Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 23.08.2012

Mordanklage gegen Zschäpe - Die Bundesanwaltschaft will Beate Zschäpe wegen der NSU-Morde anklagen, aber die Beweislage dafür ist ziemlich dünn.

 
Es ist ein ungewöhnlicher Schritt der Bundesanwaltschaft: In einem offenbar an die Presse lancierten Antrag auf Haftverlängerung hat die Karlsruher Behörde bereits jetzt die Anklage skizziert, die sie erst im Oktober gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe erheben will. Danach soll sich die 37-Jährige wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Mittäterschaft an zehn Morden und 14 Banküberfällen, versuchten Mordes in Zusammenhang mit einer Brandstiftung und Mordversuchs im Zusammenhang mit zwei Sprengstoffanschlägen in Köln vermutlich ab Anfang 2013 vor Gericht verantworten.

Mitte Mai hatte der Bundesgerichtshof bei der letzten Haftprüfung im Fall Zschäpe mehr Tempo in den Ermittlungen und eine baldige Anklageerhebung angemahnt. Insoweit dürfte die jetzt vorgelegte Begründung für eine Haftverlängerung auch eine Art Testballon aus Karlsruhe sein – aus der Reaktion des BGH kann die Bundesanwaltschaft ableiten, ob eine solch umfängliche Anklage gegen Zschäpe Aussicht hat, von einem Gericht angenommen und verhandelt zu werden.

Indizien für Mordbeteiligung

Keinen Dissens dürfte es dabei wohl in den Tatvorwürfen der schweren Brandstiftung und der Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe geben. Schon in früheren Beschlüssen hatte sich der BGH die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft hierzu weitgehend zu eigen gemacht. Spannend aber bleibt, ob sich die Richter auch in der Frage der Mittäterschaft Zschäpes an den zehn Morden, 14 Banküberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen der Bundesanwaltschaft anschließen. Diese Taten werden bislang den beiden anderen mutmaßlichen Mitgliedern der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, zugerechnet.

Eine mögliche Mittäterschaft, also die mittelbare oder unmittelbare Teilnahme an Planung und Durchführung der Verbrechen, ließe sich nur anhand von Indizien nachweisen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Zschäpe an einem der Tatorte oder in dessen Nähe gewesen ist. Auch konnte bislang nicht ausgeschlossen werden, dass es nicht noch weitere Täter gibt. Dafür, dass nur Mundlos und Böhnhardt alle Taten begangen haben, sprechen lediglich Indizien, wie die Tatwaffen und das sogenannte Bekennervideo der NSU, die sich in der Hinterlassenschaft der drei fanden.

Noch prekärer ist die Beweislage bei den Banküberfällen: Bislang können nur fünf Fälle Mundlos und Böhnhardt zugeordnet werden, weil Teile der Beute und die verwendete Tatwaffe gefunden wurden. Ob man aber auch die übrigen neun, bislang unaufgeklärten Raubüberfälle den beiden zurechnen kann, bleibt aufgrund der schwachen Indizienlage zweifelhaft.

Aus den bisher bekannt gewordenene Ermittlungsunterlagen ergibt sich zudem, wie fragil die Beweiskette ist, mit der die Bundesanwaltschaft Zschäpe der Mittäterschaft überführen will. So wird etwa ihr Fingerabdruck auf dem Wohnmobil aufgeführt, in dem Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach ums Leben kamen. Tatsächlich war das Fahrzeug bereits im Oktober angemietet worden und hatte eine Zeitlang auch in der Zwickauer Frühlingsstraße geparkt, wo sich die Wohnung der drei befand.

Abenteuerliche Indizienkette

Als weiteres Indiz gilt ein Anruf, der Mundlos oder Böhnhardt am 15. Juni 2005, wenige Stunden vor einem der Morde in München, in der Nähe des Tatorts auf dem Handy erreichte. Der Anruf erfolgte von einer Telefonzelle in der Zwickauer Polenzstraße aus, wo das Trio damals wohnte. Einen Beweis dafür, dass Zschäpe die Anruferin war und ihr möglicherweise in dem Gespräch von der bevorstehenden Tat erzählt wurde, gibt es aber nicht.

Angeführt werden von den Ermittlern noch weitere Fingerabdrücke Zschäpes. Sie fanden sich auf zwei Zeitungsausschnitten aus der ausgebrannten Wohnung in Zwickau. Die Artikel handelten von dem Sprengstoffanschlag in Köln und der Ermordung eines Migranten in München – beide Taten werden dem NSU zugeordnet. Andere Zeitungsartikel dieser Art hatten auch Verwendung in dem NSU-Video gefunden.

Geradezu abenteuerlich klingt eine weitere Indizienkette. Demnach hätten sich auf einer in Zwickau geborgenen DVD zwei Fotos gefunden, die Böhnhardt und Zschäpe zeigen. Offenbar hatten die beiden gewettet, bis zu einem bestimmten Tag im Jahr 2004 ein bestimmtes Körpergewicht zu erreichen. Für den Fall des Scheiterns sollte der Verlierer „200 Videoclips schneiden“. Schlussfolgerung der Ermittler: Da beide Wettkandidaten offenbar das Bearbeiten von Videoclips beherrschen und das Bekennervideo aus Diversen solcher Clips besteht, haben beide auch an der Herstellung des NSU-Films mitgewirkt. Hinzu komme, dass im Zusammenhang mit der Wette Mundlos mit dem Spitznamen „Cleaner“ belegt gewesen sei, Böhnhardt mit „Killer“. Die Verwendung des Spitznamen „Killer“ für Böhnhardt zeige, so heißt es in den Ermittlungsunterlagen, dass dies „eine Akzeptanz der ihm vorgeworfenen Morde seitens Beate Zschäpe vermuten“ lasse.

Von Andreas Förster

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