Sächsische Zeitung, 17.04.2012
Handy-Affäre nimmt Kurs auf die Gerichte
Die ersten von über 50.000 Betroffenen lassen das Ausspähen ihrer Telefondaten juristisch prüfen.
Nachdem Innenminister Markus Ulbig (CDU) bereits in der Vorwoche mit dem bundesweiten Negativpreis „BigBrotherAward 2012“ gerügt wurde, stehen die umstrittenen Funkzellenabfragen vom Februar des vergangenen Jahres nun auch juristisch auf dem Prüfstand. Nach SZ-Informationen haben inzwischen erste Betroffene wie die Bundestagsabgeordnete der Linken, Halina Wawzyniak, beim Amtsgericht Dresden eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abfragen beantragt. Möglich wurde das, nachdem der Politikerin von der zuständigen Staatsanwaltschaft auf ein Auskunftsersuchen hin bestätigt wurde, dass die Verbindungsdaten ihres Handys in zwei Ermittlungsverfahren, die beide im Zusammenhang mit den Anti-Nazi-Aktionen in Dresden stehen, gespeichert und verwendet werden.
Mit ihr hatten 700 Personen eine solche Auskunft beantragt und erhalten nun seit einigen Wochen die Benachrichtigung, ob auch ihr Mobiltelefon erfasst ist. In diesem Fall können sie ebenfalls die gerichtliche Überprüfung der Datenerhebung beantragen – und das notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht.
Datenschützer rügt Verfahren
Kritisiert werden die Umstände des aktuellen Auskunftsverfahrens jetzt vom sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig, der zuvor bereits das massenhafte Abfragen der Handydaten als nicht rechtmäßig gerügt hatte. Schurig verweist auch jetzt auf die Gesetzeslage. Die sehe neben einer Auskunft auf Antrag auch die automatische Benachrichtigung aller anderen betroffenen Handybesitzer vor, wenn dies von besonderer Brisanz und im Interesse des jeweils Betroffenen sei. Schurig sieht beide Kriterien in der Handy-Affäre als eindeutig gegeben an. „Die Staatsanwaltschaft Dresden muss deshalb jetzt dem Anspruch gerecht werden, den der Gesetzgeber an eine Funkzellenabfrage gestellt hat.“ Im Klartext: Alle Personen, deren Telefondaten von Polizei und Justiz gespeichert wurden, müssen nun eine Benachrichtigung darüber enthalten – auch ohne vorherigen Antrag.
Eine Forderung mit Folgen. So wurden allein bei den Ausspähaktionen im Umfeld der Anti-Nazi-Demonstrationen die Bestandsdaten über 50.000 Handybesitzern erfasst. Dazu kommen ähnlich umfangreiche Datensätze, die zusätzlich vom Landeskriminalamt Sachsen gespeichert sind. Mehrfach wurde zwar angekündigt, die Daten zügig zu überprüfen und alle nicht für eine Strafverfolgung notwendigen Angaben zu löschen. Das ist bis heute aber nicht erfolgt.
Ein Umstand, der in der Öffentlichkeit weiter Misstrauen schürt. Der Landesbeauftragte legt deshalb mit seiner Kritik nach. „Solche nur auf Verdacht angehäuften Datenmengen sind völlig unverhältnismäßig. Das darf es nicht mehr geben“, fordert er und ist angesichts der anhaltenden Debatten über die Handy-Affäre sogar optimistisch. Schurig hofft, auch für Sachsen ist die Zeit bald vorbei, in der das Motto galt: „Wir gehen an den Heuhaufen und finden schon eine Nadel.“
Von Gunnar Saft