Agenturen, dpa, 14:06 Uhr, 22.05.2013
Haben Behörden die Terrorzelle NSU in ihren Anfängen unterschätzt?
Auf diese und andere Fragen gibt es bis heute keine befriedigende Antwort. Und immer wieder sorgen Dokumente für neue Spekulationen.
Dresden (dpa/sn) - Die Grünen sehen nach einem NSU-Bericht von «Report Mainz» Klärungsbedarf beim sächsischen Geheimdienst. Konkret geht es um die Frage, ob das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) bei einer Telefonüberwachung im Jahr 2000 im Umfeld des Neonazi-Trios mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos schon von einer terroristischen Gruppierung ausging. Das zumindest soll ein Schreiben von Ex-Geheimdienstchef Reinhard Boos an den früheren sächsischen Innenminister Klaus Hardraht (CDU) nahelegen. «Das Vorgehen der Gruppe ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen», zitierte Grünen- Politiker Miro Jennerjahn am Mittwoch aus dem von «Report Mainz» vorgelegten Papier.
«Wusste das LfV Sachsen mehr über die terroristischen Bestrebungen des Zwickauer Terror-Trios als es uns bislang glauben machen wollte», fragte Jennerjahn. Boos habe bei seiner Vernehmung im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss unlängst mehrfach betont, dass man das Trio zwar als militante Rechtsextremisten eingestuft habe, nicht aber als Rechtsterroristen. Ähnlich habe sich auch der damals mit der Telefonüberwachung befasste Beamte geäußert. Dies stehe aber im Widerspruch zur Begründung der Überwachungsmaßnahme in dem Schreiben an Hardraht. «Das Schreiben legt nahe, dass die Gefahr gesehen, aber nicht weiter gehandelt wurde.» Jennerjahn zufolge trägt das LfV Sachsen damit eine «Mitverantwortung für den Tod von zehn Menschen». Das Terror-Trio soll neun Geschäftsleute mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin getötet haben.
Das sächsische Innenministerium hatte schon am Dienstagabend auf den TV-Beitrag reagiert und Vorwürfe zurückgewiesen. Die Bewertung und Prognose für die Überwachung habe sich auf damals bekannte Sachverhalte und Hinweise bezogen - Rohrbomben, Flucht, Waffenbesitz. «Zu diesen gehörten nicht die gezielte Ermordung von Menschen aus rassistischen Motiven», teilte das Ministerium mit. Die Dokumente zur Überwachung seien seit langem bekannt und lägen den U-Ausschüssen im Bundestag und im sächsischen Landtag schon längere Zeit vor.
Das bestätigte die Rechtsextremismus-Expertin der Linken, Kerstin Köditz. «Viel Lärm, wenig Substanz» - überschrieb sie ihr Statement zu den Spekulationen. Köditz geht davon aus, dass die G10-Kommission des Landtages - ein Gremium zur Kontrolle von Telefonüberwachungen - mit der strittigen Formulierung bewusst getäuscht werden sollte, um die Zustimmung für die Abhörmaßnahme zu erhalten. Denn sonst hätte der Geheimdienst gar nicht tätig werden dürfen, weil die Verfolgung begangener oder geplanter Straftaten der Polizei obliege.
Autor: Jörg Schurig
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221406 Mai 13