sueddeutsche.de, 12:20 Uhr, 11.07.2012
NSU-Skandal: Sachsens Verfassungsschutz-Chef tritt zurück
Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Boos zieht überraschend die Konsequenzen aus den Ermittlungpannen im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Er ist der dritte führende Verfassungsschützer, der wegen des NSU-Skandals sein Amt verliert. Die Opposition im sächsischen Landtag greift nach Boos' Rückzug Innenminister Ulbig an - die Vorgänge seien "beschämend".
Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt überraschend zurück. Er habe um seine Versetzung zum 1. August gebeten, teilte Innenminister Markus Ulbig (CDU) im Landtag mit. Ursache sei "offenbar das eklatante Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter".
Boos zieht damit Konsequenzen aus einer Panne des Geheimdienstes bei der Aufklärung des Skandals um die Zwickauer Neonazi-Zelle. Boos ist der dritte Chef des Verfassungsschutzes, der im Zusammenhang mit dem Neonazi-Terror sein Amt verliert. Zuvor musste der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, gehen. Thüringen schickte seinen Verfassungsschutz-Chef Thomas Sippel in den vorläufigen Ruhestand.
Ulbig sprach von einem eklatanten Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter des sächsischen Verfassungsschutzes. Nach seinen Worten sind erst jetzt Protokolle einer Telefonüberwachung des Bundesamtes für Verfassungsschutz von Ende 1998 aufgetaucht. Bislang hatte der Minister wiederholt beteuert, dass Sachsen alle Dokumente veröffentlicht habe.
"Wie ein Kartenhaus"
Was genau in den Protokollen festgehalten wurde, blieb zunächst unklar. Die Telefonüberwachung selbst sei zwar in Berichten an die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) Sachsens berücksichtigt worden. Neu sei aber, dass im Landesamt noch Protokolle dieser Überwachung existierten, hieß es. Gegen Mitarbeiter des sächsischen Verfassungsschutzes seien unverzüglich disziplinarische Schritte eingeleitet worden.
Boos bedaure diesen Vorfall zutiefst und sei tief enttäuscht, berichtete der Minister. Unter diesen Umständen könne er das Amt nicht mehr mit dem gebotenen Vertrauen weiterführen, habe Boos ihm gesagt.
Nach seinem Rücktritt hat nun die Landtagsopposition Ulbig scharf kritisiert. Noch in der vergangenen Woche habe der Minister erklärt, Boos habe alle Informationen zur Zwickauer Terrorzelle offengelegt, sagte der demokratiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Miro Jennerjahn. Nur wenige Tage später tauche eine neue Geheimakte auf "und das Ganze bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen". Das sei beschämend. Die Opposition im sächsischen Landtag sieht den Verfassungsschutz im Freistaat besonders in der Pflicht, weil der NSU jahrelang unerkannt in Zwickau Unterschlupf gefunden hatte.