DNN/LVZ, 31.07.2012
"Recht auf staatliches Vergessen" - "Der FDP-Rechtspolitiker Carsten Biesok zur Vernichtung von Akten beim sächsischen Verfassungsschutz
Interview Kurzfassung:
Dresden. Wegen diverser Pannen bei den Ermittlungen zur Terror-Zelle steckt Sachsens Inlandsgeheimdienst in der Krise. Für zusätzliche Verwirrung sorgt die Aktenvernichtung im Amt. Carsten Biesok, FDP-Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK), hält Letzteres zwar für rechtlich möglich. Er fordert aber mehr Rechte für die PKK.
Frage: Der Verfassungsschutz hat im vergangenen halben Jahr Tausende Akten geschreddert, darunter auch solche mit Neonazi-Bezug. Durfte er das überhaupt?
Carsten Biesok: Es gibt Löschungsfristen im Verfassungsschutzgesetz. Und wenn über einen längeren Zeitraum keine neuen Erkenntnisse zu einem Gesamtkomplex vorhanden sind, kann geschreddert werden.
Auch wenn es sich dabei nicht um elektronisch gespeicherte Daten handelt, sondern um Akten in Papierform?
Auch dann. Entscheidend ist die Frage, ob die jeweilige Akte noch für relevant erachtet wird.
Und wer entscheidet darüber?
Nach dem Verfassungsschutz-Gesetz ist das die ureigene Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz selbst.
Dürfen auch Teilakten in den Reißwolf wandern, wie es in diesem Falle ja war?
Da muss man sich zunächst darüber unterhalten, was eine Akte ist. Es gibt zwei unterschiedliche Arten: Akten, die zu einem Gesamtkomplex gehören, und solche über Personen. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Person aus einem Komplex über fünf Jahre nicht mehr auffällig geworden ist, dann hat sie das Recht auf staatliches Vergessen.
Gilt das auch für Akten zu dem Neonazi-Netzwerk Blood & Honour, das als Nährboden für das Terror-Trio gilt?
Im Gesamtvorgang zu Blood & Honour existieren viele Bezüge zum NSU, deshalb kommt hier eine Vernichtung der Gesamtakte nicht in Frage. Etwas anderes ist es, wenn ein einzelnes ehemaliges Mitglied von Blood & Honour über viele Jahre nicht mehr auffällig geworden ist. Dann hat auch diese Person das Recht, dass ihre persönlichen Daten gelöscht werden.
Öffentlichkeit und selbst Kontrollgremien bleibt dabei aber nichts anderes übrig, als der Einschätzung des Geheimdienstes zu vertrauen. Ist das nicht ein Armutszeugnis?
Es ist Aufgabe der Behörde, sich an Recht und Gesetz zu halten - und eben nicht danach zu gehen, was politisch angesagt scheint. Aber es stimmt, wir müssen uns auch über die Kontrollmöglichkeiten der PKK unterhalten. Bisher muss die PKK glauben, was ihr berichtet wird. Sie hat zum Beispiel kein eigenständiges Recht, sich Akten vorlegen zu lassen. Das schränkt die Kontrolle erheblich ein. In Zukunft muss es deshalb möglich sein, dass wir als PKK auch mal in das Amt hineingehen und fragen: Was macht ihr da eigentlich? Und zwar, ohne dass das zuvor lange angekündigt und vorbereitet wird.
Können Sie einschätzen, ob die PKK stets komplett informiert wird?
Das kann ich bei dem derzeitigen Verfahren nicht einschätzen. Deshalb wäre es angebracht, dass wir ein direktes Aktenvorlagerecht erhalten.
Interview: Jürgen Kochinke
Interview ungekürzt:
„Es gibt ein Recht auf staatliches Vergessen "
Der FDP-Rechtspolitiker Carsten Biesok zur Vernichtung von Akten beim sächsischen Verfassungsschutz
Dresden. Wegen diverser Pannen bei den Ermittlungen zur Terror-Zelle steckt Sachsens Inlandsgeheimdienst in der Krise. Für zusätzliche Verwirrung sorgt die
Aktenvernichtung im Amt. Carsten Biesok, FDP-Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK), hält das zwar für rechtlich möglich. Er fordert aber mehr Rechte für die PKK.
