Freie Presse Chemnitz, 08.04.2014
1500 Euro Geldstrafe wegen Neonazi-Blockade in Dresden
Weil er sich 2011 einer rechten Demo entgegenstellte, soll Johannes Lichdi büßen. Der Abgeordnete der Grünen will sich das nicht gefallen lassen.
DRESDEN - Es wird ein Urteil mit Folgen. Gemeint ist nicht die Geldstrafe, die das Amtsgericht Dresden gestern gegen den Landtagsabgeordneten der Grünen, Johannes Lichdi, wegen seiner Teilnahme an einer Sitzblockade gegen einen Nazi-Aufmarsch in der Landeshauptstadt im Februar 2011 erließ, sondern das Urteil an sich. Lichdi hatte sich vor gut drei Jahren an friedlichen Aktionen Tausender Bürger beteiligt, um die seit Jahren immer wiederkehrenden rechten Aufzüge aus der Stadt zu verbannen. Dafür setzte er sich am 19. Februar 2011 in die vorderste Reihe mit zahlreichen Oppositionspolitikern auf eine Kreuzung südlich des Dresdner Hauptbahnhofs.
Dass es schon in den Vormittagsstunden jenes Tages aufgrund zahlreicher anderer Proteste, aber auch gewalttätiger Ausschreitungen in Teilen Dresdens gar nicht zu einem Aufmarsch von Neonazis kam, den Lichdi und die anderen hätte blockieren können, galt vor Richter Rainer Gerards nicht. Er sah den Umweltpolitiker und Juristen gewissermaßen als Teil des Gesamtgeschehens, das verhinderte, dass die Neonazis ihr verfassungsmäßiges Recht auf Versammlungsfreiheit nicht hatten wahrnehmen können, argumentierte er. Deshalb verurteilte er ihn zu zehn Tagessätzen ä 150 Euro also insgesamt 1500 Euro sowie zur Übernahme der Kosten des Verfahrens. Lichdi kündigte unmittelbar nach dem Urteil an, sich auch dagegen zur Wehr zu setzen.
Lichdi will Klarheit darüber, dass 2011 eine völlig verfehlte Polizeitaktik dazu führte, die noch immer couragierte Bürger aus Dresden und dem ganzen Bundesgebiet ausbaden müssen. Er räumte seine Teilnahme stets ein, sieht sie aber als Ausdruck der vom Grundgesetz geschützten Meinungs- und Versammlungsfreiheit. 465 Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft Dresden 2011 wegen "Störung einer Versammlung" eingeleitet, wovon im selben Jahr die Chemnitzer Ermittler gänzlich absahen.
In Dresden sind inzwischen 296 Verfahren eingestellt. In zehn Fällen ergingen Urteile: drei Freisprüche und mit Lichdi sieben Verurteilungen. Zehn Verfahren von Mitblockierern sind noch anhängig - darunter gegen Landtagsund Bundestagsabgeordnete der Linken wie Falk Neubert (Mittelsachsen) und Michael Leuten (Chemnitz). Neubert muss am 16. April vor Gericht. Das gestrige Urteil weist viele Ungereimtheiten auf. So hatten Polizisten wie der Einsatzleiter Michael T. aus Köln, der an jenem Tag in der Nähe des Hauptbahnhofs im Einsatz war, ausgesagt, dass bereits 12 Uhr mittags klar war, dass der Neonazi-Aufmarsch aufgrund des öffentlichen Widerstands von Tausenden überwiegend friedlichen Gegendemonstranten nicht stattfinden konnte. Erst zweieinhalb Stunden später nahm Lichdi auf jener Kreuzung Platz. T. räumte auch mit Vorwürfen auf, es habe eine "Aufenthaltsverbotszone" für jenes Gebiet gegeben, deren Betreten ebenfalls Strafe nach sich gezogen hätte.
Dennoch wertete der Richter die bloße Anwesenheit Lichdis und das Nichtbefolgen polizeilicher Räumungsaufforderungen als vollendete Absicht der "groben Störung einer Versammlung". Dabei hatte Lichdis Anwalt Ulf Israel bereits in der Verhandlung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Das hatte 2011 ein Urteil wegen einer Blockade vor der Ausfahrt eines US-Stützpunkts bei Frankfurt am Main aufgehoben, weil die Blockierer vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hätten und ihre Aktion selbst als Versammlung zu werten sei. Nicht mehr und nicht weniger will Lichdi erreichen.
von Uwe Kuhr
An der Realität vorbei - Kommentar von Uwe Kuhr
Spätestens seit Bekanntwerden der Untaten des NSU im Herbst 2011 werden Politiker nicht müde, die Zivilgesellschaft zu ermuntern, neonazistischen Umtrieben couragiert die Stirn zu bieten. Dafür gibt es aus der historischen Verantwortung Deutschlands heraus und angesichts des Erstarkens rechter Kräfte allen Grund. Dass Sachsens Justiz, wohl gemerkt friedliche, Blockierer von Neonaziaufmärschen noch nach Jahren mit Prozessen überzieht, geht an Realität und Rechtsempfinden vorbei. Gestern fiel in Dresden in einem Parallelprozess das Urteil zu einem Demo-Randalierer. Ein Jahr Gefängnis auf Bewährung, lautete es, was in dieser Härte völlig in Ordnung geht.