spiegel-online.de, 11.11.2011
Zoff um Mindestlohn: CDU-Linke zweifeln an Merkels Bekenntnis
Die CDU streitet offen über den Mindestlohn. Die Kanzlerin stellt sich auf die Seite des Wirtschaftsflügels - und kassierte dafür harsche Kritik. Nun legt Christian Bäumler, Sozialexperte der Partei, nach: Merkel wolle in Wahrheit gar keine Lohnuntergrenze.
Stuttgart - Wenn sich die CDU am Montag zum Parteitag trifft, dürfte vor allem ein Thema für reichlich Diskussionsstoff sorgen: Der Streit um den Mindestlohn. Kurz vor dem Bundestreffen hat der CDU-Sozialflügel den Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal erhöht. "Unsere Parteivorsitzende hält sich nicht an die innerparteilichen demokratischen Spielregeln", sagte CDA-Vize Christian Bäumler am Freitag der Nachrichtenagentur dpa.
Die Antragskommission habe beschlossen, dass es eine einheitliche Lohnuntergrenze geben soll, der an den Mindestlohn in der Zeitarbeit angebunden ist. Es sei, so Bäumler, nicht akzeptabel, dass Merkel diesen Beschluss kippen wolle, um einen nach Branchen und Regionen differenzierten Mindestlohn durchzusetzen. "Das bringt für mich zum Ausdruck, dass sie den Mindestlohn gar nicht haben will", sagte Bäumler.
Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft bestehe darauf, dass der Beschluss der Antragskommission erhalten bleibe. "Hier einen Wischi-Waschi-Beschluss zu machen, das bringt uns nicht weiter." Der Parteitag in Leipzig müsse nun entscheiden.
Merkel hatte sich für einen Mindestlohn ausgesprochen, aber eine flächendeckende Orientierung an Zeitarbeitsbezügen von rund sieben Euro pro Stunde abgelehnt. Damit stellt sie sich gegen den zentralen Antrag für den Parteitag am Montag und Dienstag.
In der Empfehlung der Antragskommission heißt es: Der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" solle konsequent umgesetzt und an der Zeitarbeitsbranche orientiert werden. Es müsse eine allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen eingeführt werden, wo es keinen Tarifvertrag gibt. Den Stundenlohn festlegen soll eine Kommission der Tarifpartner aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.
Gröhe rechnet mit lebhafter Debatte in Leipzig
Einen Kompromiss wie ihn Generalsekretär Hermann Gröhe anpeilt, lehnt der Sozialflügel ab. "Wir haben uns schon genug bewegt, indem wir den Begriff gesetzlicher Mindestlohn aufgegeben und einer Kommissionslösung zugestimmt haben", so Bäumler. Der baden-württembergische CDA-Landeschef erklärte weiter: "Es muss am Ende eine einheitliche Lohnuntergrenze für alle Branchen geben, in denen es keine Tarifverträge gibt."
Auch Gröhe erwartet in Leipzig eine "lebhafte Debatte" der Delegierten über Mindestlöhne. Dabei gehe es nicht um die Frage, ob die CDU eine Lohnuntergrenze für erforderlich halte, sondern um die Umsetzung, sagte er am Freitag in Berlin. Einer aktuellen Umfrage zufolge entspricht dies auch den Vorstellungen der Deutschen. Lediglich zehn Prozent der Befragten lehnten im aktuellen ZDF-Politbarometer Lohnuntergrenzen generell ab.
jok/dpa