spiegel-online, 17:26 Uhr, 04.04.2013
Jugendpfarrer Lothar König vor Gericht - Aufrührer im Namen des Herrn
Hat der Jugendpfarrer Lothar König bei der Anti-Nazi-Demo in Dresden 2011 Protestler zu Gewalt gegen die Polizei aufgepeitscht? Vor dem Amtsgericht Dresden kam es zu heftigen Wortgefechten zwischen seinem Verteidiger und der Staatsanwältin, König selbst hielt eine denkwürdige Rede.
Lothar König galt schon einmal als Rädelsführer, 1982 in der DDR. Als einer, der die Leute anstiftete, Unruhe säte, die "sozialistische Gesellschaft" anprangerte. "Ich war eine feindlich negative Person", sagt König, der Jugendpfarrer von Jena. Er sitzt in Saal A 2.133 des Amtsgerichts Dresden, die müden Augen umgeben von seiner wirren Haarpracht und dem zotteligen Bart. Kurz vorher hat er sich noch das braune Hemd in die Cargohose gestopft, was er nur zu besonderen Anlässen zu tun pflegt.
Damals seien zwei seiner Freunde verurteilt worden, der eine zu acht, der andere zu viereinhalb Jahren Haft. König wurde Pfarrer, er organisierte Andachten in Kirchen und Kundgebungen in Berlin, Dresden und Leipzig. "Ich habe gelernt, als Pfarrer meiner Verantwortung für die mir anvertrauten Leute nachzukommen und ein Seelsorger zu sein, Unrecht beim Namen zu nennen und für Freiheit einzutreten."
Das will er auch am 19. Februar 2011 bei der größten Anti-Nazi-Demo Deutschlands getan haben. Die Krawalle damals waren exzessiv. 3000 Rechtsextreme waren aufmarschiert, um der Bombardierung Dresdens 1945 zu gedenken. Nach Angaben des Gewerkschaftsbunds stellten sich ihnen mehr als 21.000 Menschen in den Weg, die Polizei sprach von 12.000. Als Pfarrer und Seelsorger habe er damals Jugendliche der Jungen Gemeinde Jena begleitet, sagt König.
"Wer müssen etwas entgegensetzen, wenn sich Neonazis zusammenrotten"
Fast 50 von ihnen sind an diesem Donnerstag nach Dresden gekommen, sie stehen vor dem Gerichtsgebäude, halten Plakate hoch. Aber auch andere Unterstützer sind da: Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow, Jenas Pfarrer Gotthard Lemke und Theologieprofessor Manuel Vogel. Auch Regionalbischof Diethard Kamm ist gekommen und betont: "Die Evangelische Landeskirche steht hinter Lothar König."
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat ihn wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Wieder gilt König als Rädelsführer, Aufwiegler, Unruhestifter. Von seinem Lautsprecherwagen, genannt "Lauti", soll er an jenem 19. Februar 2011 Demonstranten - "darunter gewaltbereite Linksautonome", "teilweise vermummte Menschen" - "dirigiert" und zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufgehetzt haben. "Deckt die Bullen mit Steinen zu", soll er ausgerufen, seine "herausgehobene Stellung" und maßgebliche Autorität genutzt haben, um Demonstranten zu "Gewalttätigkeiten" - auch mit "waffenähnlichen Gegenständen" - aufzupeitschen. Vorwürfe, die König vehement bestreitet, und die ihn verletzen, wie er vor Gericht in einem eindringlichen Vortrag erklärt.
"Warum können Sie in mir nicht einen Pfarrer sehen, der selbst in schwierigen und teilweise schwer überschaubaren Situationen jungen Menschen zur Seite stehen will?", wendet er sich an die Staatsanwältin, die König vorwirft, ihm sei in seinem unerbittlichen Kampf gegen Rechtsextremismus "jedes Mittel recht".
"Wenn sich Leute aus fast ganz Europa zusammenrotten - Neonazis - dann müssen wir etwas entgegensetzen. Menschenketten sind eine Möglichkeit", sagt König. "Wir müssen ihnen aber auch näherkommen und sie stören. Nicht gewalttätig, sondern mit unseren Stimmen."
Heftige Wortgefechte
In der Anklageschrift steht, König habe sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Das sei richtig, betont dieser am Donnerstag. "Ich bin allerdings auch nie befragt worden. Ich hätte mir gewünscht, wenigstens einmal zu den behaupteten Vorwürfen befragt zu werden. Vielleicht hätten wir uns den ganzen Prozess ersparen können."
Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, legt nach: "Wie soll jemand beweisen, dass er etwas nicht gesagt hat, wenn er gar nicht weiß, was er gesagt haben soll?" Überhaupt erfülle die Anklageschrift nur den Zweck, "Stimmung gegen den Angeklagten zu machen", so Eisenberg. Immer wieder kommt es zu heftigen Wortgefechten zwischen ihm und der Staatsanwältin, der der Anwalt "Faulheit" vorwirft. Neben ihr sitzt der Oberstaatsanwalt und schüttelt den Kopf.
Eisenberg erwähnt ein Dokumentenkonvolut, das er zufällig in der Originalakte entdeckt hatte und weshalb der geplante Prozessbeginn im März geplatzt war. König habe dies nicht zum Anlass genommen, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Stattdessen wolle er "vor seinen irdischen Richter treten und um Gerechtigkeit ringen", formuliert es Eisenberg pathetisch. Letztendlich habe König nichts anderes getan, was viele Spitzenpolitiker wie Hans-Christian Ströbele in der Vergangenheit getan hätten. Nur die seien nicht angeklagt worden.
Etwa 1500 Verfahren gegen Demonstranten
Die sächsische Justiz hat bei diesem Verfahren einen schweren Stand. Zum einen hat das Amtsgericht Dresden bereits mit Tim H. einen ersten, mutmaßlichen Rädelsführer vom 19. Februar 2011 zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt - mit einer Begründung, die ihresgleichen sucht.
Zum anderen sitzt da nun ein Jugendseelsorger vor Gericht, der Zeit seines Lebens den Rechtsextremismus bekämpft, dessen Engagement von vielen als selbstlos bezeichnet wird. Ein Freispruch im Fall König würde die Verurteilung Tim H.s torpedieren. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach im Zusammenhang mit dem Verhalten der Behörden bei der Anti-Nazi-Demo von "sächsischer Demokratie".
Etwa 1500 Verfahren leiteten die sächsischen Strafverfolger damals gegen Demonstranten ein, die keine Steine geworfen, keine Blockaden gebaut oder Beamte beleidigt haben - nur, weil sie mit ihrer bloßen Anwesenheit gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben sollen. Die meisten Verfahren endeten mit Strafbefehlen.
Einige, die ihre Verhandlung noch vor sich haben, sitzen am Donnerstag im Zuschauerbereich von Saal A 2.133. Sie wissen, wie sich Lothar König fühlt, als er sagt, er sei keineswegs als "neutraler Beobachter" damals nach Dresden gefahren. "Ich bin hierher gefahren, um die Proteste gegen den zur damaligen Zeit größten Neonaziaufmarsch in Europa zu unterstützen. Ich bin hierher gefahren, dass antisemitischen Verleumdungen widersprochen wird, dass muslimische Bürger nicht ermordet werden, dass Flüchtlinge und Asylsuchende Schutz und eine Heimat finden", sagt der Pfarrer.
"Nicht zuletzt bin ich hierher gefahren, um mit dazu beizutragen, dass Dresden nie wieder bombardiert wird."
Von Julia Jüttner, Dresden