spiegel-online, 12:39 Uhr, 07.05.2014
NSA-Überwachungsausschuss: Tiefpunkt einer simulierten Aufklärung
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Die Bunderegierung hat sich um die Aufklärung der Totalüberwachung nicht unbedingt verdient gemacht. Jetzt werden auch noch die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses indirekt vor zu viel Eifer gewarnt. Dabei wäre der dringend nötig.
Es sieht aus wie ein harmloser Satz im Bericht der Bundesregierung vom 2. Mai 2014: "Deutsche Behörden haben auf solche Maßnahmen keinen Einfluss." Tatsächlich ist dieser Satz eine Unverschämtheit, gerichtet gegen den parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der den geheimdienstlichen, digitalen Spähangriff auf die Welt beleuchten soll. Denn unmittelbar davor erwähnt der Bericht die Möglichkeit, dass "Mitglieder des Untersuchungsausschusses in den USA strafrechtlich verfolgt werden" können.
Wenn also die Abgeordneten ihre Arbeit richtig machen, lässt sie die deutsche Regierung nicht bloß im Regen stehen. Es ist schlimmer. Die Bundesregierung tut zum einen so, als sei das keine politische Angelegenheit, sondern irgendein Behördenvorgang - bitte gehen Sie in Zimmer 137b. Zum anderen handelt es sich um eine kaum verkappte Drohung über Bande. Eine indirekte Drohung der Regierung gegen das Parlament, gegen Parlamentarier, so ad hominem, wie es in einem offiziellen Papier möglich ist.
Die Übersetzung: Wenn ihr ungünstige Dinge herausfindet, verfolgt euch der US-Apparat unbarmherzig als Snowden-Mittäter und wir werden einen Teufel tun und sie daran hindern. Natürlich wäre es richtig, auf den Umstand hinzuweisen, dass in den Vereinigten Staaten eine Verfolgung möglich wäre, schlimm genug. Die lapidare Feststellung, man könne darauf "keinen Einfluss" nehmen, aber macht diese Einschätzung zu einer bedrohlichen Vorabkapitulation.
Das ist der bisherige Tiefpunkt der an Tiefpunkten überreichen Aufklärungssimulation der letzten beiden Regierungen Merkel:
Der Fragenkatalog an die US-Regierung
Nach einem Dreivierteljahr noch immer nicht im Ansatz beantwortet, sondern irgendwo auf der zwölften Hierarchieebene der NSA in der Dauerprüfung.
Das No-Spy-Abkommen
War nicht nur von Anfang an symbolisch, sondern wird dazu noch nicht geschlossen und begründet damit das neue Genre der symbollosen Symbolpolitik.
Der Untersuchungsausschuss
Blieb erst in der Schwebe, soll dann aus angeblichen Sicherheitsgründen nicht mit allen Dokumenten versorgt werden und wird nun auch noch auf erbärmliche Weise unter Druck gesetzt.
Fast muss man dafür dankbar sein, dass SPD-Fraktionsführer Thomas Oppermann eine Selbstverständlichkeit geäußert hat, als er öffentlich erklärte, dass der Untersuchungsausschuss schon alle relevanten Papiere einsehen dürfen sollte. Was auch einen Hinweis darauf gibt, wo der Druck herkommt. Es lässt sich zusammenfassen: Angela Merkel möchte das Spähdesaster offenbar nicht aufklären, und die SPD, die im Wahlkampf von "millionenfachem Grundrechtsbruch" sprach - in größerer Münze kann man in der Demokratie gar nicht zahlen - hält nicht stark genug dagegen. Nicht unwahrscheinlich, dass der überwachungsfreundliche Flügel der Sozialdemokraten sich gemeinsam mit der CDU hauptsächlich um die Sicherheitskooperationen der deutschen Dienste mit den Five Eyes sorgt. Prioritäten werden sichtbar.
Obama-Verärgerung sticht Grundrechtsbruch
Wenn Angela Merkel überhaupt für die Grundrechte der Bevölkerung kämpfen sollte, verbirgt sie diesen Kampf außerordentlich geschickt. Und doppelt geschickt während ihres Besuchs Anfang Mai in Washington, von dem sie in Sachen Überwachung nicht einmal den Gipsabdruck eines feuchten Präsidentenhändedrucks mit zurückbringt. Ihre medial durchschimmernde Botschaft: die US-Regierung vor den Kopf zu stoßen ist schlimmer, als der durch Snowden aufgedeckte Spähangriff auf die Bevölkerung selbst, Obama-Verärgerung sticht Grundrechtsbruch. Wo ist die Law-and-Order-CDU, die doch nur ins Law, genauer gesagt: ins Grundgesetz schauen müsste, um höchst alarmiert zu sein?
Dabei reicht der Blick nach Washington keinesfalls aus. Im Gegenteil. Eine der wichtigsten Aufgaben des Untersuchungsausschusses müsste sein, die mutmaßliche Beteiligung der deutschen Dienste an der illegalen Überwachung zu erforschen. Die ist völlig aus dem Fokus geraten, obwohl es eine Reihe von Anhaltspunkten gibt, dass BND und Verfassungsschutz die aufgedeckten Instrumente der NSA eifrig mitbenutzt haben. Die deutschen Behörden begegnen den Enthüllungen mit der Aus-Strategie: ausflüchten, ausweichen, aussitzen. Und das in einer Zeit, in der normale Bürger in Deutschland offenbar über Jahre auf Terrorverdachtslisten geraten können - weil sie einmal bei einer Banküberweisung einen Scherz gemacht haben.
Bisher hat sich am Überwachungsszenario - das ist immer wieder zu betonen - faktisch nichts geändert. Außer, dass die Überwachung von Angela Merkels Zweit-Handy durch die NSA aus Imagegründen tendenziell unwahrscheinlicher geworden ist. Jedenfalls vorläufig, aber so genau lässt es sich auch nicht sagen. Ziemlich mager, insbesondere im Vergleich zu den Versprechungen aus dem Herbst, wo mehr oder weniger alle Regierungsorgane große Besorgnis geäußert und die höchste Wichtigkeit des Datenschutzes betont haben.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist eines der wenigen Instrumente, die beim Spähangriff auf die Gesellschaft, bei diesem digitalen Meteoriteneinschlag, noch Hoffnung geben. Genau hier entscheidet sich, ob die Bundesregierung vorhat, an der faktischen Überwachungsgesellschaft etwas zu ändern. Oder ob man neben dem glühenden, rauchenden Krater steht, über die Pendlerpauschale für Frührentner diskutiert, und so tut, als sei nichts.
Die Bundesregierung muss beim Untersuchungsausschuss beweisen, dass sie es mit der Aufklärung der Totalüberwachung ernst meint.