Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 18:55 Uhr, 14.11.2012

Neonazis - Außen HipHop, innen rechts

 
Sie tragen Kapuzenpullis, hören HipHop und treffen sich in Internetforen: Die neuen Rechtsextremisten haben nicht mehr viel gemein mit den Springerstiefel-Skinheads vergangener Tage. Dennoch halten die Behörden die sogenannten "Autonomen Nationalisten" für besonders gefährlich.

Der moderne Neonazi fällt nicht auf, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Er trägt ein lässiges Sweatshirt mit Kapuze, dazu Jeans und Turnschuhe, vielleicht noch eine Baseballkappe und ein Palästinensertuch. Er sieht aus wie alle aussehen. Glatze und Springerstiefel, seine Erkennungszeichen früherer Tage, sind heute in der Szene ziemlich verpönt. Er hört vielleicht sogar HipHop oder Musik von Bands, die sich öffentlich gegen Rechtsextremismus ausgesprochen haben.

"Autonome Nationalisten" nennen die Sicherheitsbehörden diese Personen, etwa 900 soll es nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Deutschland geben. Sie verbänden "Lifestyle mit Neonazismus", sagt BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen. Und sie brächten eine "besondere Gewaltbereitschaft" mit. Denn während die Zahl der Rechtsextremisten seit Jahren kontinuierlich abnimmt, hat sich die Zahl der als besonders radikal geltenden Neonazis seit den neunziger Jahren auf inzwischen etwa 6000 verdreifacht. Im vergangenen Jahr begingen sie mehr als 750 Gewalttaten.

Die "Autonomen Nationalisten" verstehen sich als Elite der Szene. Sie agitieren auf Schulhöfen, Bahnhöfen, Fußgängerzonen, auf den Tribünen von Fußballstadien und in Kneipen. Sie verteilen Flugblätter, kleben Plakate und nutzen das Netz für ihre Botschaften. Einige von ihnen sind ausschließlich erlebnisorientiert, andere stark politisiert. Rassistisch, antisemitisch, nationalistisch, globalisierungsfeindlich und antiamerikanisch. Und vor allem sind sie jung und überwiegend männlich.

Beate Zschäpe als Quartiermacherin

Frauen spielen in der Szene zwar eine immer wichtigere Rolle, doch noch wirken sie vor allem im Hintergrund. Sie "schaffen den Background für Männer, die Gewalt ausüben", sagt die Marburger Politologin Ursula Birsl. Auch Beate Zschäpe soll vor allem als Quartiermacherin des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gewirkt haben. Laut Anklage hatte Zschäpe die Aufgabe, dem Dasein der terroristischen Vereinigung "den Anschein von Normalität und Legalität" zu geben. Sie habe ihren Nachbarn und Bekannten die häufige Abwesenheit von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos "unverfänglich" erklärt - während diese mögliche Anschlagsziele ausgespäht und die Morde begangen hätten.

Verfassungsschützer Maaßen warnt vor einer Weiterentwicklung terroristischer Strukturen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und den Verbrechen der Zwickauer Terrorzelle müsse sich die Gesellschaft auf immer neue Formen extremistischer Taten einstellen, so der BfV-Präsident. Die Bereitschaft, Gewaltverbrechen zu verüben, nehme in der rechtsextremen Szene zu. Zugleich erkennt der Generalbundesanwalt Harald Range die Tendenz, dass Gruppierungen sich nach außen als lose Zusammenschlüsse darstellen. Diese "bewusste Verschleierungstaktik" nehme den Behörden oft die Möglichkeit, die Zellen als terroristische oder kriminelle Vereinigungen einstufen und gegen sie ermitteln zu können.

Einen Schritt weiter sind die Dortmunder "Autonomen Nationalisten" gegangen, die sich nach dem Verbot ihrer Kameradschaft durch den nordrhein-westfälischen Innenminister derPartei "Die Rechte" angeschlossen haben. BfV-Präsident Maaßen sieht darin den Versuch der Aktivisten um den mutmaßlichen Anführer Dennis Giemsch, diese Gruppierung zu übernehmen.

Werden die Behörden die Rechtsausleger gewähren lassen? In den Verbotsverfügungen gegen die rechtsextremen Zusammenschlüsse hatte das Düsseldorfer Innenministerium den Betroffenen zugleich untersagt, "Ersatzorganisationen zu bilden". Deswegen wird nun geprüft, ob es sich bei der "Rechte"-Filiale in Dortmund um eine solche Nachfolgetruppe handelt. Allerdings sind die juristischen Hürden für ein Parteienverbot in Deutschland bekanntlich sehr hoch.

Die Musik spielt eine zentrale Rolle

"Die Rechte" ist eine Erfindung des bekannten Neonazis Christian Worch, der für seine Gruppierung beim Bundeswahlleiter eine offizielle Registrierung beantragt hat und mit ihr am äußersten rechten Rand der NPD Konkurrenz machen will. In einer Gründungserklärung war die Rede davon, dass die Partei "nicht unwesentlich auf den Trümmern der DVU aufbaut". Selbst das Programm sei von der alten DVU übernommen, "in etlichen Punkten allerdings sprachlich wie inhaltlich modernisiert und ergänzt", so Worch seinerzeit. "Die Rechte" solle "radikaler als die REPs und die Pro-Bewegung" sein, aber "weniger radikal als die NPD".

Dass die Neonazi-Szene weiterhin großen Zulauf erhält, führt der Journalist Thomas Kuban auf die stetig stattfindenden Rechtsrock-Konzerte zurück. Der Reporter recherchiert seit 15 Jahren verdeckt in dem Milieu. Er hält es für einen fortdauernden Skandal, dass noch nicht einmal ein Zehntel dieser Veranstaltungen aufgelöst werde. Oft genug lasse die Polizei die Neonazis gewähren, möglicherweise weil sie eine Konfrontation scheue. Die Musik, so sagt er, spiele aber eine zentrale Rolle in der Szene. Sie verbreite menschenverachtende Parolen und sorge dafür, dass diese sich festsetzten. "Ein Flugblatt dagegen wird nur einmal gelesen."

Von Jörg Diehl, Wiesbaden

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