spiegel-online.de, 20:59 Uhr, 04.12.2011
NPD-Verbotsverfahren: Ex-Verfassungsrichter warnt vor "Falle"
Ein neues NPD-Verbotsverfahren könnte sich als "unsägliche Falle" erweisen: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier hat sich gegen einen voreiligen Anlauf ausgesprochen. Derweil diskutieren Politiker bereits mögliche Alternativen.
Berlin - Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat vor einem voreiligen NPD-Verbotsverfahren gewarnt. "Meine Befürchtung ist, dass sich die Politik für einen neuen NPD-Verbotsantrag entscheidet, ohne vorher die Erfolgsaussichten genau zu prüfen", sagte Papier der Zeitung "Die Welt" (Montagsausgabe): "Die Politik ist dabei, wieder in eine unsägliche Falle hineinzulaufen".
Nach der Festnahme des ehemaligen NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben am vergangenen Dienstag hatten Politiker parteiübergreifend für ein neues NPD-Verbotsverfahren plädiert. Die Bundesanwaltschaft hatte Wohlleben verhaften lassen, weil er die Mitglieder der mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle bei ihren Morden unterstützt haben soll. Er steht im Verdacht, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit einer Schusswaffe und Munition versorgt zu haben.
Der Fall Wohlleben könnte laut Papier nicht genügen
Papier verwies nun darauf, dass die mögliche Verwicklung Wohllebens für ein NPD-Verbot nicht ausreichen könnte: "Die NPD - und nicht nur einer ihrer Funktionäre - müsste in diese mörderischen Anschläge in irgendeiner Form verwickelt sein". In einem Verbotsverfahren müsse bewiesen werden können, dass "die Partei als solche die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft", sagte Papier.
Ein erstes Verbotsverfahren war 2003 in der Amtszeit Papiers gescheitert, weil Informanten des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der rechtsextremen Partei tätig waren. Ein zweites Scheitern würde "einen ganz fatalen Schaden für die politische Kultur in diesem Land anrichten", warnte Papier. Zwar sei eine Partei im braunen Spektrum "unserer Demokratie äußerst abträglich". Doch dürfe man "die rechtsstaatlichen Voraussetzungen eines Verbots nicht aus den Augen verlieren"
Politiker suchen nach Alternativen zum Verbot
Nach den schnellen Forderungen für ein neues NPD-Verbotsverfahren mahnen nun auch verschiedene Politiker zur Bedachtsamkeit: Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", die Sache dürfe "nicht mit heißem Herzen, sondern sie muss mit kühlem Kopf entschieden werden".
Volker Beck, der parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, erklärte am Sonntag, man solle die Warnung Papiers sehr ernst nehmen: "Ein erneutes Scheitern eines Verbotsantrages wäre verheerend, deshalb ist jetzt Besonnenheit gefragt statt eines Überbietungswettbewerbes."
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach sich im "Focus" dafür aus, die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Auch nach Ansicht von SPD-Vize Manuela Schwesig dürfen die Strukturen der Partei nicht mehr aus Steuergeldern bezahlt werden. Die Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns, wo die NPD im Landesparlament vertreten ist, betonte im "Hamburger Abendblatt", dass eine NPD-Fraktion im Landtag eine Menge Geld erhalte - dabei überschreite sie "ständig die Grenzen der Demokratie".
usp/dpa/AFP/Reuters