Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 31.07.2012

Die Pannenliste der Verfassungsschützer - Dokumente belegen, dass viele Spuren des Terror-Trios nach Sachsens wiesen.

 
Der Geheimdienst hatte etliche Verdächtigte früh im Visier, ließ sie später aber alle wieder ziehen.

Die Dokumente tragen einen sehr prägnanten Vermerk: „Geheim – amtlich geheim gehalten“. Dazu findet sich der Hinweis, dass diese VS-Einstufung erst mit Ablauf des Jahres 2041 endet.

Der umfangreiche Bericht aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz entstand nur wenige Monate nach dem Auffliegen des zuletzt in Zwickau lebenden Terror-Trios, welches unter der Bezeichnung „Nationalsozialistischer Untergrund“ zuvor jahrelang unerkannt Morde verübte. Die Opfer: ausländische Mitbürger und eine Polizistin.

Etliche Details aus dem brisanten Papier sind schon an die Öffentlichkeit gedrungen, allein das Ausmaß des Versagens der Sicherheitsbehörden ist bis heute nicht bekannt. Auch nicht der genaue Anteil der sächsischen Verfassungsschützer, die ebenfalls bis zuletzt glücklos agierten. Aus heutiger Sicht muss man ihnen Totalversagen vorhalten, denn der Bericht macht eines sehr deutlich: Bereits unmittelbar nach dem Abtauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe vor vierzehn Jahren gab es schnell Hinweise darauf, dass sich die Gesuchten in Sachsen aufhalten und dort Helfer haben.

So vermerken die Geheimdienstler, dass ab 1998 zunächst Unterstützungsleistungen aus dem Umfeld des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes (THS) bekannt geworden sind, ab Herbst dann aber eben auch aus der „Blood and Honour“-Sektion Sachsen. Zwei lokale Aktivisten werden ausdrücklich erwähnt, die unabhängig voneinander versuchen würden, „die Flüchtigen mit Waffen bzw. Ausweispapieren zu versorgen“. Darunter ist Jan W. aus Chemnitz. Für Sachsens Verfassungsschutz schon damals kein Unbekannter. 1994 hatte man zu W. einen operativen Vorgang eingeleitet, später zweimal direkt Kontakt mit ihm aufgenommen. Alle Maßnahmen wurden im Mai 1995 aber mangels Ergebnissen eingestellt.

Doch W. war nicht die einzige Spur, die von Anfang an nach Sachsen führt. Ebenfalls für 1998 gibt es den Hinweis, dass das flüchtige Trio „mit dem Fahrzeug des THS-Aktivisten Ralf W. unterwegs war und sich im Raum Dresden“ aufhält. Uwe Mundlos verfüge dort offenbar über Kontakte zur rechten Szene, wird festgehalten.

„Kameraden in Sachsen“

Im gleichen Jahr wird dem Verfassungsschutz zudem bekannt, dass ein mutmaßlicher Unterstützer des Trios „wiederholt von Chemnitzer Rechtsextremisten von öffentlichen Telefonzellen aus“ angerufen wird. Er soll dabei „Anweisungen für Treffs und Geldbesorgungen bei den Eltern der Gesuchten“ erhalten haben. Verfassungsschützer erklären deshalb noch 1999: „Man gehe davon aus, dass sich die Flüchtigen noch im Inland aufhielten, möglicherweise in Sachsen.“ Die Hinweise in Richtung des Freistaates reißen in jener Zeit tatsächlich nie ab.
 
Im Mittelpunkt vieler Informationen, so hält es der Bericht fest, stehen dabei ab 1998 die sächsische Sektion von „Blood and Honour“ sowie Jan W. – eingeleitete Observationen und Telefonüberwachungen bleiben aber weitgehend erfolglos. Bis auf ein wichtiges Detail. Aus der Überwachung „ergaben sich Anhaltspunkte auf ein konspiratives Versteck Ws. im Großraum Dresden, möglicherweise ein Zufluchtsort der Flüchtigen“, notiert der Geheimdienst. Auch hier stimmt die Richtung – Sachsen.

Und für 1999 halten die Akten neue Spuren fest. Es gäbe „verdichtete Hinweise auf einen Aufenthalt der Flüchtigen im Raum Chemnitz“, heißt es nun. Weitere Observationen werden eingeleitet, doch auch die führen zu nichts. Dafür gibt es regelmäßig Anhaltspunkte, wo das bundesweit gesuchte Terror-Trio tatsächlich untergetaucht ist. So vermerkt der geheime Bericht akribisch, dass ein Unterstützer im April 1999 Spendengelder für die Gesuchten per Banküberweisung nach Sachsen transferiert haben soll. Ein anderer Helfer hätte zudem sofort die „Kameraden in Sachsen“ um Hilfe gebeten, als der Kontakt zum Terror-Trio kurzzeitig abriss.

Auch die Hinweise auf Chemnitz häufen sich, organisierte Versorgungsfahrten werden genau so erwähnt wie Informationen über Telefonkontakte sächsischer Helfer des Trios. Doch es bleibt dabei. Der langjährige Aufenthaltsort der Terroristen sollte erst 2011 bekannt werden – als Beate Zschäpe in einem Zwickauer Wohnhaus Feuer legt, um Spuren zu vernichten. Zu dem Zeitpunkt hat der Verfassungsschutz die Suche längst aufgegeben. 2009 informieren sich die Ämter in Thüringen und Sachsen noch einmal formal über die folgenlosen Überwachungen und stellen fest, dass das Verfahren gegen die drei Flüchtigen wegen Verjährung eingestellt und die Zielfahndung beendet sei.

Der „Rest“ ist bekannt – mutmaßlich 10 Tote forderte die Blutspur des Terror-Trios. Bis heute ist unklar, warum man die Täter nicht früher stoppen konnte. Die Antworten zur beispiellosen Pannenserie könnten in den Akten stehen – auch in denen des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Doch die Behörde kann heute nicht mal erklären, wie viele der Unterlagen bereits vernichtet worden sind. Der Skandal geht einfach weiter.

Von Gunnar Saft

Karl Nolle im Webseitentest
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