spiegel-online, 11:34 Uhr, 12.03.2013
Polizei fahndet nach 266 flüchtigen Neonazis
Mehr Rechtsextreme als bisher angenommen halten sich im Untergrund auf. 266 Neonazis sind abgetaucht, die Flüchtigen werden per Haftbefehl gesucht. Das zeigen neue Zahlen der Regierung.
Berlin - Die Zahl der untergetauchten Rechtsextremen liegt deutlich höher als zuletzt von der Regierung angegeben. 266 Straftäter aus der rechtsextremistischen Szene sind abgetaucht. Gegen sie liegt ein noch nicht vollstreckter Haftbefehl vor. Nach 182 von ihnen wird derzeit noch aktuell gefahndet. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei hervor.
"Das tatsächliche Ausmaß der Gefährdung durch untergetauchte Nazis ist offenbar weitaus größer, als es die Bundesregierung bisher eingestanden hat", sagte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken. Die Zahl der mit Haftbefehl gesuchten Neonazis sei nun mehr als doppelt so hoch wie noch im vergangenen Jahr von der Bundesregierung angegeben.
Im Oktober 2012 waren laut Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) noch rund 110 Neonazis per Haftbefehl gesucht worden. Im Ministerium verweist man darauf, dass eine Vergleichbarkeit aufgrund der veränderten Erfassungsmethode nicht gegeben sei. In die neue Erhebung wurden mehr Datensätze einbezogen. Nach Angaben der Regierung erhöhe sich damit die Treffergenauigkeit.
Die Zahlen der neuen Statistik basieren vor allem auf der jüngst gegründeten Rechtsextremismus-Datei sowie den Datenbanken der Länderpolizeien und des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Brisant sind die Zahlen vor dem Hintergrund, dass die Mitglieder der Terrorgruppe NSU nach ihrem Abtauchen jahrelang unerkannt mutmaßlich morden konnten. Lange Zeit lagen auch gegen sie offene Haftbefehle vor.
Die Delikte, die den Haftbefehlen zugrunde liegen, sind nach Angaben des Bundesregierung nur selten politisch motiviert. Bei 44 der insgesamt 266 Gesuchten ist demnach eine rechts motivierte Straftat der Grund für den Haftbefehl, bei fünf ist es eine politisch motivierte Gewalttat. Eine terroristische Straftat ist nicht darunter. Oft geht es bei den Delikten um Fahrerflucht oder unterlassene Unterhaltszahlungen.
Gleichwohl, schreibt die "Welt", gelten viele der 266 Abgetauchten, die eindeutig dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden, für Sicherheitsexperten als "tickende Zeitbomben".
Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln hat in seiner Datenbank 91 der 266 Abgetauchten erfasst. Nur fünf dieser 91 werden der NPD oder ihrem Umfeld zugerechnet - genauso viele wie in der letzten Erhebung.
Neun hätten Verbindungen zur Kameradschaftsszene oder zum freien neonazistischen Spektrum. Vier der Gesuchten haben demnach engen Kontakt zur rechtsextremistischen Musikszene, zwei gehören zur Skinheadszene.
heb/vme