spiegel-online.de, 13:59 Uhr, 29.10.2011
Bad-Bank-Bilanz der Hypo Real Estate - Ganz überraschend 55 Milliarden "aufgetaucht."
Opposition will Aufklärung über 55-Milliarden-Rechenfehler
Um satte 55,5 Milliarden Euro verrechnet - für die SPD ist die Bilanzkorrektur der Hypo Real Estate ein Beweis dafür, dass Bundesfinanzminister Schäuble die Staatsschulden nicht im Griff hat. Fraktionsgeschäftsführer Oppermann fordert schnelle Aufklärung. Doch der Fall weckt viel weiter reichende Zweifel.
Berlin - Es geht um die Grundrechenarten Addieren und Subtrahieren - und um 55,5 Milliarden Euro Schulden. Plötzlich stehen die Skandalbank Hypo Real Estate und ihre sogenannte Bad Bank FMS wieder im Rampenlicht. Und das Bundesfinanzministerium gleich mit. Die SPD verlangt Aufklärung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), und die Grünen stellen die bange Frage, inwieweit das gesamte Finanzsystem noch zu kontrollieren ist.
Der Fall ist schier unglaublich: Wie stern.de meldete, hatte die FMS Wertmanagement zunächst die Bilanz für 2010 korrigiert und dort bereits 24,5 Milliarden weniger Schulden ausgewiesen als zunächst bekannt. In der Bilanz für 2011 sollen demnach weitere 31 Milliarden Euro hinzukommen. Als Folge davon verringern sich auch die deutschen Staatsschulden um insgesamt 55,5 Milliarden Euro. Dieser Fakt ist auch im Finanzministerium bereits seit Wochen bekannt, öffentlich wurde er erst jetzt, obgleich die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom September laut stern.de schon einen Hinweis darauf gab.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sieht die Verantwortung für den Bilanzfehler ganz klar bei Schäuble. Dieser sei "dafür verantwortlich, dass die Bank ordnungsgemäß geführt und beaufsichtigt wird", dies sei offensichtlich nicht geschehen. Schäuble müsse schnell aufklären, "wieso er sich um 55,5 Milliarden Euro verrechnet hat", verlangte Oppermann. "Das ist kein Beitrag, den die schwäbische Hausfrau in einer Keksdose versteckt und vergisst." Einen solchen Betrag zu übersehen, sei "völlig unverantwortlich". Das Bundesfinanzministerium scheine angesichts immer neuer Rettungspläne für die Euro-Zone "völlig die Übersicht verloren" zu haben.
Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, hält sich mit konkreten Schuldzuweisungen zunächst zurück. "Wir werden den Sachverhalt erst einmal genau untersuchen, dann aber verlangen wir Antworten", sagte er SPIEGEL ONLINE. Es sei aber schon bemerkenswert, das hochqualifizierte Bilanzbuchhalter in der Abrechnung einen Betrag übersehen könnten, der ungefähr ein Viertel des Gesamtvolumens des FMS Wertmanagement ausmache.
In der FMS lässt das Finanzministerium die faulen Kredite und die toxischen Wertpapiere der 2010 in die Schieflage geratenen Hypo Real Estate verwalten. Im Oktober 2010 hatte die tief in die Verlustzone gerutschte HRE im Zuge eines Sanierungskonzepts faule Wertpapiere und nicht notwendige Geschäftsbereiche in die staatliche FMS Wertmanagement ausgelagert. Die HRE war während der Finanzkrise 2009 verstaatlicht worden, um einen Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern. Mit Hilfe von insgesamt rund 175 Milliarden Euro an Garantien, Kapitalspritzen und sonstigen Hilfszahlungen wurde sie damals vor dem Aus bewahrt.
Gesamtverschuldung reduziert
Das Finanzministerium erklärte laut "Süddeutscher Zeitung", bei den 55,5 Milliarden Euro handele es sich offenbar um "fehlerhafte Doppelbuchungen". Der Fall müsse noch genauer untersucht werden. Speziell handele es sich um Sicherheitsleistungen für Forderungen und Verbindlichkeiten. Sie seien vom Computersystem in der Bilanz aufaddiert worden, obwohl sie voneinander hätten abgezogen werden müssen. Im Klartext: Minus und Plus verwechselt.
Inzwischen hat Schäubles Ministerium die aktualisierten Zahlen für 2010, also abzüglich der 55,5-Milliarden-Euro-Schuld, an die zuständige EU-Behörde Eurostat gemeldet - was rückwirkend zu einer Absenkung des deutschen Staatsschuldenberges im Jahr 2010 von 84,2 Prozent auf 83,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) führte.
Für das Jahr 2011 erwartet das Ministerium nun eine Schuldenquote von nur noch 81,1 Prozent des BIP - das sind 2,6 Prozentpunkte weniger, als die Regierung noch Ende September nach Brüssel meldete.
Experten sehen Fehler im System
Doch so unglaublich der Rechenfehler auch anmutet - Experten wundern sich darüber eigentlich nicht. "Speziell die Buchprüfer stehen unter einem immensen Druck, die hochkomplizierten Zahlenkonglomerate möglichst schnell abzusegnen", erklärt ein Wirtschaftsprüfer, der nicht genannt werden möchte. Gerade die Großgesellschaften arbeiteten in solchen Fällen eine Art Checkliste ab, die teils vollautomatisch über Computerprogramme liefen, erklärt er. "Das hat dazu geführt, dass selbst Fachleute die Zahlenwerke kaum mehr durchblicken."
Einen ähnlichen Verdacht hegt auch Grünen-Finanzfachmann Schick: "Das System ist im Grunde kaum noch zu kontrollieren. In diesem Fall ging es glücklich aus, weil unter dem Strich einige Milliarden übrig blieben", sagt er. Doch beim nächsten Mal könnte es genau umgekehrt sein.
Was die HRE beträfe, wagt Schick ohnehin keine Prognose mehr, wie viel die Steuerzahler am Ende bezahlen müssten. Ähnlich äußert sich auch CDU-Finanzexperte Norbert Barthle: "Jede Rechnung in Sachen HRE ist verfrüht. Wir müssen einfach abwarten, was übrig bleibt, wenn die Bad Bank ihre Arbeit erledigt hat."
Von Michael Kröger mit Material von AFP