Agenturen dpa, 20:22 Uhr, 18.11.2011
Suche nach Neonazi-Trio: Rolle von Zielfahndern umstritten
Erfurt (dpa/th) - Das Handeln des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) bei der Verfolgung des Jenaer Neonazi-Trios wirft weiter Fragen auf. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete am Freitag, eine geplante Festnahme der abgetauchten Bombenbauer sei Ende der 1990er Jahre in letzter Minute gestoppt worden. Zielfahnder hätten zwischen 1998 und 1999 die drei Tatverdächtigen in Chemnitz aufgespürt, berichtete MDR Thüringen am Freitag. Dagegen erklärte das LKA mit Hinweis auf den Zeitraum 1998 bis 2000, Zielfahnder hätten das Jenaer Neonazi-Trio nach seinem Abtauchen gar nicht im Visier gehabt.
Die Zielfahnder hätten in den Jahren 1998 bis 2000 zu keinem Zeitpunkt Kenntnis vom konkreten Aufenthaltsort von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gehabt, teilte das LKA am Freitagabend mit. Zunächst war nur von den Jahren 1999 und 2000 die Rede. Später präzisierte die Behörde dann ihre Angaben und teilte mit, dass die Angaben «auch den Zeitraum der Fahndung im Jahr 1998» umfassten.
Weil der Aufenthaltsort des Trios unbekannt gewesen sei, sei auch kein Einsatz des Spezialeinsatzkommandos (SEK) für eine Festnahme in Chemnitz geplant gewesen. Es sei deshalb auch nicht richtig, dass eine «Festnahme auf Weisung der vorgesetzten Stelle nicht durchgeführt wurde». Das LKA verwies zudem auf die vom Innenministerium eingesetzte Untersuchungskommission, die ihre Arbeit am kommenden Mittwoch (23. November) aufnehme.
Der MDR hatte berichtet, das alarmierte SEK des Thüringer Landeskriminalamtes habe einen fertigen Einsatzplan für die Festnahme gehabt, sei aber kurz vor dem Aufbruch nach Sachsen gestoppt worden. Laut MDR soll das LKA damals auch die Zielfahnder zurückgerufen haben. Das Thüringer Innenministerium wollte den Bericht mit Verweis auf die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und die Untersuchungskommission nicht kommentieren.
Nach den MDR-Informationen sollen sich die beteiligten LKA-Beamten massiv beschwert haben, woraufhin es ein Gespräch zwischen «hohen Vertretern des Innenministeriums» und den Polizisten gegeben habe. Unklar sei, ob ihnen dabei ein Grund für den Abbruch der Aktion genannt worden sei. Die drei Mitglieder der späteren Terrorzelle waren der Polizei als mutmaßliche Bombenbauer ins Visier geraten. Bei einer Razzia Anfang 1998 fanden die Ermittler eine Werkstatt mit vier funktionsfähigen Rohrbomben und 1,4 Kilogramm des Sprengstoffs TNT. Das Trio tauchte unmittelbar nach dem Fund der Werkstatt unter.
Thüringens ehemaliger Innenminister Richard Dewes (SPD) wollte den Bericht nach MDR-Angaben nicht kommentieren, da er «rechtliche Regeln» beachten müsse. Dewes war in der CDU/SPD-Koalition in Thüringen von 1994 bis 1999 Innenminister. Sein Nachfolger Christian Köckert (CDU) war nach der für die SPD verlorenen Landtagswahl am 1. Oktober 1999 als Innenminister vereidigt worden. Köckert hatte zuletzt gesagt, dass er sich an die Fahndung nach den flüchtigen Bombenbauern nicht erinnere. Es sei eine «anachronistische» Annahme, dass ein Minister über alle derartigen Vorgänge informiert sei. Die Ermittlungen gegen das Trio waren 2003 wegen Verjährung eingestellt worden.
Vor knapp einer Woche hatte Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) in einem Gespräch mit der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» die Vermutung eines LKA-Zielfahnders aus dem Jahr 2001 erwähnt, wonach einer der mutmaßlichen Täter durch eine Behörde gedeckt werde. Damals sei vermutet worden, dass eine der gesuchten Personen eine Quelle des Verfassungsschutzes gewesen sei. Daraufhin habe der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz reagiert und dienstliche Erklärungen in seinem Hause zu dem Vorwurf eingeholt. Die Auskünfte hätten ergeben, dass der Kriminalbeamte falsch gelegen habe.
Autor: Christian Schneider
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182022 Nov 11