Sächsische Zeitung, 27.11.2012
Sozial Schwache sehen kaum Aufstiegschancen
Einmal arm, immer arm. Das glauben in Deutschland viele Menschen, vor allem junge Leute unter 30. Im Osten ist die negative Sicht noch stärker ausgeprägt.
Berlin. Mehr als die Hälfte der aus einfachen Verhältnissen stammenden Menschen unter 30 Jahren glaubt nicht, dass in Deutschland ein Aufstieg in eine höhere soziale Schicht möglich ist. Eine solche Meinung sei „zutiefst schädlich“, sagte die Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, gestern in Berlin bei der Präsentation einer neuen Studie zur Chancengerechtigkeit. Mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung ist demnach überzeugt davon, dass Leistung sich nicht lohnt und allein das Elternhaus zählt. Der Glaube, sich durch Leistung verbessern zu können, sei aber eine Grundvoraussetzung dafür, sich verstärkt zu engagieren, betonte sie. Besonders pessimistisch sind die Ostdeutschen.
Ganz anders schätzen etwa die Schweden ihre Chancen ein. In der ländervergleichenden Studie stellten die Meinungsforscher fest, dass dort unabhängig von der sozialen Schicht zwei von drei jungen Erwachsenen überzeugt sind, dass jeder alles werden kann. Hierzulande werde die Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder stark den Eltern übertragen. „Und auch die Eltern selbst ziehen sich diesen Schuh an“, sagte Köcher. In Schweden zeigen sich die Eltern deutlich entspannter und delegieren Bildungsaufgaben stärker an den Staat. Weil deutsche Eltern sich eher verpflichtet fühlen, spielen ihre eigenen Voraussetzungen eine größere Rolle als in Schweden. Der enge Zusammenhang zwischen Bildungshintergrund der Eltern und dem Bildungsweg der Kinder präge auch die Vorstellung der Deutschen sehr stark, ob man es in dieser Gesellschaft mit Leistung zu etwas bringen kann, sagte Köcher.
Soziale Unterschiede seien normal. „Die entscheidende Frage ist, ob eine Gesellschaft auch Auf- und Abstiege ermöglicht“, betonte die Meinungsforscherin. Bereits das dreigliedrige deutsche Schulsystem sei sehr starr und nicht durchlässig, ergänzte dazu die Bildungssoziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger. Sie kritisierte, dass die Herkunft von Schülern bei der Beurteilung ihrer Chancen oft eine zu große Rolle spiele.
In der Umfrage „Chancengerechtigkeit durch Förderung von Kindern – ein deutsch-schwedischer Vergleich“ wurde auch untersucht, wie sich die Meinungen in Ost und West unterscheiden und welche Wünsche türkischstämmige Eltern für ihre Kinder haben. Das Ergebnis zeigt, dass Ostdeutsche die Aufstiegsmöglichkeiten in eine höhere Schicht pessimistischer einschätzen als Westdeutsche. So ist etwa die Hälfte der Westdeutschen (47 Prozent) der Meinung, dass man es mit genügend Anstrengung zu etwas bringen kann. Das denken nur 35 Prozent der Ostdeutschen.
Türkischstämmige Eltern von Kindern unter zwölf Jahren äußerten deutlich häufiger den Wunsch, dass ihre Kinder sozial aufsteigen, als die befragten Eltern insgesamt (70 zu 42 Prozent). Die türkischstämmigen Eltern helfen ihren Kindern zwar häufiger beim Erledigen der Hausaufgaben, schätzen ihre eigenen Voraussetzungen dafür aber deutlich schlechter ein als Eltern insgesamt. (dpa)