriebsstörung. Angebot und Nachfrage pendeln sich nicht mehr natürlich ein, Interessen sind verzerrt. Schmiergeld beeinträchtigt den Markt. Was soll noch das Gebot eines Leistungswettbewerbs, wenn sich jeder Wohlwollen nach Kassenlage kaufen kann?
Er halte die Vorgänge um Gribkowsky für einen "singulären Fall", sagt Caspar von Hauenschild, Vorstand der Antikorruptions-Organisation Transparency International. Wenn die Vorwürfe stimmten, sei das "völlig unmoralisch sowie zivilrechtlich und strafrechtlich relevant". In der Krise einer Bank kämen "solche Fälle dann eben hoch - erschreckend und tröstlich zugleich".
Gran corruption
Hauenschild war selbst 30 Jahre lang in Banken tätig - und sagt nun, ein Unternehmen, das solche Vorstände gewähren lasse, habe versagt: "Es herrschte offensichtlich eine laxe Führungskultur. Ein Risiko-Vorstand wird so selbst zum systemischen Risiko." Bei den gegenwärtigen Finanzmarktreformen habe man sich "fast ausschließlich auf technische Details konzentriert", etwa auf die Ausstattung der Banken mit Kapital, und zu wenig auf den Nachweis einer neuen Führungskultur.
Der Fall BayernLB/Gribkowsky weist auf Vorgänge aus dem Jahr 2005 - auf die Zeit vor den großen Skandalen bei Daimler, Siemens, MAN und Ferrostaal. Allen diesen vier Fällen ist gemein, dass die betroffenen Konzerne versuchten, mit Schmiergeldern Kunden gewogen zu machen. Bestechung als Verkaufshilfe. Die Daimler-Manager führten die dunklen Gelder dabei in ihren Papieren als "nützliche Aufwendungen" - ganz im Jargon ordentlicher Buchhalter. Dass auf Druck der OECD immer Staaten Auslandskorruption verfolgen, blieb in letzter Konsequenz unbeachtet.
Es hielt sich ein korruptes System. Die Manipulation von Geschäftsbeziehungen mit Geld war Usus. Die Forscher sprechen von gran corruption - so wie bei jenen Fällen, in denen Wirtschaftsführer politische Entscheidungsträger finanziell bedienten. Bei der legendären "Pflege der politischen Landschaft" durch den Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch vor mehr als 30 Jahren wurden die wichtigen Bundestagsparteien, Politiker und Stiftungen mit hohen Summen bedacht. Als Lohn der Leistung wirkte eine Steuerbefreiung: Für die Wiederanlage eines Erlöses aus dem Verkauf von 29 Prozent der Aktien am Daimler-Konzern wollte Flick nichts an den Fiskus zahlen. Es prägte sich der Slogan "Die gekaufte Republik" ein.
Natürlich blieb der Unterschied zu wirklichen Bananenstaaten groß. Heute sind Länder wie Somalia, Afghanistan, Birma, Sudan oder der Irak von Korruption regelrecht durchzogen. Aber auch in Deutschland hat das verschwiegene Mauschel-Geschäft durchaus Tradition: So schmierte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Berliner Angestellter der Waffenschmiede Krupp im großen Stil Beamte der Heeresverwaltung sowie Offiziere. Er bekam dafür vertrauliche Informationen über Preise und Konkurrenzprodukte. Und lieferte - unter dem Kennwort "Kornwalzer" - Geheimberichte an die Essener Krupp-Zentrale. 1949 wiederum soll bei der Abstimmung, ob Bonn oder Frankfurt Regierungshauptstadt wird, kräftig korrumpiert worden sein.
Lange, bis in die neunziger Jahre, hielt sich das Bild vom sauberen Deutschland. Inzwischen jedoch glauben sieben von zehn Bundesbürgern, die Korruption habe seit 2007 zugenommen. Für sie sind die Grenzen zwischen Bestechung und aggressivem Lobbyismus oft nicht zu erkennen. So erschien vielen die Mehrwertsteuerreduktion für Hoteliers, die sich die schwarz-gelbe Koalition nach Amtsantritt im Herbst 2009 einfallen ließ, als nachträgliches Geschenk für den Großhotelier August von Finck. Der Milliardär hatte im Wahlkampf der FDP und der CSU hohe Summen zukommen lassen.
Gehört die Causa Gribkowsky zu einem strukturellen Bestechungssystem? Aus seiner Sicht war es womöglich eine einzigartige Chance - Gelegenheitskorruption, petty corruption im Fachjargon. Der Manager fand sich auf einmal in zentraler Lage wieder: ein Einzelner, der das Geschehen einer Milliardenbranche beeinflussen konnte. "Asymmetrie" heißt das in der Korruptionsforschung.
An der Formel 1 hängen nun einmal wertvolle Fernsehrechte, und der Brite Bernie Ecclestone wollte von diesem System nicht lassen. Er hat den internationalen Rennzirkus aufgebaut. So wie der Weltfußball über den Verband Fifa und der Weltsport über das Internationale Olympische Komitee ist auch die Formel 1 patriarchalisch organisiert. Transparenz nicht erwünscht. Kein Wunder, dass auch Fifa und IOC von Korruptionsgeschichten erschüttert wurden.
Gier erzeugt Gier
Mutmaßliche Missetäter wie Gribkowsky empfinden in solchen Situationen Extrazahlungen oft als Leistungsbonus. Im Jahr 2004 sei am Finanzmarkt das Geschäft mit den Derivaten explodiert, erinnert sich Ex-Banker Hauenschild: "Es hieß nur: ,Alles ist möglich, anything goes.' In einem solchen Klima kann es leicht passieren, dass ein Bankmanager fragt: ,Und was ist da für mich drin?'"
Gier erzeugte Gier. Erst mit den großen Korruptionsfällen von 2006 an, vor allem durch Siemens, wo Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer gehen musste, änderte sich das Klima: Bestechung wurde als kriminelle Tat gegeißelt. Heute kann es sich kein Dax-Konzern mehr leisten, auf eine gute Korruptionsbekämpfung (Compliance) zu verzichten. Auf der anderen Seite zogen kompetente Korruptionsexperten bei den Staatsanwaltschaften ein. Nun ist Allgemein-Wissen, dass Korruption schadet: Hohe Strafzahlungen summieren sich, das Image der Firmen leidet. Die Wirtschaftsforschung erklärt, dass in Ländern ohne Korruption die Produktivität höher liege.
An die alte Zeit erinnert jetzt nur noch ein Banker in Haft.
Von Hans-Jürgen Jakobs