Süddeutsche Zeitung, 10.09.2011
Diskussion um Vorratsdatenspeicherung : Staat mit starken Stacheln
Ein Kommentar von Heribert Prantl
Deutschland muss keine Daten horten: Vermuten die Sicherheitsbehörden eine staatsgefährdende Straftat, dürfen sie Verdächtige überwachen, verwanzen, sogar einsperren. Wer wie die Union jeden gefassten Bombenbastler nutzt, um die Vorratsdatenspeicherung zurückzufordern, der verharmlost den echten Terrorismus.
Nehmen wir mal an, die Herren Özcan Mutlu und Bülent Arslan kaufen beim Aldi die dortigen Vorräte an Backpulver auf. Weil man damit sowohl Kuchen backen als auch Bomben basteln kann, werden die Behörden aufmerksam. Es stellt sich schnell heraus, dass die beiden unverdächtig sind: Der eine sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, der andere im CDU-Landesvorstand von NRW. Die Herren haben fürs multikulturelle Back- und Kinderfest eingekauft.
Wenn die Herren anders heißen und nicht in Landtagen, sondern in merkwürdigen Lokalitäten zu Hause und womöglich auch keine Kuchenbäcker sind - dann gibt es im Strafrecht einen großen Knopf, auf den die Sicherheitsbehörden jederzeit drücken können; dann fährt der starke Staat seine Stacheln aus: Der Knopf heißt 89a, er sitzt im Strafgesetzbuch und er dreht sich um die "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat".
Diese Tat muss noch gar nicht irgendwie bestimmt sein; schon bevor sie sich im Kopf möglicher Täter konkretisiert, dürfen sämtliche Telefonate der Backpulver-Käufer überwacht, ihre Wohnungen durchsucht, verwanzt und verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Die Leute können sogar in Haft genommen werden. Dieser Alarmknopf wurde vor zwei Jahren ins Strafgesetz montiert, nicht um Leute zu fassen, die schon etwas auf dem Kerbholz, sondern um diejenigen zu packen, die Verbotenes im Kopf haben.
Die Vorschrift, eine der längsten, die es im Strafgesetz gibt, dient weniger der Verfolgung und Aburteilung von Tätern, als der Ermöglichung umfassender Ermittlungsmaßnahmen. Weit vor dem echten Verdacht, noch im Vorfeld einer Tat, soll mit dem Instrumentarium der Strafverfolgung zugegriffen werden können - auch gegen Leute, die nicht irgendeinem Netzwerk zuzuordnen sind. Dieses Anti-Terrorstrafrecht eilt der Tat weit voraus; es setzt schon ein, wenn die Dinge noch nicht richtig fassbar sind. Auf die angeblichen Berliner Bombenbastler wurde auf diese Weise zugegriffen.
Man kann streiten, ob dieser Alarmknopf 89a ins rechtsstaatliche Strafrecht passt. Sicher ist aber, dass der Berliner Fall untauglich dafür ist, um nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zu rufen. Angesichts der schier grenzenlosen Einsatzmöglichkeit des Knopfes 89a ist das grenzenloser Nonsens. Man konnte ja, wie der Fall Berlin zeigt, schon im Vorfeld einer Tat sehr viel mehr tun, als nur Daten auf Vorrat speichern.
Die Speicherung sämtlicher Telefondaten sämtlicher Bürger auf Vorrat (um dann später aus diesen Datenmassen verdächtige Daten herauszupicken) ist ein Eingriff mit einer "Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt", so hat das Verfassungsgericht geurteilt, als es die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärte. Seitdem tobt in der Koalition zwischen CDU/CSU und FDP heftiger Streit über die Zukunft dieser Datenspeicherung.
Die CDU/CSU tut dabei so, als gäbe es den Spruch des Gerichts gar nicht und würde diese am liebsten wieder so einführen, wie sie einst existierte. Dabei ist der Vorschlag der Bundesjustizministerin völlig ausreichend: Bei einem vagen Verdacht will sie Daten von Leuten, die später bei Ermittlungen nützlich sein könnten, einfrieren - und sie später, wenn sich der Verdacht konkretisiert, auftauen. So sieht der kluge Versuch aus, Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden.
Auch angesichts eines Paragrafen 89a braucht man keine Vorratsdatenspeicherung mehr - getreu der rechtsstaatlichen Devise: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen. Es dient nicht der Terrorismusbekämpfung, ständig neue Paragrafen zu fordern; das dient nur der Abnutzung.
Wer aus durchsichtigen Gründen verirrte Deppen wie die angeblichen Bombenbastler zu gefährlichen Terroristen aufbläst, um dann die Vorratsdatenspeicherung daran festzumachen - der verharmlost den echten Terrorismus.