Frage: Der Verfassungsschutz hat im vergangenen halben Jahr tausende Akten geschreddert, darunter auch solche mit Neonazi-Bezug. Durfte er das überhaupt?
Carsten Biesok: Es gibt Löschungsfristen im Verfassungsschutzgesetz. Und wenn über einen längeren Zeitraum keine neuen Erkenntnisse zu einem Gesamtkomplex vorhanden sind, kann geschreddert werden.
Auch wenn es sich dabei nicht um elektronisch gespeicherte Daten handelt, sondern um Akten in Papierform?
Auch dann. Entscheidend ist die Frage, ob die jeweilige Akte noch für relevant erachtet wird.
Und wer entscheidet darüber?
Nach dem Verfassungsschutz-Gesetz ist das die ureigene Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz selbst.
Dürfen auch Teilakten in den Reißwolf wandern, wie es in diesem Falle ja war?
Da muss man sich zunächst darüber unterhalten, was eine Akte ist. Es gibt zwei unterschiedliche Arten: Akten, die zu einem Gesamtkomplex gehören, und solche
über Personen. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Person aus einem Komplex überfünf Jahre nicht mehr auffällig geworden ist, dann hat sie das Recht auf staatliches Vergessen.
Gilt das auch für Akten zu dem Neonazi-Netzwerk Blood & Honour, das als Nährboden für das Terror-Trio gilt?
Im Gesamtvorgang zu Blood & Honour existieren viele Bezüge zum NSU, deshalb kommt hier eine Vernichtung der Gesamtakte nicht in Frage. Etwas anderes ist es, wenn ein einzelnes ehemaliges Mitglied von Blood & Honour über viele Jahre nicht mehr auffällig geworden ist. Dann hat auch diese Person das Recht, dass seine persönlichen Daten gelöscht werden.
Öffentlichkeit und selbst Kontrollgremien bleibt dabei aber nichts anderes übrig, als der Einschätzung des Geheimdienstes zu vertrauen. Ist das nicht ein Armutszeugnis?
Es ist Aufgabe der Behörde, sich an Recht und Gesetz zu halten – und eben nicht danach zu gehen, was politisch angesagt scheint. Aber es stimmt, wir müssen uns auch über die Kontrollmöglichkeiten der PKK unterhalten. Bisher muss die PKK glauben, was ihr berichtet wird. Sie hat zum Beispiel kein eigenständiges Recht, sich Akten vorlegen zu lassen. Das schränkt die Kontrolle erheblich ein. In Zukunft musses deshalb möglich sein, dass wir als PKK auch mal in das Amt hinein gehen undfragen: Was macht ihr da eigentlich? Und zwar, ohne dass das zuvor lange angekündigt und vorbereitet wird.
Glauben Sie, dass ihr Koalitionspartner CDU diese Änderung begrüßen würde?
Das ist sicher eine knifflige Angelegenheit. Man darf einer staatlichen Behörde natürlich nicht generell misstrauen. Die allermeisten arbeiten sauber und solide. Die Frage bei hochsensiblen Daten ist aber: Wie kann man gewährleisten, dass man auch das sieht, was man sehen möchte? Momentan ist es so, dass Akten auf Anforderung bereitgestellt werden, wir aber nicht wissen, was unterwegs mit den Akten passiert.
Können Sie einschätzen, ob die PKK stets komplett informiert wird?
Das kann ich bei dem derzeitigen Verfahren nicht einschätzen. Deshalb wäre es angebracht, dass wir ein direktes Aktenvorlagerecht erhalten.
Der Verfassungsschutz soll neu strukturiert werden. Wie weit sollte das gehen?
Es ist nicht mehr haltbar, dass wir 16 Länderbehörden in Deutschland haben, die jeweils an den Ländergrenzen halt machen. Es muss eine zentrale Behörde geben, das Bundesamt für Verfassungsschutz. Und dann gibt es Außenstellen in den Ländern. Dafür ist aber eine Verfassungsänderung nötig, das geht nicht von heute auf morgen.
Und eine solche Mammutbehörde wäre dann besser kontrollierbar?
Es wäre in der Tat eine größere Behörde, diese wäre aber auch effektiver. Und dann muss man in einem zweiten Schritt dafür sorgen, wie man sie besser kontrollieren kann.
Interview: Jürgen Kochinke