spiegel-online.de, 12:24 Uhr, 21.04.2011
Vergesst die K-Frage!
spiegel-online Kolummne "Im Zweifel links" von Jakob Augstein
Die SPD träumt vom richtigen Kanzlerkandidaten. Aber wenn sich die Partei weiter so farblos zeigt, wie sie unter Steinmeier im Jahr 2009 war, dann können die Sozis die K-Frage vergessen. Auch nicht weiter schlimm: Die Grünen sind bereit, die linke Mitte zu besetzen.
Jetzt kommt Ostern. Da soll man an Wunder glauben, und dass auch Tote wieder auferstehen können. Gibt es also auch Hoffnung für die Sozialdemokraten? Tatsächlich: Die Sterne der Umfragen stehen günstig: Wäre jetzt Wahl, würde es für den Regierungswechsel reichen. Mit 47 Prozent hätten SPD und Grüne die Mehrheit im Bundestag. Aber die Grünen hätte ein bisschen mehr als die Sozialdemokraten - und Deutschland damit einen grünen Kanzler.
Dennoch lässt sich die SPD zu Spekulationen über die K-Frage hinreißen, die Frage aller Fragen der deutschen Politik. Man versteht ja noch, warum Journalisten Spaß daran haben, Eignung und Beliebtheit denkbarer grüner Kandidaten zu prüfen. Aber es ist schleierhaft, warum die SPD Führung öffentlich darüber spekuliert, ob Olaf Scholz oder Peer Steinbrück geeigneter ist, die Partei in die nächsten Wahlen zu führen.
Wenn Steinmeier und Gabriel über Kanzlerkandidaten nachdenken, dann erinnern sie an den Arbeitslosen, der morgens das Haus verlässt und abends zurückkehrt, als wäre alles wie sonst. Damit die Frau und die Nachbarn nichts merken und damit er selbst sich vormachen kann, alles sei wie früher. Aber es ist schon längst nichts mehr wie früher. Die SPD steckt in der Krise. Und die währt schon lange und wird nicht besser. Krise, der Begriff kommt aus der Medizin. Er bezeichnet den Wendepunkt der Krankheit, danach kommt Genesung oder Tod. Für die Sozialdemokraten geht es tatsächlich um alles. Die Grünen könnte ihre Rolle im Westen übernehmen, die Linkspartei im Osten. Wofür braucht Deutschland die SPD?
Als die SPD die Wahl 2009 verloren hatte - mit 23 Prozent! - hat Oskar Negt gesagt, die Fortsetzung der Großen Koalition wäre schlimmer gewesen als der Gang in die Opposition. Die "Profilnot" der SPD sei groß, hatte Negt gesagt. Und jetzt bestehe wenigstens die Chance, dass in der Opposition wieder "sozialdemokratische Ziele" sichtbar würden.
Müntefering-mäßig wird der Helm enger geschnallt
Hat die SPD diese Chance genutzt? Weiß sie, was sozialdemokratische Politik im neuen Jahrhundert bedeutet? Wofür steht die Partei? Wofür stand zum Beispiel Nils Schmid, der nette Jungsozi aus Baden-Württemberg? War er für oder gegen Stuttgart 21? War er für oder gegen Atomkraft?
Die Leute wussten es nicht und haben Grün gewählt.
Klare Positionen hat die SPD in der jüngeren Vergangenheit vor allem in der Sozial- und in der Kriegspolitik bezogen. Leider die falschen. Afghanistan und Agenda 2010, zweimal A wie Abstieg. Die Wähler haben beides bis heute nicht verziehen und die Parteiführung findet nicht den Mut, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Tapfer wirken die Sozis an jeder noch so unsinnigen Hartz IV-Reform mit und tapfer winken sie jede noch so sinnlose Mandatsverlängerung durch den Bundestag und machen immerzu Schlimmes noch schlimmer. Müntefering-mäßig: Helm enger schnallen und weitermarschieren. Auch wenn man, wie eine Figur im Comic, schon über den Rand der Klippe hinaus ist.
Die Partei hat nichts gelernt. Das Politbarometer der SPD steht im Moment auf den gleichen 23 Prozent, mit denen Steinmeier bei der letzten Wahl gescheitert ist. Dass der Mann der falsche Kandidat war, ließ sich schon vor dem Wahlabend absehen. Er war freundlich bis zur Unkenntlichkeit. Er hat versucht, Merkel in ihrem eigenen Spiel zu schlagen und getan, was er konnte, um jedes Profil zu vermeiden. Aber das ist ein politisches Rezept, das nur für einen reicht: Gegen die unkenntliche Kanzlerin mit noch mehr Unkenntlichkeit aufzutrumpfen, wie hätte das funktionieren sollen?
Die SPD muss Sozialdemokratie neu definieren
Merkel kann aus der Atomkraft aussteigen und Frauenquoten einführen und braucht sich um ihr Gerede von gestern nicht scheren. Die deutschen Konservativen habe kein Wertesystem, das sie verraten könnten. Sie sind ja nicht einmal konservativ. Sie empfinden sich als der Normalfall der Regierung und tun das Notwendige, um es zu bleiben.
Das ist prinzipienlos. Aber erfolgreich.
Wenn die SPD das auch versucht, scheitert sie. Sie muss Sozialdemokratie neu definieren und sie braucht einen Kandidaten, der das glaubhaft verkörpert. Sie braucht vor allem den Mut zur eigenen Haltung.
Vielleicht sollte die SPD mal von den Grünen lernen. Deren Fraktionschef Jürgen Trittin hat unlängst auf die Frage "Was macht Linkssein aus?" geantwortet: "Das Primat der Politik über den Markt. Das ist der Anspruch, dass Menschen sich als vernunftbegabte Wesen, als gleichberechtigte Subjekte begegnen können und sollen. Und dass Ungerechtigkeit nicht der erstrebenswerte Motor gesellschaftlicher Entwicklung sein sollte."
Wenn man es recht überlegt: Es wäre gar nicht so schlecht, wenn die Grünen den nächsten Kanzler stellten.