Berliner Zeitung, 11.04.2012
Gericht wühlt Sachsensumpf auf - Verfassungsschützer wegen Geheimnisverrats angeklagt
DRESDEN. Mitte Juni 2007 erschien in einer Zeitung ein Geheimpapier des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Es war eine Art Schnittmusterbogen, auf dem mit Linien und Symbolen ein Geflecht aus Staatsdienern und Kriminellen in der Stadt Plauen nachgezogen war.
Piktogramme mit Mützen standen für verdächtige Polizeibeamte, Prostituierte tauchten als kleine rote Figuren auf, ein Geheimdienstler war an der Sonnenbrille zu erkennen.
Fast fünf Jahre später beschäftigt das Schaubild die sächsische Justiz. Aber nicht etwa, weil es um das abgebildete Flechtwerk von Kriminellen, Polizisten, Juristen und Politikern geht. Ein Verfassungsschützer muss sich derzeit vor dem Dresdner Amtsgericht verantworten, weil er dieses und weitere Dokumente 2007 an den Publizisten Jürgen Roth weitergegeben haben soll, von dem es angeblich in die Zeitung gelangte. Verletzung von Dienstgeheimnissen, lautet der Anklagevorwurf.
Das Verfahren gehört zu den noch immer anhaltenden Nachwirkungen der sogenannten Sachsensumpf-Affäre. Im Frühjahr 2007 war die Existenz eines 15 600 Seiten umfassenden Dossiers bekannt geworden, das Verfassungsschützer des Freistaates über Organisierte Kriminalität (OK) in Sachsen gefertigt hatten. Diese Sammlung aus Quellenberichten, Polizeierkenntnissen und LfVUnterlagen dokumentiert angebliche Verflechtungen zwischen Politik, Justiz und Kriminellen vorrangig in Leipzig, Dresden und dem Vogtland. Über die Stichhaltigkeit dieser LfV-Erkenntnisse gibt es bis heute widerstreitende Ansichten: Landesregierung und Generalstaatsanwaltschaft sehen keine Belege für einen solchen "Sachsensumpf"; der damalige Verfassungsschutzchef hingegen erklärte jüngst vor dem Landtags-Untersuchungsausschuss, alle von seinen Mitarbeitern zusammengetragenen Informationen in dem Dossier seien zutreffend gewesen.
Das Dresdner Amtsgericht interessiert dieser Streit eher am Rande. Es muss prüfen, ob der angeklagte Beamte Michael W., der seinerzeit im OK-Referat des Landesamtes arbeitete, gegen die Geheimschutzvorschriften seiner Behörde verstoßen hat. Aber ausgerechnet das LfV behindert die Aufklärung. So hat die Behörde zwar nach einigem Sträuben jetzt dem Gericht jene Originalakten aus dem OK-Dossier vorgelegt, aus denen W. Unterlagen weitergereicht haben soll - allerdings sind die Aktenordner stark gefleddert. Nachweisbar würden 66 in der Registratur der Bände verzeichnete Geheim-Dokumente fehlen, rügte die Verteidigung am Dienstag vor Gericht. Darunter seien fast alle Unterlagen, von denen der Angeklagte Kopien beiseite geschafft haben soll.
An wichtigsten Stellen geschwärzt
Doch mit dem vom LfV übergebenen, mehrere Tausend Seiten umfassenden Aktenmaterial lasse sich auch aus anderen Gründen schwer arbeiten, so der Berliner Rechtsanwalt Christian Noll. "Die Akten sind nicht nur grob unvollständig, sie sind auch unsortiert und in entscheidenden Passagen geschwärzt", sagte er vor Gericht. So seien etwa die sogenannten Verfügungsleisten auf den Papieren unkenntlich gemacht worden, aus denen hervorgeht, welche Personen aus LfV, Innenministerium und Datenschutzbehörde das jeweilige Geheimdokument eingesehen haben. Solche Informationen sind aber entscheidend für die Beweisaufnahme, lässt sich doch daraus ablesen, ob der Angeklagte als Einziger die Möglichkeit hatte, die Geheimdokumente zu kopieren und wegzugeben, argumentierte Noll.
Über einen Antrag der Verteidiger, das Verfahren wegen fehlender Beweismittel einzustellen, will das Gericht nun später entscheiden. Am Freitag nächster Woche muss nun erst einmal Sachsens Verfassungsschutzchef Reinhard Boos erklären, warum seine Behörde lückenhafte Akten herausgegeben hat und ob das LfV bereit ist, die als Beweismittel benötigten Unterlagen ungeschwärzt bereitzustellen.
von Andreas Förster