Karl Nolle, MdL

Agenturen, dapd 11:27 Uhr, 28.06.2012

Die NSU-Aufklärung in Sachsen und Thüringen - ein Zwischenstand

 
Berlin/Dresden (dapd-lsc). Die Mordserie des «Nationalsozialistischen Untergrund» wirft nach wie vor viele Fragen auf. Mehr als ein Jahrzehnt blieb die Terrorgruppe, die erst im November 2011 aufgeflogen war, unentdeckt. Die Schreckensbilanz der rechtsextremen Täter: Zehn Morde, zwei Bombenanschläge und mehrere Banküberfälle.

Neben dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags befassen sich auch parlamentarische Gremien in Thüringen und Sachsen mit der Aufklärung des Falls und den Pannen der Sicherheitsbehörden. Die Nachrichtenagentur dapd dokumentiert den Stand der jeweiligen Untersuchungen:

SACHSEN:

Sachsens parlamentarischer NSU-Untersuchungsausschuss hat deutlich später als sein Pendant im Bundestag die Arbeit aufgenommen. Opposition und schwarz-gelbe Regierungskoalition stritten zunächst monatelang über die Notwendigkeit eines solchen Gremiums.

Aus Sicht der Landesregierung lag die Verantwortung für die Ermittlungen beim Thüringer Verfassungsschutz. Zudem hatte die Koalition massive Bedenken gegen die Teilnahme der rechtsextremen NPD, die mit acht Abgeordneten im Landtag sitzt und daher im Ausschuss mit einem Parlamentarier vertreten ist. Vorsitzender ist der 32 Jahre alte CDU-Abgeordnete Patrick Schreiber, Stellvertreter der 61-jährige Linke-Abgeordnete Klaus Bartl.

Das 19-köpfige Gremium wurde auf Initiative der Opposition aus Linkspartei, SPD und Grünen im Frühjahr eingesetzt. Es soll bis zum Ende der Legislatur 2014 mögliche Versäumnisse der Behörden und der Landesregierung im Zusammenhang mit der Terrorzelle untersuchen. Zur Beweisführung kann der Ausschuss Akten und Geheimdokumente einsehen sowie Experten und Zeugen anhören. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht, weshalb die Terrorzelle jahrelang in Zwickau untertauchen konnte.

Die erste Expertenanhörung des einmal im Monat tagenden Ausschusses gab es am 15. Juni. Trotz Hinweisen habe Sachsens Verfassungsschutz die rechtsextreme Terrorzelle NSU offenbar unterschätzt, sagte der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Fabian Virchow. Es habe zahlreiche Indizien für eine enge Beziehung des NSU-Kerns zum Neonazi-Netzwerk «Blood & Honour» gegeben, denen nicht genügend Beachtung geschenkt worden sei, betonte er.

THÜRINGEN:

Das Thüringer Gremium hat sich bislang mit Untersuchungen vor dem Untertauchen der Zwickauer Zelle 1998 beschäftigt. «Wir wollen die Aktivitäten des Verfassungsschutzes bis zu diesem Zeitpunkt aufklären», sagte Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) der Nachrichtenagentur dapd in Erfurt. Im Mittelpunkt stehe das Verhältnis der Zusammenarbeit zwischen Geheimdienst und Polizei. «Es ist zu klären, ob bereits vor dem Abtauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in den Untergrund die Reißleine hätte gezogen werden können.» Die drei Rechtsextremen werden von Sicherheitsexperten zum Kern der Terrorzelle gezählt.

Bislang wurden Mitarbeiter der Polizei, frühere Thüringer Minister und Chefs des Landesverfassungsschutz sowie Experten der rechten Szene gehört. Marx machte auf erste Ergebnisse der Ausschussarbeit aufmerksam. «Die Verstrickung von Agenten, sogenannter V-Leute, mit der rechten Szene war stärker als angenommen», sagte sie. Deswegen dränge sich die Frage auf, ob die V-Männer den Neonazis eher gedient oder geschadet hätten.

Die Ausschussmitglieder wollen sich vor der parlamentarischen Sommerpause noch dreimal treffen. Die nächste Sitzung ist am Dienstag (3. Juli), die weiteren am 9. und 10. Juli. Vor allem die Aussagen des umstrittenen ehemaligen Chefs des Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, werden von den Gremiumsmitgliedern mit Spannung erwartet. Roewer war von 1994 bis 2000 Behördenchef. Ihm wurde unter anderem vorgehalten, dass der damalige Neonazi und Gründer der rechten Vereinigung Thüringer Heimatschutzes (THS), Tino Brandt, als V-Mann geführt und enttarnt wurde.

Neben der Parlamentsarbeit beschäftigte sich in Thüringen noch die sogenannte Schäfer-Kommission mit der Untersuchung der Behördenpannen rund um den NSU. Die Gruppe um den ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer deckte eklatante Lücken in der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdienst sowie Fahndungspannen auf. Allerdings, so monierte Marx, seien im Bericht nicht alle Dinge aufgegriffen worden. Unter anderem die erst jüngst bekannt gewordene Operation «Rennsteig» in der in den 1990er Jahren mehrere Geheimdienste den THS bespitzelt haben sollen.

dapd/T2012062850725/grk/bme/jop
281127 Jun 12

Von Björn Menzel und Gregor Klaudius

Karl Nolle im Webseitentest
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