DNN/LVZ, 19.06.2014
Neonazi-Demo in Dresden: Ein neuer Skandal am rechten Rand
Leitartikel Von Jürgen Kochinke
Der politische Umgang mit Neonazis ist vermintes Gelände in Dresden. Schließlich hatte die Landeshauptstadt jahrelang einiges dafür getan, um zu einer Art Wallfahrtsort für Rechtsextremisten zu werden. Gerade aber weil man hier zuletzt dazugelernt und den braunen Kadern den Spaß am Marschieren reichlich verdorben hatte, ist der Eklat von gestern mehr als eine unappetitliche Randnotiz im politischen Betrieb. Die Landeshauptstadt hat vielmehr ihren mühsam aufpolierten Ruf ohne Not wieder ein Stück ramponiert.
Das macht die aktuellen Vorgänge im Landtag so brisant. Dabei muss man sich die ganze Kette von Fehlleistungen und politischem Dilettantismus vor Augen führen, um das volle Ausmaß zu erkennen. Da ist eine Polizei, die am Ende einer Neonazi-Kundgebung am Dienstagabend in der Nähe des Landtags meint, die Lage könnte außer Kontrolle geraten, obwohl sie selbst reichlich vertreten ist. Dann sind da Sicherheitskräfte, die Rechtsextremisten und freien Kameraden ausgerechnet das Hohe Haus als "Schutzraum" anbieten, auf dass diese dann einfach hineinspazieren, dort herumlungern und Mitarbeiter demokratischer Fraktionen anpöbeln können.
All das ist schon reichlich bizarr und für jeden denkenden Demokraten wenig beruhigend - zumal erst kürzlich in Plauen nahezu das Gegenteil passiert ist. Denn während dort Sicherheitskräfte linke Demonstranten, die sich in eine Kirche geflüchtet hatten, aus diesem Schutzraum herausgeholt hatten, öffnen sie nun Rechtsextremisten die Parlamentstüren in Dresden.
Doch damit ist das hausgemachte Drama noch nicht am Ende, wie das Nachspiel gestern im Landtagsplenum zeigt. Es ist doch ganz offensichtlich: Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) hat die politische Brisanz der Lage verkannt, sonst hätte er anders reagiert und entschieden. Schließlich hatte er bereits ein Kompromissangebot der demokratischen Opposition zur parlamentarischen Aufarbeitung der Vorkommnisse vom Dienstabend auf dem Tisch, das er besser hätte annehmen sollen. Dass Linke, SPD und Grüne daraufhin unter Protest den Plenarsaal verließen, kann ihnen kaum einer verdenken.
So wurde aus einer eh schon fragwürdig-peinlichen Angelegenheit erst das, was Sachsen gar nicht gebrauchen kann: ein neuer Rechtsaußen-Skandal. Der Eindruck, der hängenbleibt, lautet: Dresden hat sich beim Neonazi-Thema mal wieder bundesweit in Szene gesetzt und blamiert. Und auch für die Bürger im Elbtal ist das alles andere als nett. Denn der neuerliche Eklat will so gar nicht passen ins Selbstbild einer Stadt, die Neonazis nach einigen Wirren nun doch die Stirn bietet und es so geschafft hat, sich als aktive Bürgergesellschaft zu präsentieren. Wären die Folgen nicht so bitter, das Ganze hätte das Zeug für eine bühnenreife Groteske.
j.kochinke@lvz.de