Süddeutsche Zeitung, 07.07.2011
Nach dem Handy-Skandal in Dresden - Offensive gegen Riesendatenberge
Von Wolfgang Janisch
Dresdens Polizei gerät ins Visier der Justizministerin: Die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger unterstützt Sachsens Initiative, nach dem Handy-Skandal die Rechte der Polizei zu beschränken. Bei Protesten gegen eine Neonazi-Demonstration in Dresden waren massenhaft Handy-Verbindungen ausgewertet worden.
Es war eine digitale Rasterfahndung: Bei Protesten gegen eine Neonazi-Demonstration in Dresden am 19. Februar waren massenhaft Verbindungsdaten von Handynutzern ausgewertet worden - der kürzlich aufgedeckte Datenskandal hat inzwischen den Dresdner Polizeichef seinen Posten gekostet. Nun fordert Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schärfere gesetzliche Vorkehrungen gegen die massenhafte Abfrage von Mobilfunkdaten. "Die Voraussetzungen für solche tiefen Eingriffe in die Privatsphäre müssen klarer formuliert werden", sagte sie am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung.
Die liberale Ministerin unterstützt damit ausdrücklich einen Vorstoß ihres sächsischen Amtskollegen und Parteifreunds Jürgen Martens. Der hatte am Dienstag Eckpunkte für eine Bundesratsinitiative zur Einschränkung der sogenannten Funkzellenabfrage vorgelegt. Dabei werden - auf richterliche Anordnung - in bestimmten Funkzellen alle angefallenen Verbindungsdaten eingesammelt und nach Hinweisen auf Straftäter durchforstet. Davon sind in der großen Mehrzahl Unbeteiligte betroffen: In Dresden sind in mehreren Funkzellen südlich des Bahnhofs etwa eine Million Datensätze von 300 000 Handynutzern abgefragt worden. Es ging um schweren Landfriedensbruch - doch bisher konnten laut Staatsanwaltschaft keine Täter ermittelt werden.
Martens will die Funkzellenabfrage nur beim Verdacht auf schwere, im Gesetz aufgelistete Straftaten erlauben; bisher reicht eine "Straftat von erheblicher Bedeutung". Außerdem will er Vorgaben zur Verhältnismäßigkeit, zur Dokumentation der Anordnung und zum Datenschutz formulieren. Es müsse noch genauer geprüft werden, ob die massenhafte Erhebung dieser Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Straftaten stehe.
Leutheusser nannte die Initiative, härtere und transparentere Regeln zu schaffen, einen wichtigen Vorstoß. "Funkzellenabfragen dürfen nicht beliebig vorgenommen werden." In Dresden seien Tausende von Handynutzern "unter Generalverdacht" geraten, nur weil sie zufällig mit ihrem Mobiltelefon in der Nähe der Neonazi-Demonstration gewesen seien. "Anwohner, Journalisten, Rechtsanwälte und selbst Abgeordnete wurden durch Auswertung ihrer Verbindungsdaten erfasst und durchleuchtet", kritisierte die Ministerin. Deshalb sei der sächsische Vorstoß richtig, die Hürden für solche Abfragen anzuheben und die Rechte der Betroffenen zu stärken. Ob sie als zuständige Ministerin einen eigenen Gesetzentwurf formulieren will, ließ sie offen.
Strenge Grenzen, großzügig interpretiert
Im Jahr 2009 war in etwa 16 000 Fällen die Erhebung von Verkehrsdaten nach der einschlägigen Vorschrift des Paragrafen 100g Strafprozessordnung angeordnet worden. Wie häufig die Abfrage von Funkzellen verfügt wurde, ist nicht eigens ausgewiesen, aber eine Untersuchung des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht ging 2008 von 10 Prozent aus - das wären etwa 1600. Die Auswertung der Daten aus einer Funkzelle ist wegen ihrer großen Streubreite besonders problematisch: Anders als bei der gezielten Abfrage bestimmter Telefonnummern gleicht sie eher der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Deshalb sind für ihre richterliche Anordnung schon jetzt strenge Grenzen formuliert - die aber im Dresdner Fall offenkundig großzügig interpretiert worden waren.
Die Justizministerin sieht sich durch die Dresdner Vorfälle zugleich bestärkt in ihrer Ablehnung einer massenhaften Vorratsdatenspeicherung. "Der sächsische Datenschutzskandal zeigt, dass bereits heute Riesendatenberge mit Telekommunikationsdaten existieren." Leutheusser stemmt sich gegen die von der Union geforderte anlasslose Speicherpflicht für Verbindungsdaten und hat einen Entwurf für ein sogenanntes "Quick-Freeze"-Verfahren vorgelegt. Danach sollen die bei den Telekommunikationsdienstleistern vorhandenen Daten bei einem Verdacht umgehend eingefroren und - wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen - im Ermittlungsverfahren wieder "aufgetaut" werden. Die Kritiker haben Leutheusser immer wieder entgegengehalten, ohne generelle Speicherpflicht komme die Polizei in der Regel zu spät - die Daten seien bereits gelöscht, sodass nichts mehr eingefroren werden könne. "Die Dresdner Vorfälle zeigen die Schieflage der ganzen Debatte über die Vorratsdatenspeicherung", kritisierte die Ministerin. Die Geschehnisse widerlegten die Behauptung, es gebe gar keine Telekommunikationsdatenberge.