spiegel-online.de, 00:52 Uhr, 22.04.2011
Kein Parteiausschluss - Sarrazin blamiert die SPD
Ein Kommentar von Veit Medick
Ein paar Worte des Bedauerns genügten - und die SPD knickte ein: Mit einem seltsamen Kuhhandel verzichten die Sozialdemokraten auf einen Ausschluss von Thilo Sarrazin. Der Ex-Bundesbanker darf sich freuen. Und die Partei muss sich fragen lassen, was das ganze Theater sollte.
Berlin - Eins ist klar: So viel Kraft wie in das Parteiausschluss-Verfahren von Thilo Sarrazin hat die SPD zuletzt in wenige Dinge investiert. Im Willy-Brandt-Haus wurde ein eigener Stab eingerichtet. Anwälte wurden angeheuert. Die unterschiedlichsten Ebenen der Partei stimmten die Begründung penibel ab. Am Ende stand ein Ausschlussantrag, der - man halte sich fest - halb so lang war, wie das SPD-Grundsatzprogramm.
Alles für die Katz.
Gerade einmal fünf Stunden dauerte das Verfahren gegen den umstrittenen Ex-Bundesbanker. Das Ergebnis: Der Mann, dessen umstrittenes Buch die Sozialdemokraten über Monate als quasi-eugenische Hetzschrift gedeutet sehen wollten, darf in der SPD bleiben. Sarrazin gab eine nette persönliche Erklärung ab. Seine Widersacherin Andrea Nahles war zufrieden. Man einigte sich gütlich. Schönen Abend noch.
Wie bitte?
Es ist eine bemerkenswerte Kehrtwende, die die Sozialdemokraten da kurz vor den Osterfeiertagen hingelegt haben. Und eine, die die Partei beschädigt zurücklässt. Man fragt sich, was das ganze Theater sollte, wenn sich die Genossen am Ende mit einer dünnen Erklärung Sarrazins abspeisen, ja über den Tisch ziehen lassen. Von seinen Thesen nimmt er darin jedenfalls nichts zurück, von einem "Kotau", den mancher Parteifreund erkennen mag, kann schon gar nicht die Rede sein. Seine abschließenden Worte, er werde künftig darauf achten, die SPD-Grundsätze zu respektieren, klingen fast schon wie Hohn. Tatsächlich kann er jetzt nahezu machen, was er will. Noch einen Anlauf wird die SPD nicht unternehmen.
Taktisch mag aus SPD-Sicht einiges dafür gesprochen haben, das Verfahren so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Der Berliner Landesverband fürchtete Auswirkungen auf den Wahlkampf. Für die verunsicherte Bundespartei wäre ein langwieriges Verfahren sicher ein Klotz am Bein gewesen. Und es gab auch sehr gute Gründe, die grundsätzlich gegen dieses Verfahren sprachen, zum Beispiel den, dass Sarrazin so nur zu zusätzlicher Bedeutung verholfen wurde.
Aber wenn eine Partei schon der Meinung ist, ein Mitglied habe den eigenen Grundwerten den Krieg erklärt und gehöre deshalb ausgeschlossen, dann muss sie das auch durchfechten, dann darf Taktik keine Rolle spielen. Wird sie von der eigenen Schiedskommission ausgebremst, ist es wenigstens eine ehrliche Niederlage. So aber, wie die SPD sich aus der Sache zu stehlen versucht, wirkt sie einfach nur - orientierungslos.
Für einen ist der seltsame Frieden vom Gründonnerstag besonders unangenehm: SPD-Chef Sigmar Gabriel. Niemand in der Partei hatte leidenschaftlicher für einen Ausschluss plädiert, als er. Er warb für das Vorhaben auf dem Parteitag, er setzte sich in Fernsehstudios, um gegen Sarrazin zu Felde zu ziehen, und in der "Zeit" nahm er dessen Buch furios auseinander.
Jetzt ist auch er beschädigt. Die Frage ist, inwieweit Gabriel in die gütliche Einigung einbezogen war. Es ist eine wichtige Frage. Hat er die Entscheidung mit seiner Generalsekretärin abgesprochen, wäre er spektakulär eingeknickt. Hat Nahles auf eigene Faust gehandelt - was ihr durchaus zuzutrauen ist - wäre sie ihm auf ziemlich üble Art in den Rücken gefallen.
Dann hätte die SPD zu allem Überdruss noch ein ernstes Problem in ihrer Führungsriege.