sueddeutsche.de, 18:24 Uhr, 28.01.2014
Bewährungsstrafe für Neonazis: Fatales Signal aus Hoyerswerda
Nur einer von acht Rechtsextremen, die ein Paar in Hoyerswerda massiv bedroht hatten, muss eine Freiheitsstrafe absitzen. Jetzt hagelt es massive Kritik an dem Urteil.
Gerade erst wurden wegen massiver Bedrohung und Beleidigung eines jungen Paares in Hoyerswerda im Oktober 2012 acht Rechtsextreme zu Freiheitsstrafen zwischen acht und zehneinhalb Monaten verurteilt. Der Vorsitzende Richter am Amtsgericht Hoyerswerda Michael Goebel setzte die Strafen bis auf einen Fall zur Bewährung aus. Für einen Angeklagten, der bereits wegen eines anderen Vergehens einsitzt, verlängert sich die Haft um fünf Monat. Goebel folgte bei der Strafzumessung weitgehend den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Das Urteil löst nun Empörung und Kritik aus.
Zwei Angeklagte, die zum Zeitpunkt der Tat erst 17 und 18 Jahre alt waren, erhielten eine Jugendstrafe auf Bewährung und müssen gemeinnützige Arbeit leisten. Die Jugendgerichtshelferin hatte zuvor für Erheiterung im Gerichtssaal gesorgt, als sie für die beiden jugendlichen Täter als Strafmaß die Lektüre des Buches "Die Welle" vorgeschlagen hatte.
Die Männer, die jetzt zwischen 18 und 36 Jahren alt sind und der rechtsextremen Szene angehören, hatten am Abend des 17. Oktober 2012 versucht, in die Wohnung eines jungen Paares in einem Mehrfamilienhaus in Hoyerswerda einzudringen. Sie hätten gegen die Wohnungstür geschlagen und getreten, den Strom abgestellt und Türspione verklebt.
Flucht vor Neonazis – Nur weg
Dem damals 33-jährigen Ronny S. hatten sie zudem lautstark mit dem Tod gedroht, seiner gleichaltrigen Lebensgefährtin Monique L. mit Vergewaltigung. Am ersten Verhandlungstag am 14. Januar 2014 hatte die Nebenklägerin L. unter Tränen ausgesagt, dass sie aufgrund dieser Drohung die Entscheidung getroffen hatte, aus dem Fenster zu springen und sich das Leben zu nehmen, sofern es den Angreifern gelingen sollte, gewaltsam in die Wohnung einzudringen. Das Paar lebt inzwischen in einer deutschen Großstadt, beide leiden bis heute an den psychologischen Folgen der Bedrohung.
"Wir sind froh, dass wir diesen schweren Gang jetzt hinter uns haben", sagt Monique L. nach der Urteilsverkündung. Schon vorab hatten die beiden betont, es gehe ihnen nicht um ein möglichst hohes Strafmaß für die Angeklagten. Heute ergänzte L. gegenüber der Süddeutschen Zeitung: "Es war gut am Prozess teilzunehmen, auch wenn er uns viel Kraft gekostet hat und oft mühselig war. So konnten wir noch mal auf den Überfall und seinen Hintergrund hinweisen. Ich hoffe, wir können jetzt besser damit abschließen."
"Wenn das keine Störung der öffentlichen Ordnung ist ..."
Ronny S. und Monique L. hatten sich in ihrer ostsächsischen Heimatstadt gegen Rechtsradikalismus engagiert; zweimal pro Woche waren die beiden mit ihren Hunden durch Hoyerswerda gelaufen und hatten Aufkleber verschiedenster rechts gesinnter Parteien und Vereinigungen entfernt. Die Opfer werten den Angriff auf sich daher als Einschüchterungsversuch. Der Richter ging in seiner Urteilsbegründung zwar auf die politische Motivation der Angreifer ein, eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit sah er aber nicht.
Der Anwalt der als Nebenkläger aufgetretenden Geschädigten, Klaus Bartl, hatte eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs gefordert. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte er heute: "Wenn das keine Störung der öffentlichen Ordnung ist, dann weiß ich auch nicht. So ein Überfall ist immer auch eine Warnung an alle anderen, die sich gegen rechte Gewalt engagieren."
Völlig offen blieb im Prozess die Frage nach der Rolle der Polizei. Am Tag nach dem Überfall hatte ein Beamter des Staatsschutzes die beiden Opfer in seinem Privatwagen aus der Stadt an einen einhundert Kilometer entfernten geheimen Ort gebracht. Der zuständige Polizeisprecher der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien verteidigte damals in einem Interview mit dem MDR dieses Vorgehen als "geeignete Maßnahme": "Es ist einfacher, zwei Personen von einem zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen als 30 Personen zu bewachen."
