Karl Nolle, MdL

WELT, 27.09.2011

Beim MDR geht es zu wie im Schlachthof

Eklat beim MDR: Der einzige Kandidat für die Intendanz fällt bei der Wahl durch. Die Rundfunkräte rächen sich damit für zu viel Einmischung durch Sachsens Staatskanzlei.
 
Es ist der Tag der Entscheidung, so viel ist schon klar, als um elf Uhr im Börsensaal des alten Leipziger Schlachthofs die Türen zugezogen werden und sich 41 Mitglieder des Rundfunkrats zu einer Sitzung zurückziehen. Der Sender, den die Rundfunkräte beaufsichtigen, der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), braucht einen neuen Intendanten.

Es gibt nur einen Kandidaten: Bernd Hilder, Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“. Für ihn hat sich Sachsens konservative Landesregierung in einer Art und Weise starkgemacht, die selbst den unionsgeführten Ländern Thüringen und Sachsen-Anhalt suspekt war.

"Der Hammer!", "29 gegen ihn!"

Eineinhalb Stunden später ist die Blamage perfekt. Die ersten SMS-Nachrichten dringen nach draußen, aus ihnen spricht Ungläubigkeit. „Der Hammer!“, „29 gegen ihn!“ Satzfetzen, fast alle mit Ausrufezeichen.

Ganze zwölf Stimmen hat Hilder bekommen. Von der nötigen Zweidrittelmehrheit ist er damit so weit entfernt wie die Leipziger MDR-Zentrale vom Planeten Uranus. Der Ausgang ist selbst für jene Räte, die in den vergangenen Tagen von einer Niederlage Hilders immer überzeugter schienen, unerwartet deutlich.

Das Ergebnis bedeutet, dass einige Rundfunkräte, die der CDU nahestehen, Hilder durchfallen ließen. Die Wahl hat daher viele Verlierer. Hilder, die sächsische Staatskanzlei und den MDR vor allem.


Reiter hinterlässt Sender in einer tiefen Krise

Udo Reiter, 67 Jahre alt, gibt Ende Oktober sein Intendantenamt vorzeitig auf. Er hinterlässt einen Sender, der durch zwei beispiellose Skandale – gerade erst der Betrugsfall beim Kinderkanal KiKa und die Affäre um den geschassten Fernsehunterhaltungschef Udo Foht – in der tiefsten Krise seit seiner Gründung vor 20 Jahren steckt.

Die Granden der ARD sind zunehmend verärgert über die Eskapaden in Leipzig, denn sie ramponieren in schöner Regelmäßigkeit den Ruf des gesamten Senderverbunds. Dass Reiter außerdem selbst den Kollegen in der ARD meist nur das sagt, was ohnehin schon in den Zeitungen steht, macht die Sache nicht besser. Nichts bräuchte der Sender dringender als Ruhe. Nun steht er erst einmal ohne Führung da. Aber mit einem neuem Eklat.

Hilders Scheitern ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohne Beispiel, zumindest in der jüngeren Vergangenheit. Er war vom Verwaltungsrat, dem wichtigsten Gremium des Senders, vorgeschlagen. Die Zustimmung des Rundfunkrats wäre früher eher eine Formsache gewesen. Hilder musste erfahren, dass diese Regel unter den besonderen Bedingungen nicht galt. „Schade“, sagt er selbst. „Gerne hätte ich dem MDR geholfen, aus seiner Krise zu kommen.“


Nähe zur Staatskanzlei schadete Zeitunsgmann Hilder

Dass es nun anders kam, liegt nicht allein an Hilder. Er hat bei seinen Vorstellungsauftritten in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt vielleicht nicht alle Parteifreunde und Kritiker überzeugt. Vor allem aber sieht es so aus, als hätte ihm die Dresdner Staatskanzlei in der entscheidenden Phase der Intendantenwahl mehr geschadet als geholfen.

Denn bis zum bitteren Ende ist Hilder den Makel nicht losgeworden, dass er als Mann der sächsischen CDU galt, vor allem als der des sächsischen Staatskanzleichefs Johannes Beermann.

Da war die Abstimmung im Verwaltungsrat, die Hilder überhaupt erst zum alleinigen Kandidaten machte. Sie verlief merkwürdig. Im ersten Wahlgang stimmte der Rat mit vier zu drei Stimmen für Hilders Kontrahentin, die MDR-Justiziarin Karola Wille.

