Agenturen, dapd, 10:39 Uhr, 30.12.2011
Sachsen schließt erneute Handydatensammlung nicht aus - Justizminister Jürgen Martens spricht über die Überwachung der Dresdner Demonstrationen
Dresden (dapd-lsc). Aufklärung der sogenannten Dresdner Handydatenaffäre und die Vorbereitung des größten Behördenumbaus in der Geschichte des Freistaats: Sachsens Justizminister Jürgen Martens hatte 2011 reichlich zu tun. dapd-Korrespondent Gregor Klaudius sprach mit dem FDP-Politiker über mögliche Überwachungsmaßnahmen bei erneuten Demonstrationen gegen Rechts im kommenden Februar in Dresden und den anhaltenden Protest vieler Juristen gegen die Verwaltungsreform, die Anfang 2012 im Landtag beschlossen werden soll.
dapd: Am 13. und 18. Februar werden wieder tausende Neonazis zu Aufmärschen in Dresden erwartet. Ihre Gegner haben zum Protest aufgerufen, darunter alle demokratischen Parteien. Bei den Demonstrationen im vergangenen Februar waren die sächsischen Sicherheitsbehörden in die Kritik geraten, als sie bei Funkzellenabfragen eine Million Handydaten sammelten - zumeist von friedlichen Gegendemonstranten, wie sich herausstellte. Müssen friedliche Demonstranten in Dresden befürchten, überwacht zu werden?
Martens: Ich kann die Leute verstehen, die auf einmal ein ungutes Gefühl bekommen haben und sich fragen, ob ihre Handydaten auch erfasst wurden. Das hat verschiedene Ursachen: Einerseits besteht eine gewisse Unkenntnis, welche Daten abgefragt wurden. Dabei handelte es sich letztlich zumeist nur um sogenannte Verkehrsdaten, also keine Namen und Anschlussinhaber. Staatsanwaltschaft und Polizei haben auch nicht grundsätzlich alle Verkehrsdaten erfasst, sondern eingeschränkt, beispielsweise innerhalb bestimmter Uhrzeiten an Orten, wo bestimmte Straftaten passierten. Es wurde aber kein Fischernetz über die Stadt gelegt, nach dem Motto: «Erstmal alles einkreisen». Da gibt es viele Fehlvorstellungen, die unbegründet sind. Doch das alles hat natürlich zur Verunsicherung der Menschen beigetragen.
dapd: Genau dieser Eindruck, nämlich massenhaft Daten «abzufischen», ist in der Öffentlichkeit aber entstanden. Was sagen Sie friedlichen Demonstranten, die befürchten, am 13. und 18. Februar von einer Handydatenerfassung betroffen zu sein?
Martens: Der Sächsische Generalstaatsanwalt hat ja bereits angekündigt, dass solch eine Abfrage wohl nicht mehr in Betracht kommen wird. Aus meiner Sicht müssen sich friedliche Leute auch keine Gedanken darüber machen. So es geht, soll auf eine Funkzellenabfrage verzichtet werden. Wer friedlich demonstrieren will, kann das also gern tun. Wir wollen auf keinen Fall friedliche Demonstranten einschüchtern. Gewalttäter aber, die mit Molotowcocktails oder Steinen auf Menschen und Sachen werfen und brennende Barrikaden errichten, sollen wegbleiben. Solche Leute bekommen Probleme mit dem Staatsanwalt. Wer gewalttätig ist, muss damit rechnen, dass gegen ihn mit allen zulässigen Mitteln vorgegangen wird, also auch nötigenfalls seine Daten von den Ermittlungsbehörden abgefragt werden.
dapd: Also kommt eine erneute Handydatenerfassung doch in Betracht?
Martens: Es geht doch auch darum, die Rechte der Demonstranten zu schützen, die friedlich gegen den Aufmarsch der Neonazis demonstrieren wollen. Es darf nicht sein, dass friedliche Bürger vom Demonstrieren abgehalten werden, weil sie Angst haben, in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt zu werden.
dapd: Der Freistaat plant die größte Verwaltungsreform in seiner Geschichte. Von Zusammenlegungen und Schließungen betroffen sind auch einige Gerichte. Richter und Staatsanwälte haben dagegen mit einer Unterschriftenliste protestiert. 400 Juristen unterzeichneten. Mit Erfolg?
Martens: Nein. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs wollen wir die Struktur der Justiz so aufstellen, dass sie im Jahr 2020 funktioniert. Es werden ja im Wesentlichen nur vier Amtsgerichte zu Zweigstellen und ein Landgericht zur Außenkammer anderer Gerichte. Als Standorte bleiben auch sie mit einer einzigen Ausnahme, nämlich Annaberg, erhalten. Nur verhältnismäßig wenige Beschäftigte müssen dafür längere Wege in Kauf nehmen. Man muss sehen, dass das Durchschnittsalter der Richter von heute etwa 48 Jahren in neun Jahren auf etwa 55 Jahre steigen wird. Das wird auch mit Ausfallzeiten verbunden sein. Wenn dann bestimmte Amtsgerichte mit nur zwei Richtern besetzt wären, wie es ohne die Reform der Fall sein könnte, würde ein Krankheitsfall die Arbeit nahezu lahmlegen. Das können wir uns nicht leisten.
dapd: Der Protest der Richter hält dennoch seit dem Kabinettsbeschluss zur Verwaltungsreform im Mai an. Haben Sie die neuen Strukturen nicht ausreichend erklärt?
Martens: Wir haben dezidiert erklärt, was geplant ist. Wir wollen die Gerichtsstandorte so organisieren, dass zum einen noch mehr Spezialisierungen von Richtern möglich sind und zum anderen Vertretungen im Krankheitsfall leichter organisiert werden können. Das Geschäft wird im Einzelnen also nicht schwerer, sondern leichter, weil es auf mehrere Schultern verteilt wird. Wenn man sich dann lautstark beschwert, obwohl die Struktur auch im Vergleich zu anderen Bundesländern die Präsenz der Justiz in der Fläche nahezu unverändert garantiert, habe ich dafür nur wenig Verständnis. Manche Besorgnis kann ich nachvollziehen, aber in der Gesamtschau sind die Vorwürfe aus meiner Sicht nicht haltbar.
dapd/grk/cne
301039 Dez 11