Die zuerst am Tatort eingetroffenen Polizisten Bodo B. und Maik W. sagten am ersten Prozesstag aus, die Stimmung vor Ort sei aggressiv gewesen, woraufhin sie versucht hätten, die Personalien der Täter aufzunehmen und einen Platzverweis auszusprechen. Dies sei aber nur mit höhnischem Lachen quittiert worden. Der Einsatzleiter Matthias B. hingegen erklärte am gestrigen Prozesstag, er habe bei seiner Ankunft vor Ort keine Gefahr ausmachen können und die Anwesenden auch nicht als Neonazis erkannt.
Drei Anwohner sagten jedoch einvernehmlich mit dem geschädigten Paar Ronny S. und Monique L. aus, dass die Täter vermummt gewesen seien, zum Teil Sonnenbrillen getragen hätten und "Heil, heil" und "ANH - Autonome Nationale Hoyerswerda" skandiert hätten. Erst drei Stunden nach Ankunft der ersten Polizisten am Tatort gelang es der inzwischen verstärkten Einsatztruppe an einer nahe gelegenen Tankstelle die Personalien von acht der 15 Angreifer aufzunehmen. Rucksäcke und Gürteltaschen der Angreifer waren nicht durchsucht worden, auch Alkoholkontrollen waren keine durchgeführt worden.
Die Angeklagten konnten sich daher vor Gericht auf Erinnerungslücken aufgrund eines hohen Alkoholpegels berufen.
Fehlender Aufklärungswille im Gerichtssaal?
Opferanwalt Klaus Bartl bezeichnete das Vorgehen der Polizei an jenem Abend im Oktober 2012 als "äußerst fragwürdig" und die Aufklärung der Vorgänge im Zuge des Prozesses als "ungenügend". Weitere Rechtsmittel stehen ihm als Anwalt der Nebenklage jedoch nicht zur Verfügung.
Auch an anderen Stellen hat das Urteil aus Hoyerswerda Kritik ausgelöst. Das Internationale Auschwitz-Komitee bezeichnete die zur Bewährung ausgesetzten Strafen für fast alle Angeklagten als skandalös. "Neonazis, die Menschen jagen und in Todesangst versetzen, werden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ein fatales Signal für all jene Bürger, die sich in ihren Gemeinden Neonazis entgegenstellen und auf die wehrhafte Demokratie hoffen", kritisierte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner.
Auch Petra Pau, Bundestagsabgeordnete der Linke und zuletzt für ihre Partei als Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, äußerste sich unzufrieden über den Prozessausgang: "Das Agieren der Justiz, aber auch vordem der Polizei, ist einem Rechtsstaat abträglich. Opfer rechtsextremer Gewalt wurden im Stich gelassen, Tätern rechtsextremer Gewalt wird Besserung verordnet. Wenn das sächsische Zustände werden, dann sind das finstere Aussichten für das Grundgesetz und die Menschenwürde."
Auch die Grünen im sächsischen Landtag kritisieren das Urteil. Miro Jennerjahn, Rechtsextremismusexperte der Partei und selbst Prozessbeobachter sieht die politische Dimension der Straftaten nicht ausreichend berücksichtigt. Auch die Einschätzung des Richters, die Angeklagten hätten eine positive Sozialprognose, teilt er nicht, deren Fähigkeit zur Einsicht stellt er in Frage: "Die Angeklagten sind zweifelsfrei Angehörige der rechtsextremen Szene, einige von ihnen sind einschlägig vorbestraft wegen Körperverletzung, schwerer Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung und weiterer Straftaten."
Caren Lay, die Bundestagsabgeordnete der Linken mit Wahlkreis Bautzen und Bürgerbüro in Hoyerswerda spricht von einem staatlichen Fehlverhalten bei der Aufklärung des Überfalls. Sie bemängelt den fehlenden Aufklärungswillen im Gerichtssaal - nicht nur von Seiten der Angeklagten, sondern auch von Seiten des Gerichtes selbst: "Fragen des Anwalts der Opfer, die zur Herstellung eines genaueren Einblicks in die Tatnacht gestellt worden waren, wurden vom Richter mit der Erklärung abgebügelt, dass nicht die diensthabenden Polizisten auf der Anklagebank säßen."
Von Lara Fritzsche