Erst nach vier Wahlgängen und zwischenzeitlich einigen Abstimmungen zwischen CDU-nahen Mitgliedern hatte Hilder das Quorum von fünf Stimmen auf seiner Seite. Und schließlich gab es im Vorfeld der Abstimmung im Rundfunkrat ein juristisches Gezerre um die Anzahl der möglichen Wahlgänge. Es erweckte den Eindruck, als solle so oft gewählt werden, bis das Ergebnis politisch genehm ist. Und sei es, dass der Kandidat am Ende genau deshalb scheitert.


Kühle Stellungnahme der Rundfunkräte nach dem Eklat

Dazu muss man wissen, dass Sachsen in der Dreiländeranstalt MDR als bevölkerungsreichstes Land einen deutlich größeren Einfluss hat als Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Der Eindruck, der sich am Ende offenbar verfestigte und der den Ausschlag gab: dass ein öffentlich-rechtlicher Sender offensichtlich und ungeniert für politische Zwecke instrumentalisiert wurde, wie man es bisher selten erlebt hat. So jedenfalls klingt es am Montag, wenn man nach der Abstimmung nach den Gründen fragt.

Die Grünen im sächsischen Landtag kritisieren das „Bulldozer-Vorgehen“ Beermanns. Die Fraktionschefs der Linken im Sendegebiet interpretieren das Ergebnis als „Ohrfeige“ für die sächsische Staatskanzlei. Selbst CDU-nahe Rundfunkräte sehen es so, zumindest die aus Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Wie groß die Verärgerung auch unter den Rundfunkräten gewesen sein muss, die keinem politischen Lager angehören, verrät die kühle Stellungnahme von Johannes Jenichen, dem Kirchenmann und Rundfunkratsvorsitzenden: „Der Rundfunkrat hat sich als souveränes Gremium demokratisch mehrheitlich gegen Herrn Hilder als künftigen MDR-Intendanten entschieden. Jetzt erwarten wir einen neuen Vorschlag des Verwaltungsrats, über den wir dann fristgemäß entscheiden werden.“


Auch MDR-Verwaltungsrat gehört zu den Verlierern

Nun ist also der Verwaltungsrat wieder am Zug. Auch er gehört zu den Verlierern der missglückten Intendantenkür. Er hat dem Rundfunkrat einen Kandidaten vorgeschlagen, der nicht einmal ein Drittel der Stimmen erhalten hat. Die Abstimmung der Rundfunkräte ist daher auch ein Misstrauensvotum gegen den Verwaltungsrat.

Gegen ein Gremium also, in dem die CDU auf eine sichere Mehrheit bauen kann. Die hat sie ausgespielt. Nach Ansicht von Kritikern allerdings hat der Rat mit der Nominierung Hilders nur den Willen der sächsischen Staatskanzlei vollstreckt. Genutzt hat es offenkundig nichts, im Gegenteil.

Der Verwaltungsrat hat sich noch am Montag getroffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Vereinbart wurde ein weiteres Treffen am 9.?Oktober. Die Zeit drängt. Am 31.?Oktober dieses Jahres hat Intendant Udo Reiter seinen letzten Arbeitstag.


Reiters Stellvertreterin könnte doch noch nachrücken

Sollte es bis dahin keinen Nachfolger geben, würde Reiters Stellvertreterin Karola Wille den MDR übergangsweise führen. Wenn sie nicht doch noch offiziell als Kandidatin vorgeschlagen wird. Die MDR-Justiziarin, gebürtige Chemnitzerin, galt lange als Favoritin.

Ihr werden, über alle politischen Lager hinweg, Verdienste bei der Aufklärung des jüngsten MDR-Skandals um den suspendierten Unterhaltungschef Udo Foht zugebilligt. Auf ihr Betreiben hin erstattete der Sender Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. In internen Dokumenten ist allerdings nachzulesen, dass Intendant Reiter und sein Fernsehdirektor Wolfgang Vietze ihr gegenüber mehrere Wochen lang Vorgänge zurückhielten, die Foht schwer belasteten.

Neben Wille werden zwei weitere mögliche Kandidaten aus dem MDR genannt: Werner Dieste, Direktor des Landesfunkhauses in Thüringen, und Johann Michael Möller, MDR-Hörfunkdirektor mit Sitz in Halle. Beide stammen aus dem Westen, was viele Rundfunkräte als Manko empfinden.

Reiter übrigens hat das spektakuläre Abstimmungsergebnis dieses Montags ziemlich gelassen hingenommen: „Das hat mit mir alles nichts mehr zu tun.“

Karl Nolle im Webseitentest
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