Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 18.08.2000

Mehrheit der Techniker und wohlmeinende Dilettanten

"Die Öffentlichkeit würde das Fehlen des Parlaments nicht wahrnehmen"
 
DRESDEN. Karl Nolle, SPD-Wirtschaftsexperte, über die Erfahrungen eines Landtags-Neulings.

Als Unternehmer fühlt er sich als Exot in einer Umgebung, die von Vollzeitparlamentariern geprägt ist. Karl Nolle beklagt die Rolle und scheint sie gleichzeitig zu genießen. Zu provozieren gelegentlich gegen den Strom zu schwimmen, liegt in der Mentalität des spätberufenen SPD-Politikers. Seine Partei hatte ihn vor einem Jahr als Quereinsteiger nominiert.

Der Druckereibesitzer betrieb für seinen Wahlkampf immensen Aufwand. Das Ergebnis war in einem negativen Umfeld für Schröder und Co. ernüchternd. Das gilt auch für etliche Erfahrungen im Alltag eines Landtagsabgeordneten. Nach einem Jahr zieht Karl Nolle Bilanz. Sie fällt so schonungslos aus, wie er das von jedem frei gewählten Abgeordneten erwartet. Doch nur wenige haben seine berufliche Unabhängigkeit. Illusionen über die eigenen Möglichkeiten habe er nicht mitgebracht, beugt Nolle vor. "Die Messen sind gelesen", sagt er und meint, daß die wichtigen Gesetze eines neuen Bundeslandes auf den Weg gebracht sind.

Sollte das Parlament nicht existieren, die Bevölkerung würde den Verlust kaum registrieren. Der von anderen Abgeordneten beklagte Mangel in der öffentlichen Wahrnehmung ist für den Neuling nicht allein die Konsequenz weitgehend ritualisierter Abläufe, sondern auch begrenzter Kompetenzen. "Das ist kein Sachsen-spezifisches Problem", räumt Nolle ein, "aber hier ist die absolute Mehrheit so erdrückend, dass die Regierung fast unangreifbar ist. Die Verantwortung schreibt er der CDU zu, die nicht bereit sei, die Regierung im erforderlichen Maße zu kontrollieren. "Das erschöpft sich in Selbstbeweihräucherung und Dank an die Minister und umgekehrt".

Wenn eine Opposition aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht in der Lage sei, ihrer Aufsichtspflicht gegenüber der Regierung nachzukommen, dann bleibe ein Parlament seine wichtigste Aufgabe schuldig. Für Karl Nolle steht die quantitative Frage in direktem Zusammenhang mit der qualitativen. Ein Parlament sollte ein Spiegelbild der Bevölkerung und der Breite seiner beruflichen Erfahrung darstellen, aber wir haben eine absolute Mehrheit der Diplomingenieure und Techniker.“ Diese glauben, stellt Nolle fest, die Politik funktioniere wie eine physikalische Reaktion oder ließe sich wie ein Schalter ein- und ausknipsen. Es sei einfach ein Jammer, daß er als mittelländischer Unternehmer mit 60 Beschäftigten allein auf weiter Landtagsflur steht.

Von der Wirklichkeit des beruflichen Lebens abgenabelt hätte sich eine Mehrheit seiner Kollegen stromlinienförmig auf das Erreichen der Pensionsberechtigung konzentriert. Die ist mit zehn Abgeordnetenjahren erreicht. "In dieser Zeit sind andere an ihnen vorbeigezogen", meint Nolle die Bürger, die sich im Berufsalltag bewähren mußten. Während die durch Umschulungen und Ausbildungen marktwirtschaftlich fit gemacht worden sind, seien die Parlamentarier bestenfalls theoretisch gewappnet. Wenn er für die SPD über Wirtschaftsfragen spricht, wisse er wovon. Die Kollegen (der CDU) am anderen Elbufer sind für ihn "wohlmeinende Dilettanten".

Karl Nolle hält es für ein Unding, dass Abgeordnete im Gegensatz zum Normalbürger für ihre Alterssicherung keine eigenen Beiträge leisten müssen, er ist erstaunt über die im Landtag produzierten Papierberge. ("Die arbeiten im Digitalzeitalter wie mit der Keilschrift"), er klagt über das personelle Missverhältnis zwischen dem 3o-köpfigen Häuflein der SPD-Fraktion samt wissenschaftlichen Mitarbeitern mit der erdrückenden Übermacht (tausender Regierungsbeamter) auf der anderen Elb-Seite, und er sieht in der Mehrzahl der eingereichten Anfragen nur die Absicht, der Regierung eine Plattform zu bieten, um sich selbst belobigen zu können.

Am meisten ärgert den schwergewichtigen Aktionisten, dass die Trennung zwischen Polemik und persönlicher Beleidigung einigen Kollegen sehr schwer falle. Doch völlig negativ fällt die Zwischenbilanz nicht aus. Das breite Spektrum an Information der Zugang zu interessanten Gesprächspartnern haben den Horizont erweitern lassen. Nolle weiß, das er als Einzelner wenig bewirken kann, "aber ich sauge Honig aus anderen Dingen". Die Rolle als enfant terrible, wenn es um das Anpacken heißer Themen geht, will sich der Ex-Hannoveraner nicht nehmen lassen. So nimmt er sich auch heraus ein Parlament in dieser Größenordnung, das nur eine Statistenrolle spielt, infrage zu stellen. Daran, daß das nicht so bleibt, will er mit charmanter Boshaftigkeit weiter mitarbeiten.
(von Hubert Kemper)

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: