spiegel-online, 14:49 Uhr, 17.12.2011
Kredit-Affäre des Bundespräsidenten
Nahles nennt Wulffs Verhalten unerträglich
Der Druck auf Christian Wulff nimmt zu: Führende Politiker von SPD und Grünen attackieren den Bundespräsidenten wegen seines umstrittenen Kredits. Auch vom Koalitionspartner kommt harsche Kritik - ein FDP-Abgeordneter fordert gar den Rücktritt des Staatsoberhaupts.
Berlin - Die Opposition verschärft den Druck auf den Bundespräsidenten:
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat Christian Wulff aufgefordert, "jetzt endlich reinen Tisch zu machen". Sonst beschädige er das höchste Staatsamt, sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Dass Wulff die Finanzierung seines Hauses durch einen fragwürdigen Kredit bedauert habe, reiche nicht aus. Die Bürger hätten ein Recht zu erfahren, in welchem Verhältnis der Bundespräsident tatsächlich zu dem Unternehmer Egon Geerkens stehe, sagte Nahles. Es sei "unerträglich, dass ausgerechnet der Bundespräsident durch sein Verhalten die Politikverdrossenheit in unserem Land spürbar vorantreibt".
Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner warf die Frage nach persönlichen Konsequenzen auf. "Wenn der Herr Bundespräsident nicht alle neuen Vorwürfe eindeutig, unzweifelhaft und unmittelbar ausräumen kann, wird er der Frage persönlicher Konsequenzen nicht länger ausweichen können", sagte Stegner der "Welt am Sonntag". In der Affäre sei ein "kritischer Punkt erreicht, der keine weitere Hängepartie erlaubt".
Die Grünen fordern ebenfalls Aufklärung. Am Dienstag wollen sie im Ältestenrat des niedersächsischen Landtags neue Fragen stellen. Hintergrund der Affäre ist eine Anfrage der Landtags-Grünen vom Februar 2010. Darin stand die Frage, ob der damalige Ministerpräsident Wulff geschäftliche Beziehungen zu dem Unternehmer Geerkens hatte. Wulff verneinte dies.
Am Dienstag wurde jedoch bekannt, dass der CDU-Politiker vom Ehepaar Geerkens ein 500.000-Euro-Darlehen erhalten hatte. Wulff betont, er habe das Geld von Geerkens' Ehefrau Edith bekommen. Am Donnerstag bedauerte der Bundespräsident, "dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte".
Doch die entscheidende Frage ist, wer tatsächlich Wulffs Kreditgeber war. Aussagen des Unternehmers Geerkens im SPIEGEL lassen den Schluss zu, dass das Geld de facto von diesem selbst stammt. "Ich habe mit Wulff verhandelt", sagte Geerkens. "Ich habe mir überlegt, wie das Geschäft abgewickelt werden könnte." Seine Frau sei keine direkte Freundin von Wulff, eher familiärer Anhang.
Damit gerät der Bundespräsident in große Erklärungsnot. "Es muss dringend geklärt werden, wer jetzt die Wahrheit sagt und wer nicht", sagte
Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen, SPIEGEL ONLINE. "Wer ist der Kreditgeber und wer nicht? Wer hat wann die Wahrheit gesagt und wer nicht? Diese Fragen muss Wulff umgehend beantworten, bevor das Amt noch mehr Schaden nimmt."
"Rücktritt ein Gebot des Anstands"
Nicht nur von der Opposition, auch vom Koalitionspartner FDP kommt mittlerweile scharfe Kritik: Er mache sich Sorgen um das Ansehen des höchsten Amts im Staat, sagte etwa der liberale
Alt-Bundespräsident Walter Scheel. Die Sitten und Gebräuche hätten sich seit Gründung der Bundesrepublik "leider auch in der Politik sehr geändert", beklagte Scheel in der "Bild am Sonntag". Der 92-jährige FDP-Politiker Scheel war von 1974 bis 1979 Bundespräsident.
Scheels Parteifreund, der
FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter, fordert sogar den Rücktritt des Staatsoberhauptes. "Statt mit präsidialem Glaubwürdigkeitskredit den Menschen in turbulenter Zeit Orientierung zu geben, ist der Bundespräsident gefangen im spitzfindigen Formulierungskampf um seinen Hauskredit", sagte Lotter. "Der umgehende Rücktritt ist ein Gebot des Anstands und der Verantwortung."
Auch der
Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim attackiert den Bundespräsidenten: Wulff habe gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen, sagte Arnim der "Welt". Das Ministergesetz und der dazugehörige Erlass verbiete die Annahme von verbilligten Krediten.
Ein Bezug zum Amt sei bei dem Darlehen von Frau Geerkens gegeben, so Arnim. Der Grund: Ihr Mann habe an drei Reisen des Ministerpräsidenten teilgenommen, obwohl er nach "objektiven Kriterien nicht mehr in diese Delegationen" gepasst habe.
cte/dapd/dpa