Der Spiegel 51/2011, Seite 24, 24.12.2011
„Gehobener Privatkunde“
Christian Wulff hat seinen seltsamen Freunden viel zu verdanken. Nun braucht er das Wohlwollen der Bundeskanzlerin, um sein Amt behalten zu können. Damit ist seine Unabhängigkeit in den Gesetzgebungsverfahren bedroht.
Zu Ostern 2006 reiste Christian Wulff, damals Ministerpräsident in Niedersachsen, nach Mallorca. Dort besuchte er ein Fest im Fünf-Sterne-Hotel Mardavall in Costa d’en Blanes, wo er auf eine illustre Gesellschaft traf: den ewigen Wimbledon-Sieger Boris Becker, die Schauspielerin Veronica Ferres, Fußball-Schwergewicht Reiner Calmund und viele andere. Besonders der Small Talk mit Boris Becker habe Wulff gefesselt, berichtete hinterher das „Mallorca Magazin“.
Das Fest hatte Manfred Schmidt organisiert, ein Mann, der Politiker mit Wirtschaftsleuten zusammenführt und sich dabei des Reizes von Prominenten bedient. Wulff erliegt diesem Reiz gern.
Wulff erliegt auch dem Reiz, den edle Ferienhäuser von Freunden haben. Er erliegt dem Reiz eines Upgrade beim Fliegen, er erliegt dem Reiz eines günstigen Kredits, der so eingefädelt wird, dass kaum jemand noch erkennen kann, woher der Kredit kommt, vom Freund oder von dessen Frau. Bundespräsident Wulff hat viele Dinge getan, die seltsam oder kindisch anmuten für einen Spitzenpolitiker. Aber wie schlimm ist das?
Das war das Thema der Debatte dieser und der vergangenen Woche. Wobei der Tenor in den Medien ziemlich einhellig war. „Es ist dies alles kein präsidentenhaftes Verhalten, sondern eher das eines verdrucksten Kleinbürgers“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Wenn Wulff nicht verstehe, „dass er mit dem cleveren Dumping-Darlehen einen kapitalen Fehler begangen hat, dann ist ihm wohl nicht mehr zu helfen“, urteilte das „Handelsblatt“.
Die Bevölkerung ist nicht so streng. 70 Prozent der Deutschen finden, dass Wulff im Amt bleiben solle.
Die Politiker der wichtigen Parteien hielten sich bis zum Mittwochmittag dieser Woche erstaunlich zurück. Wo normalerweise munter drauflosgeschlagen wird, wenn jemand eine Schwäche zeigt, herrscht weitgehend Schweigen, ein pikiertes, auch ängstliches Schweigen. Wulff ist zu einem gefährlichen Mann für diese Bundesregierung geworden. Und noch immer tauchen neue Details aus Wulffs Leben mit reichen Freunden auf.
Die aktuelle Affäre begann 2010 mit einer Anfrage der niedersächsischen Grünen im Landtag. Sie wollten wissen, ob Ministerpräsident Wulff Geschäftsbeziehungen zu dem Unternehmer Egon Geerkens unterhalte. Nein, sagte Wulff, erwähnte aber nicht, dass er einen Hauskredit von dessen Gattin Edith über 500000 Euro bekommen hatte.
Am Donnerstag der vergangenen Woche gab er das schließlich zu, doch dann sagte Egon Geerkens dem SPIEGEL, er selbst habe den Kredit mit Wulff verhandelt, er habe auch überlegt, „wie das Geschäft abgewickelt werden könnte“. Danach stand Wulff als Täuscher da, als der falsche Präsident.
Inzwischen hat er über seinen Anwalt eingeräumt, dass Egon Geerkens an dem Kredit beteiligt war: „Die Modalitäten wurden gemeinsam besprochen, das Darlehen von Frau Edith Geerkens gewährt.“ Es ist die alte Taktik derer, die etwas zu verbergen haben: nur das zugeben, was schon enthüllt ist. Peinlich ist das immer, für einen Bundespräsidenten ist es in besonderer Weise unwürdig.
Nun gibt es neue Details vom Verhältnis Wulffs zu Egon Geerkens. Bisher hatte es so ausgesehen, als sei es keine besondere Sache gewesen, dass Geerkens Wulff auf Dienstreisen begleiten konnte. Das stellt sich nun anders dar. Denn um mit dem Landesvater auf solche Touren zu gehen, kann man zwischen zwei Verfahren wählen: Es gibt das übliche Verfahren, bei dem die Industrie und Handelskammern im Land die Reise annoncieren und sich interessierte Unternehmer anmelden können – die Liste wird meist ohne Änderung in der Staatskanzlei abgenickt.
