Die Zeit, 26.06.2014
Sagen Sie jetzt nichts? (Neonazis im Landtag)
Ein Trupp Rechtsextremer erhält Asyl im Dresdner Landtag. Aber der Parlamentspräsident findet dazu keine Worte von Martin Machowecz
Am Tag nach jenen Ereignissen, die als finstere Stunden in Sachsens Parlamentsgeschichte eingehen dürften, sitzt Matthias Rößler, 59, der
Landtagspräsident, auf einer Pressekonferenz, schlackert mit den Beinen und grinst wie ein Lausbub. Dass Neonazis Unterschlupf in seinem Landtag gefunden haben, lässt ihn, Rößler, offenbar ziemlich kalt. Fragen beantwortet er bürokratisch, in Phrasen. Inhaltlich sagt er wenig.
Wer den CDU-Politiker kennt, weiß, dass dieser Mann allzu oft sein Ego kaum zügeln kann. Nicht wenige finden, Matthias Rößler interessiere sich vor allem für: Matthias Rößler. Nur wirkte diese Entrücktheit selten unpassender, unwirklicher als diesmal. Diesmal wäre ein Präsident gefragt gewesen.
Am Abend zuvor, am Dienstag, 17. Juni, hatte eine Gruppe NPD-Anhänger unweit des Dresdner Landtags protestiert. Danach waren etwa 40 Rechtsextreme in Richtung Parlament marschiert. Sie fühlten sich dort - so schildert die Polizei es später - offenbar von Gegendemonstranten bedroht. Die Polizei bat die Sicherheitsleute des Landtags deshalb, die Rechtsextremisten vorübergehend im Abgeordnetengebäude unterbringen zu dürfen - was erlaubt wurde. Sächsischer Landtag gewährt Neonazis Asyl, meldeten die Agenturen. Ein Polit und PR-Gau.
Für Rößler, protokollarisch erster Mann im Freistaat, hätte es mindestens zwei Möglichkeiten gegeben, die Vorfalle entschlossen zu kommentieren. Er hätte, erstens, sagen können: Das »Neonazi-Asyl« war ein Fehler! Nie hätten Rechtsextreme ausgerechnet in jenem Hohen Haus Zuflucht finden dürfen, das sie so sehr verachten! Oder er hätte, zweitens, sagen können: Ist es nicht das Edelste an der Demokratie, dass sie selbst ihren Feinden Schutz gewährt?
Das Problem ist: Rößler hat sich entschieden, die Sache gar nicht öffentlich einzuordnen. Er spricht von einer »Lage-Eskalation«, die Polizei habe in Absprache mit dem Sicherheitsverantwortlichen des Sächsischen Landtags gehandelt, »und so weiter und so fort«, sagt er. So drückt er sich aus. Für ihn ist dieser Skandal nur ein technischer Akt. Er selbst sei sowieso zur fraglichen Zeit nicht vor Ort gewesen, erst im Nachgang informiert worden. Als müsse es ihn also auch nicht kümmern.
»Der Landtag hat sich mit dem Nazi-Asyl lächerlich gemacht«, sagt Antje Hermenau, Fraktionschefin der Grünen. »Und der Landtagspräsident hat den Fall durch ungeschicktes Management zusätzlich eskalieren lassen. Wir Sachsen stehen nun wieder als Nazifreunde da.« Es stört Hermenau, dass die Opposition Rößler zu einer kurzfristigen Sondersitzung des Landtagspräsidiums zwingen musste - er stimmte erst zu, als SPD, Linke und Grüne aus Protest geschlossen das Plenum verließen. Nicht nur Oppositionspolitiker ärgert zudem, dass Rößler sich in seinen wenigen öffendichen Wortmeldungen vor allem den Relativierungen des Innenministeriums anschloss, sich sogar für eine »gemeinsame Erklärung von Landtag und Innenministerium« einspannen ließ, in der beschrieben wird, warum das Neonazi-Asyl aus Sicht der Polizei angeblich unumgänglich gewesen sei - dabei ist sogar die Polizei intern uneins. So handelt einer, der sich als ein Parlamentspräsident von Gnaden der CDU-Regierung sieht. Wenn man Rößler, zum Beispiel in einer Pressekonferenz, auf seine Weigerung, sich zu positionieren, anspricht, übergeht er das: »Nächste Wortmeldung!« Warum fragt er nicht, wie die Polizei künftig derlei Vorfälle zu vermeiden gedenkt?
Rößler, einst viele Jahre Sachsens Kultus - und später Wissenschaftsminister, erklärte sich, nachdem er 2009 das Parlamentspräsidentenamt übernommen hatte, zu einer Art Bundespräsident auf Landesebene. Zu einer »Mischung aus Bundespräsident und Bundestagspräsident«. Das sagte er wirklich, das sah er als seinen Maßstab. Er wolle, sagte Rößler, die Debattenkultur unter den Politikern verbessern und Sachsens Lage in der Mitte Europas zum Anlass nehmen, Diskussionen über die EU anzuregen. Darf er sich wundern, wenn man ihn heute daran misst?
Es ist nicht das erste Mal, dass Rößlers Einmischung ausbleibt. Interessante Aussagen und Denkanstöße zu Europa sind von ihm nicht erinnerlich. Nicht einmal zum NSU fand der Sachse Worte von Belang - dabei wohnte das Terrortrio in Zwickau. Auch beim großen Streit über Asylbewerberheime in der Provinz, als sich die Frage stellte, wie gastfreundlich Sachsen ist - stellte Rößler auf lautos.
Die Landespresse ist dabei, ihn aufzugeben. Kürzlich kritisierte die Sächsische Zeitung Rößlers politische Mutlosigkeit und folgerte: »Das sollte Beachtung finden, wenn der Posten des Landtagspräsidenten im Herbst neu vergeben wird.«
Man kann natürlich der Meinung sein, dass ein Landtagspräsident keine großen Reden halten müsse. Dass es schon reiche, wenn er ohne größere Unfälle den Parlamentsalltag organisiert bekomme. Aber wenigstens das sollte ihm dann auch gelingen.