Süddeutsche Zeitung, 14.12.2011
Videos der Zwickauer Terrorzelle: Und du kannst sagen - ich war dabei"
Es sind schockierende Funde: Ermittler haben zwei weitere Bekennerfilme der Zwickauer Terrorgruppe entdeckt, die einiges über deren Aggregatzustand verraten. Die Aufnahmen deuten daraufhin, dass die Neonazis von Anfang an eine Mordserie planten - und dass die Zelle schon mehr als ein Jahrzehnt existiert.
Fahnder der Ermittlungseinheit "Trio" haben auf einer stark beschädigten Festplatte der Zwickauer Terrorzelle zwei neue Videos rekonstruiert, das erste zeigt die Anfänge der Terrorvereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Zelebriert wird in dem Film die Liquidierung des ersten Opfers der NSU-Killer - die Ermordung des Nürnberger Blumenhändlers Enver Simsek, der am 9. September 2000 buchstäblich hingerichtet wurde. In dem Video sind Fotos des toten Simsek zu sehen, untermalt wird der Mordfilm durch die Musik der ehemaligen Nazi-Band Noie Werte: "Kraft, Kraft, Kraft für Deutschland" - singen sie und: "Wir werden sie besiegen, mit rechtem deutschen Mut."
Die Handlung wird ergänzt mit nachgestellten Szenen. Ein Kleintransporter ist zu sehen, und einer der Mörder nähert sich dem Wagen. Später rückt die nachgestellte Szene eines Sprengstoffanschlags auf eine Deutsch-Iranerin am 19. Januar 2001 in Köln ins Bild. Eine Tür wird gesprengt. Dieses Video endet 2001.
Und es gibt ein zweites Video. Drei weitere Morde in Nürnberg, Hamburg und München werden gefeiert und auch Sequenzen der ersten Videos tauchen auf. Erneut ist der Film mit Musik der Band Noie Werte unterlegt. Sie stammt aus dem Album "Am Puls der Zeit": "Wir sind am Puls der Zeit, der Widerstand ist bereit!" Das zweite Video wurde 2002 fertiggestellt.
Die Festplatte war nach dem Brand der Zwickauer Wohnung des Terror-Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden worden. Darauf wurde auch ein Pamphlet der Gruppe entdeckt, auf dem sich auch das Logo des NSU befand.
Die beiden Videos sind der Vorläufer zu dem 2007 fertiggestellten Bekenner-Video mit Paulchen Panther, in dem sich die Mörder der Hinrichtung von insgesamt zehn Opfern rühmen: Neun Kleinunternehmer mit türkischem und griechischem Hintergrund und eine junge Polizistin waren ermordet worden. Beide Videos sind am Ende Rohmaterial für den 2007 fertiggestellten Bekennerfilm. Aber sie verraten einiges über den Aggregatzustand der Terrorbande.
Die frühen Aufnahmen deuten darauf hin, dass die Killer von Anfang an eine Mordserie planten und dass die von ihnen gegründete NSU schon mehr als ein Jahrzehnt existiert. In einem der Videos erklären die Mörder, sie würden nicht reden, sondern handeln, so wie in dem Lied von Noie Werte: "Dann kann es passieren, dass die Zeiten sich ändern und du kannst sagen - ich war dabei!"
Neue Antworten, neue Fragen
Die neuen Videos beantworten einige Fragen, werfen aber auch neue Fragen auf: "Warum endet Teil eins der Mordserie am 29. August 2001, und warum ist dann bis zum nächsten Mord im Februar 2004 zweieinhalb Jahre Pause?", fragt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter.
Dazwischen waren vier Banküberfälle, davon drei in Chemnitz und einer in Zwickau. Haben die Neonazis Pause beim Morden gemacht? Warum hörte nach dem Polizistinnenmord im April 2007 das Morden auf? Auf diese Fragen gibt es derzeit nicht einmal Versuche von Antworten. Die Ermittler wissen es nicht.
Klar wird wieder einmal, welche wichtige Rolle für die ultrarechte Szene die rechte Musik spielte. Die Ermittler sind dabei, die Geschichte des Liedes "Döner-Killer" nachzuzeichnen, das die rechtsextremistische Band Gigi & Die braunen Stadtmusikanten 2010 veröffentlichte: "Denn neun sind nicht genug", endete das Lied. Das war eigentlich eine Aufforderung, weitere Morde zu begehen.
Die 1987 in der Nähe von Stuttgart gegründete Band Noie Werte war eine der Kult-Bands der Neonazi-Szene. Sänger und Kopf der Band war ein Rechtsanwalt, der auch als "nationaler Liedermacher" auftrat. Einer der früheren Gitarristen war mal Landesvorsitzender der NPD in Baden-Württemberg. Mit der Musik dieser Band, die offenbar zu den Lieblings-Bands der Zwickauer Terrorzelle gehörte, haben sich auch immer wieder Gerichte beschäftigt und festgestellt, dass die Texte gewaltverherrlichend seien und von einer verfassungsfeindlichen Ideologie zeugten.
Der alte Song "Kraft für Deutschland" auf dem ersten Video aus dem Jahr 2001 war bereits 1992 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert worden. Als die Gruppe Noie Werte im Dezember 2010 die Auflösung bekanntgab, erklärte sie: "Und wir danken denjenigen, die mit uns diesen Weg gegangen sind und weitergehen werden." Nach 23 Jahren "verabschieden wir uns mit stolzer Brust und mit der Gewissheit, Lieder für die Ewigkeit geschrieben zu haben."
Von Hans Leyendecker