Daneben gibt es noch das Einladungsverfahren: Hier fordert der Ministerpräsident Wirtschaftsgrößen persönlich dazu auf mitzufliegen. Genau das, so bestätigt die Staatskanzlei, war bei der Reise im Oktober 2008 nach Indien und China der Fall. Zwar musste Geerkens selbst zahlen, aber dass Wulff ihn extra einlud, hat einen Hautgout: Schon 2004 hatte sich Geerkens aus dem Geschäftsleben zurückgezogen und lebte im Ausland. Wie also kam Wulff dazu, ihn einzuladen? Weil er sich einen schönen Kredit erhoffte?
Nun stellte sich heraus, dass auch der Kredit, mit dem Wulff sein Darlehen von Geerkens abgelöst hat, ungewöhnlich ist. Wulff hat mit der BW-Bank zunächst keinen normalen Immobilienkredit abgeschlossen, sondern ein reichlich komplexes Finanzkonstrukt, wie es bei Unternehmensprojekten Usus ist, nicht aber bei der Finanzierung eines Eigenheims in Großburgwedel. Die Zinsen lagen nicht einmal halb so hoch wie bei einer Immobilienfinanzierung normaler Kunden.
Am 21. März 2010 schloss die BW-Bank mit Wulff einen Kreditrahmenvertrag über 520 000 Euro, eine Art Dispo, der bis zum 31. Dezember 2024 laufen sollte. Die Zinsen waren variabel, die Höhe richtete sich nach dem Zinssatz, zu dem Banken am Geldmarkt Geld leihen können. Der Zins habe zwischen 0,9 und 2,1 Prozent gelegen, sagen Wulffs Anwälte. Es wurde eine feste Rückzahlung von jährlich 10 000 Euro vereinbart. Den Rest sollte Wulff erst zum Ende der Laufzeit tilgen, es wurde ihm aber freigestellt, schon früher zu tilgen. Weiterer Vorteil für Wulff: Normalerweise lassen Banken sich eine solche Finanzierung teuer bezahlen, über eine sogenannte Bereitstellungsgebühr.
Dies sind so außergewöhnlich gute Bedingungen, dass ein Normalsterblicher sie nicht bekommen kann. Die BW-Bank räumt denn auch ein, dass sie solche Kredite nur an „gehobene Privatkunden“ vergibt.
Der Bundespräsident und gehobene Privatkunde Wulff nutzt offenkundig jede Gelegenheit, sich einen Vorteil zu verschaffen.
In der großen Riege der Leute, die ihm Gutes tun, ist Manfred Schmidt einer der schillernden. Der Kölner Event-Manager ist der After-Work-Impresario der Berliner Republik. Er verdient sein Geld mit Partys, bei denen die Mächtigen aus der Wirtschaft die Wichtigen aus der Politik treffen. Dass Schmidt gut damit verdient, hat er auch Wulff zu verdanken.
Schmidt lebt von Unternehmen, die seine Partys sponsern. Im Gegenzug liefert er zuverlässig Prominente aus seiner legendären Datenbank, die sich bei seinen Events sehen lassen, damit die Unternehmen auch etwas bekommen für ihr Geld: schöne Bilder, ein besseres Image.
Vermutlich nach dem Mallorca Trip zu Boris Becker & Co. wurde die Idee geboren, eine Veranstaltungsreihe aufzulegen, bei der Wulff etwas mehr Glanz gewinnen konnte. 2007 lud Schmidt erstmals zu einem „Nord-Süd-Dialog“ nach Hannover ein, der die Prominenz von Niedersachsen und Baden-Württemberg zusammenbrachte. Schirmherren: Wulff und sein Kollege aus dem Südwesten, Günther Oettinger.
2008 folgte die zweite Auflage in Stuttgart, aber das alles war noch nichts gegen den „Nord-Süd-Dialog“ 2009: 1000 Gäste im Flughafen Hannover, den Schmidt mit Palmen geschmückt hatte, mitten im Dezember, und alle versorgt von einem „First-Class-Catering“, wie es in den Sponsoring-Verträgen hieß.
Am wichtigsten war es, Geldgeber zu finden. Doch während der Party-Profi für BadenWürttemberg extra einen Spendensammler anheuern musste, der dort bei Konzernen Sponsorenmittel eintreiben sollte, half die Staatskanzlei in Niedersachsen kräftig bei der Geldbeschaffung mit, wie sich zahlende Unternehmen erinnern. Wulff bestreitet das: „Finanzierung und Einwerbung von Sponsoren sind durch den Gastgeber und Veranstalter erfolgt.“
658 000 Euro kamen allein für die letzte und größte Party im Dezember 2009 her ein. Darunter waren 75 000 Euro von VW, wo Wulff wegen der Landesbeteiligung im Aufsichtsrat saß, 50000 Euro vom Finanzdienstleister AWD, mit dessen Chef Carsten Maschmeyer der Ministerpräsident ebenso eng verbandelt war wie mit Wolf-Dieter Baumgartl, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Versicherers Talanx (10 000 Euro). Auch die Salzgitter AG, bei der Niedersachsen Großaktionär ist, war mit 25 000 Euro dabei.
