DNN/LVZ, 08.12.2011
Landtags-Rechtsausschuss debattiert über Funkzellenabfrage
Ermittlungen auf dem Prüfstand - Verfassungsschutz-Präsident Boos: Zschäpe keine Informantin
Dresden. Die Diskussion um die massenhafte Abfrage von Handydaten rund um die Dresdner Februar-Demonstrationen 2011 ist in den vergangenen Wochen in den Hintergrund getreten. Seit Anfang November wird die Affäre überlagert von den Ermittlungen zur rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle. In beiden Komplexen geht es um die Frage, was Sachsens Ermittler unternommen haben, um tatsächliche oder vermeintliche politische Straftaten aufzuklären. Denn augenscheinlich taten sie in Richtung links zu viel und nach rechts zu wenig. Was konkret unternommen wurde, damit befasste sich gestern der Dresdner Landtag.
Eine Expertenanhörung des Rechtsausschusses dröselte am Vormittag erneut die rechtlichen Rahmenbedingungen der Funkzellenabfragen vom Februar auf. Die Grünen-Fraktion will per Antrag "nichtindividualisierte Funkzellenabfragen im Freistaat Sachsen sofort beschränken" und hatte im Datenschutzbeauftragten Schleswig-Holsteins,
Thilo Weichert, einen Fürsprecher. Weichert befand die Erhebung einer knappen Million Datensätze von Demonstranten für rechtswidrig. Allein der Verdacht auf sehr schwerwiegende Straftaten rechtfertige eine Funkzellenabfrage. Bei den Dresdner Protesten gegen den Neonaziaufmarsch vom 19. Februar sei das aber nicht der Fall gewesen. Zudem äußerte Weichert Zweifel, dass die Ermittlungsmethode Funkzellenabfrage für Demonstrationen geeignet sei. Das Landeskriminalamt hat mittlerweile rund 54000 Bestands-Datensätze ausgewertet.
Was den behördlichen Gang anbelangt, der Ende Februar zur Abfrage der Daten führte, erhob der ehemalige sächsische Datenschutzbeauftragte
Thomas Giesen den Zeigefinger. Dass sich ein Staatsanwalt traut, einem Amtsrichter ein fertiges Schreiben mit Briefkopf des Amtsgerichts zur Unterschrift vorzulegen, ist für Giesen "eine sehr starke Unhöflichkeit." So aber wurde seinerzeit die nachträgliche Funkzellenabfrage vom Dresdner Amtsgericht auf juristisch korrekte Weise beschlossen. Die CDU-Fraktion verwies zugleich auf die Bundesratsinitiative der Staatsregierung, die ja auch eine Beschränkung von Funkzellenabfragen und die Stärkung des Datenschutzes im Sinn habe.
Am späten Nachmittag saßen hinter verschlossenen Türen die fünf Abgeordneten der Parlamentarischen Kontrollkommission zum zweiten Mal mit dem sächsischen Verfassungsschutz-Präsidenten Reinhard Boos zusammen. Der versicherte am Abend nach Angaben der Linksfraktion: Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe war keine Informantin des sächsischen Verfassungsschutzes.
"Es gibt nach wie vor viele weitere offene Fragen im Zusammenhang mit dem Agieren der Behörden bei der Fahndung nach den Mitgliedern der Zwickauer Neonazi-Gruppe", sagte der Chef der Linksfraktion, André Hahn. "Das Kernproblem scheint mir die desolate Abstimmung der Behörden bei der Fahndung nach den Neonazis zu sein." Die PKK werde in den nächsten vier Wochen noch mindestens zweimal tagen, um sich mit dem Agieren der Behörden im Fall der Neonazi-Terrorzelle zu befassen.
Christine Keilholz