spiegel-online, 10:18 Uhr, 05.01.2012
Wulffs TV-Auftritt: Ein Präsident zum Mitleiden
Ein Kommentar von Christoph Twickel
Christian Wulffs Fernsehauftritt war kein Befreiungsschlag. In dem Mea-culpa-Interview offenbart sich ein politischer Karrierist, der sich aufs verständnisheischende Beteuern verlegt, um sich im Amt zu halten. Nach dem Motto: "Eigentlich bin ich ganz anders, nur komm' ich so selten dazu".
Er habe sich etwas vorgenommen, erklärt der Präsident. Er spricht mit aller Verve, die ihm in seiner etwas linkischen Art zur Verfügung steht. Er habe sich entschieden, für fünf Jahre die Verantwortung des Präsidentenamtes zu übernehmen und nach fünf Jahren die Bilanz zu ziehen: dass er ein "guter, erfolgreicher Bundespräsident" gewesen sei. Dann redet er von der großen Unterstützung, die er von so vielen Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Tagen empfangen habe. Und er versucht sich an einem Mea culpa, jetzt aber mal wirklich! Die Mailbox-Nachricht, die er bei "Bild"-Chef Diekmann hinterlassen hat, sei ein "schwerer Fehler" gewesen. Er habe sich "offenkundig in dem Moment als Opfer gesehen", erklärt der Präsident. Und er sagt: "Ich (...) halte das für mein eigenes Amtsverständnis nicht vereinbar."
Ja, das ist gruselig. Zum Fremdschämen. Man möchte wegschauen und wünscht dem Mann mit dem Seitenscheitel und der randlosen Brille, ein Blitz möge vom Himmel niederfahren und ihm die Erkenntnis bringen, dass er ganz grundsätzlich etwas durcheinandergebracht hat. Dass es gar nicht darum geht, was er sich vorgenommen hat, sondern um das, wobei er erwischt worden ist. Was wäre denn gewesen, wenn Diekmann seine Mailbox einfach gelöscht und Diskretion hätten walten lassen? Hätte sich bei Wulff auch dann die Erkenntnis eingestellt, dass seine Rubikon-Message mit seinem "Amtsverständnis nicht vereinbar" gewesen seien?
Blödsinn, natürlich! Wulff wusste nämlich schon vorher, dass Drohanrufe bei Chefredakteuren zur Verhinderung missliebiger Berichte so ziemlich das Allerletzte sind, was man sich als Politiker in halbwegs intakten demokratischen Gesellschaften erlauben darf. Sich dann wie ein Schuljunge ins Hauptstadtstudio der ARD zu setzen und zu erklären, dass er in fünf Jahren ein guter Präsident gewesen sein will und sein Amtsverständnis viel intakter sei als sein zweifelhaftes Krisenmanagement es vermuten lässt, ist bestenfalls kindisch. Ödön von Horváths Bonmot "Eigentlich bin ich ganz anders, nur komm' ich so selten dazu" lässt grüßen (das komplette Interview im Video und im Wortlaut).
Es kommt aber noch dicker: Jenseits des Diekmann-Mailbox-Debakels dämmert dem Präsidenten nämlich überhaupt nicht, was er warum falsch gemacht haben soll. Er wisse, dass er "nichts Unrechtes getan habe, aber nicht alles richtig war". So redet keiner, der etwas eingesehen hat. Ganz im Gegenteil. "Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann", erklärt Wulff patzig zur Affäre um seinen Privatkredit vom Unternehmerpaar Egon und Edith Geerkens. Es ist doch nur Freundschaft, beteuert der Politiker, stellt sich als Opfer von Wühljournalisten dar, die auch "privateste Dinge" hätten öffentlich machen wollen, und begründet sein Ungeschick im Krisenmanagement mit dem großen Schritt vom Ministerpräsident zum Bundespräsidenten - "ohne Karenzzeit", so Wulff.
Das ist eigenartig. Hatte nicht derselbe Wulff im Vorfeld seiner Wahl eine bemerkenswerte Indolenz gezeigt? Hat's ihn gejuckt, als er von der ganzen Republik gezeigt bekam, dass er nur zweite Wahl war hinter Joachim Gauck, dem Präsidenten der Herzen? Vielleicht - aber er war ehrgeizig genug, um Präsident werden zu wollen. Jetzt ist er ehrgeizig genug, um sich in Demut zu hüllen und zu menscheln.
Viel ist über den Verlust konservativer Werte und Ehrenkodizes geschrieben worden, der das Herumlavieren Guttenbergs in der Plagiatsaffäre erklären sollte. Die Affäre Wulff und ihr Höhepunkt - das 21-minütige Mea-culpa-Interview - zeigt etwas anderes: Hier verlegt sich ein politischer Karrierist auf die Strategie des verständnisheischenden Beteuerns, um sich im Amt zu halten.
Ins Schleudern geraten, agiert er wie der Kandidat einer Castingshow, der beschwört, zukünftig alles besser zu machen und sich in den Griff zu kriegen. Ein Präsident zum Mitleiden also. Und zum Mitvoten natürlich - denn dass die Web-Kultur in den nächsten Wochen und Monaten noch viele saftige Wulff-Scherze und -Debatten hervorbringen wird, ist Teil der Show. Insofern passt dieser Präsident vielleicht doch ganz gut zu dieser Republik.