Agenturen, dpa, 17:16 Uhr, 06.03.2012
U-Ausschuss zu Neonazi-Terror erst im April einsatzbereit
Der Streit um einen eigenen Untersuchungsausschuss zum Neonazi-Terror hält in Sachsen an - auch wenn das Gremium de facto schon beschlossene Sache ist. Dass ausgerechnet die rechtsextreme NPD dort mitarbeitet, stößt auf Vorbehalte.
Dresden (dpa/sn) - Der Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages zum Neonazi-Terror wird erst im April einsatzbereit sein. Obwohl der Landtag das Gremium bereits an diesem Mittwoch einsetzen will, sollen seine Mitglieder nicht vor April gewählt werden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Christian Piwarz, sprach am Dienstag von einem üblichen Verfahren. Zudem machte er Zeitgründe geltend. Es gebe schon zwei U-Ausschüsse und eine Enquete-Kommission, was Terminabsprachen notwendig mache. Die Opposition wollte die Ausschussmitglieder bereits an diesem Donnerstag wählen und hält der CDU/FDP-Koalition eine Verzögerungstaktik vor. Im Unterschied zu Thüringen und dem Bundestag gibt es in Sachsen bisher kein Gremium, das Versäumnisse bei der Aufklärung des Neonazi-Terrors untersucht.
Die Koalition hatte nie ein Hehl aus ihrer Anschauung gemacht, dass sie das Gremium angesichts von Ermittlungen auf Bundesebene für überflüssig hält. Bedenken haben CDU und FDP vor allem, weil auch die rechtsextreme NPD im Ausschuss vertreten ist und so Einsicht in brisantes Material bekommt. Der FDP-Parlamentarier Tino Günther sprach am Dienstag von einer «bodenlosen Dummheit». Piwarz ging davon aus, dass sich die Rechtsextremen «einen Spaß draus machen». Linke und Grüne sehen das anders. Mit dem Argument der NPD-Präsenz müsste man auch die Sitzungen anderer Landtagsausschüsse absetzen, erklärte Linksfraktionschef André Hahn. Außerdem sei es der NPD aufgrund ihrer geringen Stärke nicht möglich, selbst Beweismaterial anzufordern.
Am Dienstag erhielten die Koalitionäre argumentative Schützenhilfe aus dem Bundestag. Der FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff riet den Sachsen von einem eigenen Ausschuss ab und verwendete dabei das altbekannte NPD-Argument. Die sächsische Regierung könnte gezwungen sein, «dem Ausschuss nicht sämtliche Akten zur Verfügung zu stellen», sagte Wolff. Damit werde aber riskiert, dass auch die Aufklärung im Bundestags-Untersuchungsausschuss erschwert werde. Ähnlich äußerte sich der Obmann der CDU/CSU-Fraktion in diesem Ausschuss, Clemens Binninger: Es sei von der Opposition nicht klug, etwas einzufordern, ohne die offensichtlich negativen Folgen zu berücksichtigen.
«Ich finde es überhaupt nicht akzeptabel, dass weitere anderthalb Monate ins Land ziehen sollen, ehe dann eine Konstituierung erfolgen kann. Es war die CDU, die hier blockiert hat, und sie trägt dann auch die Verantwortung, dass mit der Aufklärung nicht begonnen werden kann», kritisierte Hahn den Aufschub der Mitgliederwahl. Nach den Worten von SPD-Fraktionschef Martin Dulig hat sich die Koalition den U-Ausschuss selbst zuzuschreiben. Innenminister Markus Ulbig (CDU) habe geradezu darum «gebettelt». Denn alle anderen Untersuchungsinstrumente habe die Koalition zuvor abgelehnt.
Die Opposition will mit dem von ihr beantragten Ausschuss ein mögliches Versagen sächsischer Behörden und ihrer Rechtsaufsicht prüfen. Die aus Thüringen stammende Neonazi-Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hatte jahrelang und unbemerkt von Sachsen aus ihr mörderisches Werk verrichtet. Der Gruppierung um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe werden eine beispiellose Mordserie und weitere Straftaten zugerechnet. Insgesamt sollen zehn Morde sowie Banküberfälle und Sprengstoffanschläge auf das Konto des NSU gehen. Böhnhardt und Mundlos hatten sich das Leben genommen, Zschäpe sitzt in Untersuchungshaft.
Aus dem Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags wurde unterdessen bekannt, dass Zschäpe vorerst nicht vor dem Gremium erscheinen muss. Der Ausschuss beschloss einstimmig, die Vorladung der 37-Jährigen auszusetzen, erklärte Ausschussvorsitzende Dorothea Marx am Dienstag nach einer knapp halbstündigen Sondersitzung in Erfurt. Da Zschäpe laut Schreiben ihres Anwaltes von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte, wäre ihre Vorladung am 12. März unverhältnismäßig gewesen.
Autor: Jörg Schurig
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