Tatsächlich aber kostete das Fest weniger als 300 000 Euro, wie aus einer internen Aufstellung hervorgeht. Der Rest blieb offenbar bei Schmidt hängen, genauer gesagt auf dem Konto einer Firma namens „Feinschliff“ in Köln, hinter der ein Schmidt-Mitarbeiter stehen soll. Schmidt, der vor allem in Spanien und Südfrankreich lebt und seinen Firmensitz in Zug in der Schweiz hat, ließ eine Anfrage des SPIEGEL unbeantwortet.
Zufall oder nicht? Nur ein halbes Jahr später, am Abend des 30. Juni 2010, schmiss Schmidt wieder eine Party, diesmal eine Jubel-Party zu Ehren Wulffs. Der war an diesem Tag zum Bundespräsidenten gewählt worden, und Schmidt hatte Wulffs alte Weggefährten aus Osnabrück nach Berlin eingeladen. Unter den Gästen: auch jener Egon Geerkens, der mutmaßlich hinter dem Hauskredit an die Wulffs stand.
Die Damen und Herren vergnügten sich am Pariser Platz, mit Blick aufs Brandenburger Tor, in Schmidts 221Quadratmeter Penthouse, genannt „Die Residenz“. Zur späten Stunde beehrte Wulff seine Family-and-Friends-Reisegruppe, um sich feiern zu lassen. Bezahlt wurde das alles von Manfred Schmidt.
Wulff bestätigte in dieser Woche zudem, dass er sechsmal mit der Familie in den Luxusvillen guter Freunde seine Ferien genossen hat. Es sind Freunde wie Maschmeyer und Baumgartl, die er allerdings vor allem seinem Amt verdankt.
Im Fall Baumgartl, das gibt Wulff inzwischen zu, hat er dafür nicht mal gezahlt. Gleiches gilt für zwei Urlaube in Spanien und einen in Florida bei der Familie Geerkens. Und für einen Urlaub in der Wohnung eines Süßwarenhändlers auf Norderney.
Und was soll man davon halten, dass Wulffs Freund Maschmeyer für 42731 Euro Zeitungsanzeigen für das Wulff-Buch „Besser die Wahrheit“ schaltete, aber Wulff davon nichts gewusst haben will, wie beide, Wulff und Maschmeyer, der „Bild“Zeitung versicherten? Das Buch kam rechtzeitig zum Niedersachsen-Wahlkampf 2007 heraus, die Anzeigen erschienen in niedersächsischen Tageszeitungen, die Rechnungen bezahlte zunächst der Verlag Hoffmann und Campe in Hamburg, der die Beträge dann Maschmeyer in Rechnung stellte. Es ist schwer vorstellbar, dass solche Anzeigen mitten im Wahlkampf erscheinen, ohne dass Wulff etwas von der freundlichen Unterstützung ahnte.
Die Damen und Herren vergnügten sich am Pariser Platz.
Bezahlt wurde das alles von Manfred Schmidt.
Gleichwohl wird Wulff von der Politik geschont. SPD und Grüne halten sich zurück, weil sie beim Rücktritt Horst Köhlers gelernt haben, dass sie mit scharfer
Kritik am Bundespräsidenten bei der Bevölkerung keine Pluspunkte sammeln können. Die Union will Wulff halten, weil sie weiß, dass sie seinen Nachfolger wohl nicht mehr bestimmen kann. Die Mehrheit von Schwarz-Gelb ist in der Bundesversammlung auf vier Stimmen zusammengeschnurrt. Angesichts der Schwäche beim Koalitionspartner FDP mag sich dar auf niemand verlassen. „Die CSU steht zu unserem Bundespräsidenten Christian Wulff“, sagt CSU-Chef Horst Seehofer.
Das Ergebnis ist absurd: Wenn Wulff die Krise übersteht, dann auch deshalb, weil die Regierung zu schwach ist, einen Nachfolger zu wählen.
Doch wenn Wulff bleibt, wird er ein geschwächter Präsident sein. Eigentlich ist es Aufgabe des Bundespräsidenten, in letzter Instanz die Gesetze der schwarzgelben Regierung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Bei jedem umstrittenen Vorhaben, das Wulff künftig unterzeichnet, wird er sich dem Verdacht aussetzen, damit eine Schuld bei Merkel abzutragen.
Ralf Beste, Jürgen Dahlkamp, Michael Fröhlingsdorf, Michael Kurbjuweit, Peter Müller, Jörg Schmitt, Andreas Wassermann